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Konversion (1111–1112)

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Im Jahre 1111 belagerte Herzog Hugo II. von Burgund die Burg Grancey, in der sich der aufständische Graf Rainald III. von Saulx verteidigte. Bernhards Brüder gehörten als Ritter und Vasallen zum herzoglichen Heer. Auf dem Ritt zu ihnen geschah es: die Spannung, unter der Bernhard stand – wie sollte er sein Leben planen? –, verstärkte sich, je näher er dem kriegerischen Geschehen kam. Auf halbem Weg bog er zu einer Kirche ab, betete mit erhobenen Armen und brach in Tränen aus. „Ea igitur die firmatum est propositum cordis ejus. „125 Seit diesem Tag war der Entschluß seines Herzens gefestigt: „Moines serai, si volrai Dieu servir“, Mönch werde ich sein, gewiß will ich Gott dienen, hätte er mit dem Dichter sagen können.126

Während es für Bernhard Informationen zu den meisten der typischen Stadien eines Bekehrungsprozesses127 gibt, wissen wir jedoch nicht, was gerade die entscheidende Krise ausgelöst hatte, der nun „in einer euphorisch erlebten Spannungslösung“128 ein Ende gesetzt wurde. Er selbst beschreibt später in einer ausdrücklich als autobiographisch gekennzeichneten Passage der Hoheliedpredigten, wie er am Beginn seines neuen Lebens hart und kalt war und er den Herrn noch kaum zu lieben verstand; selbst die bescheidenen Versuche dazu endeten in Widerwillen und Lethargie129. Gut möglich, daß es eben diese Starre war, die Bernhard an jenem Tag in der Kapelle durchbrach, indem er den endgültigen Entschluß zum Klostereintritt faßte.

Mit Sicherheit hat aber auch Bernhard die zwei nach einer Bekehrung typischen Empfindungen130 erlebt: das Gefühl der Gottesnähe und der Schuldvergebung. Daß er eine weitere typische Reaktion auf die Identitätsfindung und den damit verbundenen Rollenwechsel zeigte, nämlich die Überzeugung, nun selbst für seinen Glauben missionieren zu müssen, erweist seine ganze weitere Existenz. Und auch mit der nicht weniger typischen Suche nach einer neuen „Familie“, einer Wir-Gruppe Gleichgesonnener, begann er sogleich.

Unter den Belagerern befand sich der Ritter Gaudri von Touillon, ein Onkel Bernhards, der ebenso daran dachte, sein Leben in der Welt aufzugeben. Mit ihm hatte der junge Mann schon länger über einen Rückzug in einen Konvent gesprochen; es ist möglich, daß in ihm eine Bezugsperson zu sehen ist, die an Berhards Konversion viel wesentlicheren Anteil hatte, als die Quellen verraten, denn selten vollziehen sich Bekehrungen ohne den Einfuß eines „Advokaten“ der neuen Lebensform131 – Bernhard sollte noch oft selbst solcherweise missionarisch wirken. Gaudri und Bernhard ritten zusammen zu seinem Vater Tescelin und stellten ihn vor die Tatsache ihrer Entscheidung.132 Was er dazu zu sagen hatte, verschweigen die mittelalterlichen Biographen. Während der indirekte Einfuß Aleths auf Bernhards Entscheidung evident ist, wissen wir nichts über den des Vaters. Es dürfte auch kaum möglich sein, ein Ergebnis heutiger psychologischer Bekehrungsforschung anzuwenden, demzufolge sehr häufig gerade solche Männer konvertieren, deren Vater nicht in der Familie anwesend ist,133 wie es bei Tescelin der Fall gewesen sein muß. Denn es erscheint zweifelhaft, daß die sozialpsychologischen Situationen derart vergleichbar sind: eine heutige Kleinfamilie mit ihren Rollenerwartungen entspricht kaum einer an teilweise ganz anderen gesellschaftlichen Idealen orientierten Familie oder „familia“ (Hausgemeinschaf) des 12. Jahrhunderts.

