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Predigten, Sentenzen und Parabeln
ОглавлениеWir haben De gradibus humilitatis als den ältesten Traktat Bernhards angesprochen. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, daß er aber bereits seit seiner Ernennung zum Abt andauernd literarisch tätig war. Dies nicht mit umfangreicheren Werken, sondern mit Predigten, die er, wenn möglich, fast täglich vor seinen Mönchen hielt – eine Freiheit, die die Regel dem Abt gewährt. Zahlreiche dieser Ansprachen sind erhalten, ihre Datierung ist jedoch wegen des Fehlens jedes zeitbezogenen Hinweises mit ganz wenigen Ausnahmen unmöglich. Es sind diese für die Klosterpredigt seiner Zeit aufschlußreichen Texte in vier Gruppen überliefert: Predigten zu den Festen des Kirchenjahres, Predigten über verschiedene Themen, Parabeln und Sentenzen. Die Palette reicht von knappsten Entwürfen bis zu ausgefeilten Vorträgen mit allen Mitteln der lateinischen Rhetorik.321
Die Sentenzen322 zunächst sind keine ausgearbeiteten Predigten, sondern Predigtentwürfe in Sprechstil, Sammlungen von Ideen und Stoffen für Ansprachen, kurze Skizzen, die vor oder beim Vortrag erweitert wurden; möglicherweise kam der eine oder andere Abschnitt auch als Notiz eines Zuhörers dazu. Die bisweilen eher einfachen Schemata wirken oft nicht so, als ob sie von einem besonders erfahrenen Autor stammten; man kann sich leicht vorstellen, daß sie aus den ersten Jahren von Bernhards Abbatiat stammen, aber das bleibt natürlich Spekulation. Vielleicht ist ihre Struktur eher so zu erklären, daß es sich um die Predigtentwürfe handelt, die Bernhard für seine Ansprachen an die ungebildeten Laienbrüder verwendete, wobei er die Skizze in Latein niederschrieb, die Ausführung dann aber in der Muttersprache vorzutragen hatte.
Von den Sentenzen sind drei Sammlungen erhalten; zwei von ihnen bringen relativ kurze, bisweilen auf einen einzigen Satz beschränkte Entwürfe, von denen viele von einem Bibelspruch ausgehen; die größere dritte vereinigt ausführlicher formulierte Stücke. Der Terminus ‘Sentenz’ trifft eigentlich nur auf jene Teile zu, die prägnant die eine oder andere religiöse Lehre fassen. Zum Beispiel: „Duo sunt calcaria, quibus urget propheta asinam suam: pudor, ne temporaliter polluatur; timor, ne aeternaliter puniatur“.323 „Zwei Sporen gibt es, mit denen der Prophet seinen Esel [den Leib] antreibt: Scham, sich in der Zeit zu beschmutzen; Furcht, in der Ewigkeit bestraft zu werden.“ Vor allem im dritten Teil finden sich dagegen schon vielfach vollständige Predigtbeispiele.
Wie man sogleich sieht, basieren diese Werkchen weitestgehend auf einzelnen Bibelstellen und deren allegorischer Auslegung. Personifikationen und Gebäudeallegorien liebt der Autor besonders, sie sollten, sicher nicht ohne sein Beispiel, im späten Mittelalter ungeheure Verbreitung erlangen. Doch zeigen auch die Schriften seiner Zeitgenossen, etwa der Viktoriner, aber auch der sog. deutschen Symboliker, eine ähnliche Vorliebe für diese Darstellungsart der Heilslehren.
Vielfach handelt es sich um Allegoresen, d.h. Auslegungen vorgegebener biblischer Texte als Zeichen für eine über den Wortsinn hinausgehende Wahrheit. Dies geschieht auch mit einer – nicht für Bernhard, sondern für das ganze Mittelalter typischen – Gewaltsamkeit, die aus jedem Wort der Schrift eine verborgene Bedeutung herauspressen will. So wird etwa in Exodus 23, 19 vorgeschrieben, einen Ziegenbock nicht in der Milch des Muttertieres zu kochen. „Der Ziegenbock ist der Sünder, die Mutter die ersten Eltern, von denen wir alle gezeugt wurden; die Milch die Laster, die aus der Ursünde kamen … der Sünder soll also nicht bis zu seinem Sterbetag in Sünden verbleiben, sondern vor dem Tod zu guten Werken zurückgerufen werden, damit er nicht zugrunde gehe. „324
Bei den Allegorien, d.h. künstlich erdachten bildlichen Vergleichen, ist freilich eine ähnliche Gewaltsamkeit nicht selten ebenso zu finden. Zum Beispiel: Unsere Hoffung wird dreifach geprüf und gefestigt, durch Demut – entsprechend dem Kochen eines Eies im Wasser; durch Standhaftigkeit – entsprechend dem Braten eines Eies am Feuer; durch Eingebung – entsprechend einem in Fett gerösteten Ei.325
Gern greift Bernhard auf Gebäudeallegorien zurück. So finden sich in einer Kongregation zwei Mauern, die Chormönche und die Offizialen, d.h. die Mehrheit der Gemeinschaft und die Amtsträger (Novizenmeister, Kellermeister, Pförtner …), welche selten untereinander Frieden halten (!). Deshalb gibt es eine dritte Mauer, die sie einigt, der Abt und der Prior und andere fromme Brüder; das Fundament ist der heilige Beschluß.326 Da werden geistliche Festungen von Untugenden belagert327 und Seelengebäude errichtet328 – ein Thema, das Bernhard liebte, bediente er sich doch auch vor allem in den vermischten Predigten des Bildes vom Menschen als geistlicher Architektur in der Form der Stadt, der Burg, des Hauses und der Kirche.329
