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Zisterzienser und Cluniazenser

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Im Jahre 1118, ca. 3 Jahre nach der Gründung, war Clairvaux groß genug geworden, um selbst eine erste Tochterabtei zu gründen: als Ort wurde mit Unterstützung des Bischofs von Châlons der Wald der drei Quellen, Trois-Fontaines, ausgesucht. Die Grundstücke für die Niederlassung, die wohl schon seit zwei Jahren im Gespräch war, als Bernhard eine Gruppe von Klerikern aus Châlons bekehrt hatte, stammten aus dem Besitz des Hugo von Vitry, der mit einem besonderen Förderer der Zisterzienser, Graf Theobald II von der Champagne, verwandt war. Roger, einer der genannten Kleriker, wurde der erste Abt.192 Noch viele weitere Gründungen sollten unter Bernhards Abbatiat erfolgen; bei seinem Tod 1153 gab es 68 unmittelbare und 97 mittelbare, also zusammen 165 Tochterklöster.193 Das entsprach fast der Hälfte aller damals existierenden Zisterzen.194 Als 1154 Bischof Arnulf von Lisieux schrieb, „die Wüsten beherbergen heute mehr Mönche, als sie früher wilde Tiere hatten“,195 war diese Kultivierung der Einöden auch Bernhards Verdienst. Mochte er in den ersten Jahren auch noch seiner Pflicht, die von ihm in die Wege geleiteten Gründungen einmal im Jahr zu visitieren,196 nachgekommen sein,197 so sollte ihm dies mit dem Ansteigen der Zahl der Töchter von Clairvaux, die in so fernen Gebieten wie England (Rievaulx 1131/32), Wales (Whitland 1140), Irland (Mellifont 1142), Schweden (Alvastra 1143) und Portugal (Alcobaça 1153) zu finden waren,198 unmöglich werden. Hier konnten nur, wenn überhaupt, Stellvertreter die langen Reisen unternehmen.

Trotzdem, und trotz aller künftig noch dazukommenden Schenkungen, muß das Leben der Mönche in Clairvaux unter Bernhard von großer Kargheit und Konzentration auf die Spiritualia geprägt gewesen sein. Noch lebte man in strenger Ordnung und tiefem Schweigen, das nur von Psalmgesängen und Arbeitsgeräusch unterbrochen wurde. Dem wenig fuchtbaren Boden mußte wohl jeder Bissen abgerungen werden.199 „singularis quaedam et austerior conversatio“, eine (von anderen Orden) abhebende und strengere Lebensweise, so wird Bernhard später selbst dazu sagen.200 Er und seine Mitstreiter hatten darob auch ein entsprechendes Selbstwertgefühl: Jeder von ihnen, predigte Bernhard, der in der Welt auch nur ein Viertel dessen vollbrächte, was er im Kloster an Askese leistete, würde wie ein Heiliger oder Engel verehrt.201 Denn täglich ertrügen sie Todesqualen über alle menschliche Kräfte und gegen die menschliche Natur.202

Die Strenge des frühen Ordens gab sogar manchen Dichtem von Vagantenlyrik Stoff. So schrieb ein Kleriker (doch wohl kaum Walter Map?) halb bewundernd und halb ironisch unter dem Pseudonym Discipulus Goliae:

Mirae sunt continentiae, mirae parcitatis,

hostes vanae gloriae, hostes vanitatis,

frigore et macie se affligunt gratis,

ut sic possent specie frui deitatis.

Cultus his exterior rudis et abiectus,

cibus est austerior, et stratus neglectus.

sermo quoque parcior, et vix intellectus,

nullus ordo sanetior, nullus tam perfectus. 203

“Von wundersamer Enthaltsamkeit sind sie, von wundersamer Kargheit, Feinde leeren Ruhms, Feinde der Eitelkeit. Mit Kälte und Hunger kasteien sie sich freiwillig, um so die Schau der Gottheit zu genießen. Die äußere Erscheinung ist grob und verwahrlost, das Essen bescheidenst und das Lager vernachlässigt. Auch ihre Rede ist äußerst knapp und kaum verständlich. Kein Orden ist heiliger, keiner so vollkommen. „

Ein um 1130 dichtender Satiriker, der auf den Namen Paganus Bolotinus hörte und Kanoniker in Chartres gewesen sein soll, läßt einen lebenden, aber falschen Heiligen, der in manchen Zügen Bernhard gleicht, in anderen wieder gar nicht, folgendermaßen für seinen Orden „werben“:

Mane refectis poeula nobis dantur aquarum;

cepa, legumen dona ministrant deliciarum.