Als typisch für religiöse Konversionen gilt: „Der Geheilte wird selbst Heiler“.134 Was Berhard in den Wochen und Monaten vollbrachte, die seiner Abkehr von der Welt folgten, war nichts weniger als die Transformation seiner eben noch in der Welt beheimateten Clique in eine geistliche Gemeinschaft. Seine Brüder, die sich eben noch bemüht hatten, ihn im ‘saeculum’ zu halten, konnte er einen nach dem anderen ‘umdrehen’. Wer noch weiblichen Anhang hatte, wie Gaudri in Gestalt seiner Gemahlin, schickte diesen ins Kloster und etwaige Kinder dazu, bei Gaudri vier Knaben.135

Solche Adelsbekehrungen ganzer Familien waren im 11. und 12. Jahrhundert keine besonderen Seltenheiten.136 Ein bekanntes Beispiel ist Graf Gottfried von Cappenberg, der 1121 denselben Schritt wie Bernhard unternahm, er anscheinend aus Reue über die Zerstörung des Doms von Münster. Er brachte ähnlich wie der Burgunder seinen zunächst widerstrebenden Bruder Otto dazu, Mönch zu werden, und seine beiden Schwestern sowie seine Frau, sich zu Nonnen weihen zu lassen. Seine Güter und die Burg erhielt Bernhards Freund Norbert von Xanten.137 Damit verschwanden die Cappenberger aus der Geschichte so wie die Herren von Fontaines. Als Beispiel aus Bernhards Heimat sei Amadeus von Clermont, Graf von Hauterive, genannt. Er trat 1119 mit sechzehn Gefährten, darunter seinem gleichnamigen Sohn, der 1125 zu Bernhard stoßen sollte, ins Kloster Bonnevaux ein.138 Bei den meisten dieser Adeligen war es jedoch, anders als bei Bernhard, ein besonderes persönliches Erlebnis, oft in Zusammenhang mit ihren Taten und Untaten im Krieg, das den Anstoß gab. Oder war es doch kein Zufall, daß sich Bernhards Bekehrungserlebnis gerade auf dem Weg zum blutigen Kampf um eine belagerte Burg ereignete?

Betrachtet man die Bekehrung der Familie Fontaines, so bestätigt sich hier wiederum, daß es Aleth gewesen war, die ihre Kinder in der Frühphase ihrer Entwicklung entsprechend geprägt hatte: Als Andreas, damals eben zum Ritter geschlagen, nicht mitmachen wollte, produzierte auch sein Über-Ich das Bild der Mutter vor ihm, und er gab nach. Bernhard dazu: „Hieran siehst du klar, daß ihr [Aleth] unsere Umkehr recht ist!“ Gottfrieds Schilderung macht diesen angesprochenen Cliquencharakter, diesen engen Zusammenhalt der Verwandten ganz deutlich, denn er läßt Andreas zu Bernhard und Gaudri sagen: „Bemüht euch, daß keiner unserer Brüder in der Welt bleibt, sonst zerreiße ich mich lieber mittendurch, denn ich kann es weder aushalten, von euch, noch von ihnen getrennt zu werden!“139 Guido, der Älteste, der künftige Erbe der Burg Fontaines-lès-Dijon, war allerdings schon verheiratet, weswegen er Schwierigkeiten sah. Bernhard prophezeite ihm jedoch, daß er bis zum nächsten Osterfest auch zu ihm kommen werde, indem er ihm in die Hand versprach, seine Frau müsse entweder zustimmen oder rechtzeitig sterben.140 Sie tat ersteres und wurde Äbtissin des Priorats Larrey, Bernhards Worte wohl richtig, d.h. als Drohung mit der Strafe Gottes, verstehend.