Nicht selten findet sich eine eher mechanisch wirkende, das Auswendiglernen erleichternde Aufzählung, bevorzugt in Triaden: Auf drei Weisen erhebt der Herr unser Haupt; drei Lebenszustände gibt es; viererlei macht unsere Hingabe wohlgefälliger; auf drei Weisen wird unsere Unwissenheit belehrt; drei Ursachen gibt es für fleischliche Erregung; vier Arten des Willens sind zu zählen; auf sieben Stufen steigt die Demut hinab;330 mit drei Pfeilen trifft der Herr unsere Feinde, mit drei anderen verwundet er seine Freunde (Liebeswunde)331 usf. Doch stößt man auch auf – wenn man das für das Mittelalter sagen darf und nicht doch schon eine ältere Vorlage existiert – Skizzen, die originell im positiven Sinn sind. So gibt es etwa ein Kreuz des Teufels, das detailreich dem Christi gegenübergestellt wird,332 oder sechs Flügel der Gläubigen.333 Von den theologiegeschichtlich interessanten Stellen sei auf eine Schilderung des Fegefeuers hingewiesen („regio expiationis“334), wie sie sonst in der Theologie der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts noch nicht üblich war.335
Sieben der acht Parabeln,336 mögen sie nun im Kapitelsaal oder außerhalb des Klosters337 vorgetragen worden sein oder der Tischlesung gedient haben, sind ausformulierte Texte; man könnte von allegorischen geistlichen Novellen sprechen, also ein narratives Genus, das Bernhard sonst nur ansatzweise innerhalb größerer Werke verwendet. So unreal die handelnden Gestalten meist sind – wiederum oft Personifikationen –, so real ist doch der Episodenstoff, der namentlich der ritterlichen Welt entnommen ist. Da wird z.B. die befestigte Stadt der Weisheit geschildert, umschlossen vom Graben der Demut, gesichert von der Mauer des Gehorsams, mit einer Burg in ihrer Mitte, die das Bett der Weisheit umschließt; sie wird von Pharao (dem Teufel) und seinen Verbündeten belagert, wogegen das Gebet auf dem Pferd des Glaubens zum Himmel geschickt wird. Der Himmelskönig sendet die Königin, die Liebe, die alles zum Guten wendet.338 Da kämpfen Babylon und Jerusalem, die beiden „civitates“ des Augustinus, unter ihren Königen Satan und Christus mit manchem allegorischen Personal gegeneinander;339 da richten sich die Töchter des Himmelskönigs, Glaube, Hoffung und Liebe, in der Seelenstadt ein, werden aber von verschiedenen Feinden wie Begehrlichkeit oder Zügellosigkeit verdrängt, worauf die Gnade mit dem himmlischen Heer die Ordnung wiederherstellt.340 Dialogisch aufgebaut, ein kleines Drama, ist die Parabel über die acht Seligpreisungen (Mt 5,3–10), die von einem Mönch als Händler in Paketform mit sich geführt werden. Er trifft unterwegs auf Christus, mit dem sich ein Zwiegespräch entwickelt, wobei der Herr sich um die Beschwernisse des Mönchslebens das Himmelreich abkaufen läßt. Des weiteren werden Sündenfall, Buße, strengere und mildere Observanz thematisiert.341 Diese Einkleidung, bei der keine Personifikationen verwendet werden (wenn der Mönch auch ein ‘Jedermann’ seines Standes ist), entspricht der zunehmenden Bedeutung des Handels in Bemhards Welt; in einer anderen Predigt stellt er sogar Christus als höchsten Händler dar, der Seelen freikauft.342
Die streckenweise ganz analogen Parabeln IV und VI erzählen kurzgefaßt die Geschichte der christlichen Kirche und spiegeln damit das Verständnis von Heilsgeschichte, von dem Bemhard ausging: Es ist das der im 12. Jahrhundert verbreiteten Auslegung der Geheimen Offenbarung.343 Nach der Zeit der Verfolgung kam die Zeit der Ketzer und Kirchenlehrer, nun ist die Epoche der falschen Geistlichen, noch zu erwarten ist das Kommen des Antichristen.344 Um seine auserwählte Braut (die Kirche) heiraten zu können, die in Ägypten gefangen ist, kommt der Königssohn auf die Erde und holt sie um den Preis seines Blutes zu sich. Pharao verfolgt sie und tötet ihre Verteidiger, die Apostel. Doch das Blut der Märtyrer führt zu vielfachem Wachstum, so daß sich der Feind ein anderes Vorgehen überlegt: er ruft Spaltungen und Irrlehren in ihrem Heer hervor, jedoch ihre Streiter wie Augustinus oder Hieronymus vertreiben die Ketzer. „Doch wehe, wehe, weder kann das Meer der Wogen noch dieses Leben der Versuchungen entbehren … Der Sünder sieht dies nämlich und erzürnt voll Neid, knirscht mit den Zähnen und grämt sich, und er wendet sich zu den Waffen der geistlichen Bosheit, neue Kriege zu bereiten. Und er ruft jene vortrefflichen Führer seines Heeres zusammen, den Geist der Hurerei, den Geist der Freßsucht und den Geist der Habgier …“345 Und diesen gelingt es: „Sie machen nämlich für sich aus den Bezeichnungen und Diensten der Religion Bezeichnungen und Rechte der Habsucht und der Überheblichkeit und der Eitelkeit … sie entkleiden die Kirche … Sie aber schreit und weint, in Schande entblößt und mit unverhülltem Gesäß, klagend über die gänzliche Preisgabe ihrer verborgenen Scham vor dem Gelächter aller … mit allen Kräften preßt sie nur einige Fetzen der Kanoniker- und Mönchsorden vor ihr Herz und ihr Inneres … Das sind unsere, das sind die für die Kirche gefährlichen Zeiten …“346 Denn der Antichrist steht noch bevor!