Strata parantur fagmine culmi vel palearum,

solaque nobis cognita fiunt lustra ferarum.204

“Morgens werden wir mit Bechern voller Wasser gespeist,

Zwiebelgemüse reicht man als köstliche Gabe.

Das Lager besteht aus gehäxeltem Spreu oder Stroh,

und nur die Verstecke wilder Tiere werden uns bekannt“.

Karges Essen, hartes Lager, einsame Gegend – die aus dem Orden selbst stammenden Quellen passen genau dazu. Ein Brief, in dem ein späterer Abt von Clairvaux einen verfressenen Amtskollegen mit einer Schilderung der Zustände, wie er sie selbst als Mönch unter dem Heiligen erlebt hatte, zu mehr Askese zu ermahnen versucht, gibt die Verhältnisse mit Sicherheit richtig wieder. Fastradus (reg. 1157–1161) bezeichnet da als die übliche Kost, sogar zu Ostern, ohne Öl und Speck gekochtes Gemüse, Bohnen und Erbsen sowie Brot aus Hafer (das schmeckte wie Erde, befand Wilhelm von Saint-Thierry aus eigener Erfahrung205). Als Zukost gab es Buchenblätter.206 Fleisch verschmähten die frühen Zisterzienser, erinnerte doch die vegetarische Kost an die paradiesische Zeit vor dem Sündenfall, als sich die Geschöpfe nur von Pflanzen ernährten.207 Daß der Gescholtene Krankheit als Entschuldigung vorbrachte, ließ Fastradus nicht gelten, indem er ihm das Vorbild des ebenso oder noch viel kränkeren Berhard entgegenhielt: „Du irrst völlig, wenn Du meinst, ein Mönch dürfe sich der Medizin der Laien bedienen. Wir sind nämlich ins Kloster gekommen, um Mühsal für den Körper zu suchen, nicht Bequemlichkeit und Lust! … Glaube mir, mein Vater, öfter habe ich den heiligen Bernhard nur mit Skrupel Mehlbrei essen gesehen, dem Öl und Honig beigemischt waren, um den Magen zu erwärmen. Und wenn ich ihm wegen dieser Strenge Vorwürfe machte, sagte er: ‘Mein Sohn, wenn du dir die Verpflichtung des Mönches bewußt machen würdest, wäre jeder Bissen, den du ißt, mit Tränen zu befeuchten … Die heiligen Väter, unsere Vorgänger, haben feuchte und steile Täler ausgesucht, um Klöster zu erbauen, damit sie oft kranke Mönche und den Tod vor Augen hätten, und nicht, damit sie in Ruhe lebten!“’208 Fastradus blieb hier ganz auf der streng asketischen Linie, die Bernhard selbst eingeschlagen und von den Mitbrüdern verlangt hatte.209 Eine seiner späteren Hohelied-Predigten setzt sich einläßlich und sehr kritisch mit den Mönchen auseinander, die angeblich diese Kost nicht vertragen, „observatores ciborum, morum neglectores“,210 „Beachter der Speisen und Verächter der Sitten“.

Von benediktinischer Seite wurde auch dies kritisiert: Der anonyme Verfasser der Antwort des Cluniazenserordens auf Bernhards Apologia meint, die ohnehin blutlosen Zisterzienser würden sogar ihre Erkrankten mit maßloser Grobheit behandeln, was Hunger und Kälte betrifft, und so mehr zerstören als erbauen.211 Daß dies wirklich die Einstellung Bernhards war, obgleich er durchaus sogar Kleriker abweisen konnte, die für das harte Leben in seinem Kloster nicht gesund genug waren,212 zeigt sein Umgang mit seinem eigenen Leib und bekräftigen eigene Aussagen von ihm aus späterer Zeit.213 Ob es angesichts dieser Härten nicht tatsächlich manche Ordensangehörige gegeben hat, die, wie Paganus spöttelte, bisweilen in die Stadt kamen, um dort einmal richtig zu tafeln und zu trinken?214 Aber immerhin galten die Zisterzienser gegen Ende des Jahrhunderts noch immer als so streng, daß sich der Fuchs im Roman de Renard, einem satirischen Tierepos, weigert, in diesen Orden einzutreten, weil er morgens gerne ißt und nicht fasten kann … Vielmehr ist der Orden so streng, daß sich seine Mitglieder zu Tode hungern und arbeiten. „Si n’i fait pas bon demorer“215: „Wahrlich, dort ist nicht gut sein.“