Gerhard, der Zweitgeborene, wäre wohl nicht umzustimmen gewesen, wenn nicht der Zufall – oder mittelalterlich: die Vorsehung – zu Hilfe gekommen wäre. „Dieser ob seiner Geburt äußerst hochgemute Mann kümmerte sich wenig darum, was er von Kind an gelernt hatte.“141 Er zog offenbar das Kriegshandwerk vor – solange, bis er dabei selbst verwundet wurde und in Gefangenschaf geriet. In der Todesangst dieser Situation versuchte er, verständlicherweise umsonst (wer hätte es einem Ritter in voller Rüstung auch abgenommen?), sich als Zisterzienser zu deklarieren. Irgendwie gelang es ihm jedoch, sich aus dem Kerker zu befeien (in der Tadition natürlich durch ein Wunder) und in der nächsten Kirche Asyl zu suchen. Zweifellos kaufte ihn seine Familie dann frei, wie es üblich war – speziell im 12. Jahrhundert bemühten die Ritter sich, einander möglichst nicht zu töten, sondern nur gefangenzunehmen, um Blutrache zu vermeiden und Lösegeld zu bekommen. Deshalb gab es damals immer wieder Schlachten, die ohne oder mit nur ganz wenigen Opfern endeten (das Fußvolk aus den unteren Schichten wurde natürlich nicht geschont).142 Gerhard, dem sein Abt und Bruder einst ein ergreifendes literarisches Denkmal setzen sollte,143 hatte nach diesem Erlebnis von der Welt genug und schloß sich seinen Brüdern an, wie er es offenbar in der Todesgefahr gelobt hatte. Bernhard soll übrigens auch ihm die Verwundung vorhergesagt haben144 (vielleicht kein ganz so mirakulöses Vorherwissen bei einem derartig kampfbegierigen Mann). Und auch Nivard, der Jüngste, dem als einzigem in der Welt Verbliebenen die ganze Erbschaft der Familie zugefallen wäre, hielt es nicht ohne seine Verwandten aus und kam nach ein paar Jahren als Novize in Bernhards Kloster.145

Binnen kurzem war die Schar der Weltmüden auf etwa dreißig angewachsen. Seinem Biographen zufolge empfand man die von Bernhard ausgehende Faszination schon damals so stark, daß Mütter um ihre Söhne, Gattinnen um ihre Männer und Freunde um ihre Freunde fürchteten und sich verzweifelt bemühten, sie dem Einfluß des jungen Predigers zu entziehen.146 Den Kern der Bekehrten bildeten die Brüder mit ihrem Onkel, dazu kamen andere Verwandte und Befreundete.147 Unter diesen war wohl Hugo von Mâcon der wichtigste, ein Angehöriger des hohen Adels, der einige Zeit zögerte, schließlich aber dem Charme Bernhards erlag.148 Er machte dann sehr rasch die seiner Herkunft entsprechende Karriere in der Kirche: schon ein Jahr vor Bernhard war er Abt des neugegründeten Pontigny und 1136 Bischof von Auxerre. Er sollte Bernhard immer feundlich gesonnen bleiben und wurde von ihm als Heiliger betrachtet. Seiner weniger voreingenommenen Umgebung fiel er freilich besonders dadurch auf, daß er mit dröhnenden Jagdhörnern und kläffenden Hundemeuten seine Bischofsstadt zu durchziehen pflegte.149 Wie so viele seiner Amtsgenossen war Hugo geistlich geworden, ohne deshalb weniger als weltlicher Feudalherr zu leben.

Ein halbes Jahr wohnten die Bekehrten vorerst in Châtillon in einem eigenen Haus zusammen. Sie bildeten eine ‘Kommune’ nach dem Vorbild der Apostel, die vielleicht der Kern eines neuen Ordens hätte werden können. Auch ein solches Verhalten war damals nicht singulär: Guibert von Nogent berichtet etwa von Eberhard von Breteuil, Vizegraf von Chartres, daß er mit einigen Gefährten ein offensichtlich klosterähnliches Leben zu führen beabsichtigte, ehe sie sich entschlossen, in Marmoutier dem Benediktinerorden beizutreten.150 Noch einmal wird deutlich, daß es sich bei den Dreißig um eine Gemeinschaft mit ganz starker Gruppenbindung handelte, ein Familienunternehmen adeliger Männer, viele von ihnen litterat, die eine Clique („coetus“) bildeten, „der sich kaum jemand zu nähern wagte, der nicht dazugehörte“.151 Das heißt, daß Beziehungen aufgegeben wurden, daß man sich von der Welt abkapselte, um die bisherige Vielzahl sozialer Kontakte durch eine kleine Zahl wesentlich engerer Verbindungen zu ersetzen, Intensität statt Quantität. Nur zwei der Freunde sprangen in dieser Zeit ab.152

Bernhard von Clairvaux

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