Eine Erwartung, die Bernhard in unmittelbarem Rekurs auf den Text der Apokalypse noch ausführlicher in der sechsten Parabel behandelt, in der die Personifikation der Kirche noch weiter getrieben wird. Dort beschreibt der Abt ausführlich ihre Kleidung, die sie von Christus erhält: Pelze sind die Prediger, Lederschuhe die beiden Testamente der Bibel, Handschuhe das aktive und das beschauliche Leben (jeder Finger wird noch eigens allegorisiert) usw. Auch hier wird die Kirche von denen, die sie eigentlich leiten sollten, verunstaltet, und nur einige Mönche und Regularkanoniker bleiben ihr, „von den anderen Gruppen der Menschen behält sie so gut wie keine zurück“.347 Bernhard spricht hier ganz klar aus, daß er all die anderen Stände, die hohen Prälaten und Priester, die gesamte Laienschaft, nur in äußerst beschränktem Maße für heilsfähig hält. Gerade ein paar aus dem Mönchsstand werden das Himmelreich bevölkern – ein gut augustinischer Pessimismus, und der Grund für seine eigene Wahl eines strengen Reformklosters. Wenn dies seine Überzeugung war, woran nicht zu zweifeln ist, dann sind seine späteren Aktivitäten als Kämpfer gegen die Ketzerei und Werber für den Kreuzzug, ja sein ganzes Engagement nach außen, auch Zeugnisse seiner Nächstenliebe, die ihn selbst das Unwahrscheinliche immer wieder versuchen ließ: noch ein paar Seelen zu retten, ehe der Tag des Zornes anbrechen würde.
Die liturgischen Sermones348 gelten vor allem den christologischen Festen: Advent, Weihnachten, Beschneidung, Epiphanie … Besonders ausführlich sprach Bernhard auch zur Fastenzeit. Doch dienen die Festtermine oft nur als Ausgangspunkte für die Ausbreitung von theologischen und v.a. moralischen Betrachtungen, die nichts mehr mit dem Feiertag zu tun haben müssen. Bernhard leitet seine Predigten oft weniger von den Tagesheiligen ab, als von der Bibelstelle, die an diesem Tag im Gottesdienst gelesen wurde. Um nur ein Beispiel zu geben: Die Predigt über den hl. Benedikt bringt nur ein oder zwei Anspielungen auf seine Vita, bespricht aber ausführlich moralische Themen, die genauso in jeder anderen Predigt stehen könnten: geistliche Fruchtbarkeit vor allem wird mit reicher Baum-Metaphorik vorgetragen, die Sünde Luzifers und die Klugheit der guten Engel werden erörtert, auch die der Apostel USW.349
Die 125 Sermones de diversis350 dagegen handeln von den unterschiedlichsten geistlichen Themen; gemeinsam ist ihnen nur ihr eher knapper Umfang, der im Durchschnitt zwei bis fünf Seiten umfaßt. Was Inhalt und Bildsprache betrifft, könnten sie, wären sie nicht in den Handschriften zusammen tradiert, meist genauso gut ein Teil der Sentenzen III sein. Allerdings ist nicht immer klar, ob es sich im einzelnen tatsächlich um ein Werk Bernhards handelt oder ob es von einem seiner Sekretäre, wie Nikolaus von Clairvaux, in seinem Namen verfaßt wurde. Manche der Motive, die in diesen unterschiedlichen Predigtgattungen vorkommen, finden sich auch in den Traktaten und anderen Werken; auch ein Bernhard mußte bisweilen auf schon Gesagtes zurückgreifen.