Aber gerade diese Strenge erschien vielen als der beste Weg zum Himmelreich, und die Population von Clairvaux wuchs und wuchs. Daher hatte Bernhard dafür zu sorgen, daß weitere Tochterklöster für seine Mönche gebaut wurden. Im Oktober 1119 zog dazu einer seiner Verwandten aus Clairvaux aus, der sechs Jahre früher mit ihm nach Cîteaux gekommen war: sein Vetter Gottfried von La Roche-Vanneau.216 Dieser Adelige sollte Abt der zweiten Tochter von Clairvaux werden, Fontenay in der Diözese Autun, errichtet auf Grundstücken, die meistenteils Reinhard von Montbard gehörten, einem der Onkel Bernhards mütterlicherseits. Dieser vollzog die Gründung u.a. für die Seelen seiner verstorbenen Eltern und „aus Liebe für den Herrn Bernhard, Abt von Clairvaux“.217

Auf ähnliche Weise sollte Bernhard gleichzeitig seinen Orden und seine Familie weiter ausdehnen, auch die dritte Gründung, Foigny, stand unter einem seiner Verwandten (1121), jenem Rainald, der 1117 nach Clairvaux gekommen war und für den wohl der zweite Teil der Fragmenta, der der Vita Bernhards zugrunde liegenden biographischen Sammlung, geschrieben wurde.218 Bernhard verhielt sich hier nicht anders als jeder weltliche Herr, der versucht, den Machtbereich seines Clans durch Heirat, Eroberung, Kauf usw. auszudehnen. Nur daß es hier ein Netz von Abteien und Bistümern war, das der Abt von Clairvaux um sich herum ausbreitete. „Es war damals wirklich die goldene Zeit Clairvaux’, als tugendreiche Männer, die vordem in der Welt reich und geehrt waren, sich nun aber der Armut Christi rühmten, die Kirche Gottes pflanzten mit ihrem Blut, ihrer Arbeit und Mühe, in Hunger und Durst, Kälte und Blöße, Verfolgungen, Schmach und vielfacher Bedrängnis …“219 So sah es Bernhards Biograph Wilhelm von Saint-Thierry einige Jahre später, halb mythisch verklärend und doch ohne Lüge.

1119 wurde von den in Cîteaux versammelten Äbten, also auch unter Bernhards Mitwirkung, ein Dokument für verbindlich erklärt, das die Verwaltungsstruktur des Zisterzienserordens festlegte. Die Charta caritatis,220 von der eine frühere Fassung wenigstens auf 1114 zurückgeht, als Pontigny gegründet wurde, setzte vor allem fest, daß die Mönche in allen Häusern nach denselben Konventionen leben sollten – bei den sonstigen Benediktinern hatten dagegen die meisten Klöster ihre eigenen Gewohnheiten (‘consuetudines’). Das implizierte u.a., daß man dieselben liturgischen Bücher benutzen mußte, die sonst je nach Diözese Abweichungen aufwiesen, daß die Mutterklöster einmal pro Jahr ihre Filiationen visitierten (d.h. kontrollierten), daß alle Äbte jedes Jahr zu einem Generalkapitel zusammenkommen mußten, daß die Vorsteher nach einem bestimmten Modus gewählt werden sollten etc. Noch im Dezember desselben Jahres bestätigte Papst Kalixt II. dieses Dokument, womit es kirchenrechtliche Gültigkeit erhielt. Daß in der Praxis sogleich Ausnahmen gemacht wurden, wenn sich bereits bestehende Konvente den Zisterziensern anschlossen, und daß die Verbreitung über ganz Europa die Berücksichtigung der regionalen Gegebenheiten erforderte, sollte auf längere Sicht freilich auch bei diesen Reformmönchen zu manchen lokalen Unterschiedlichkeiten führen.221

Die nun explosionsartig einsetzende Ausbreitung der Zisterzienser stieß außerhalb des Ordens freilich nicht nur auf Begeisterung. Ein Zeugnis dafür ist, was ein Vagantendichter von der Schar der Grauen Mönchen singt:

Quae exosa sentio caelo, terrae, mari,

quibus omnis regio solet devastari,

quibus nullo studio potest obviari;

Pestis animalium, quae shuta vocatur,

et Cisterciensium, quae sie dilatatur. „222

Die ist, glaube ich, verhaßt Himmel, Erde und Meer,

für sie wird meist jedes Land verwüstet,

sie kann man mit keiner Anstrengung zurückhalten;

die Tierseuche, die Shuta heißt,

verbreitet sich so, und die Seuche der Zisterzienser!

Wohl 1119 oder 20 kam ein Besucher an Bernhards Krankenlager,223 der das Bild des Zisterziensers in der Nachwelt grundlegend prägen sollte. Es war ein studierter Mann aus adeliger Familie, der eben Abt224 des bei Reims gelegenen Benediktinerklosters geworden war, das dem hl. Theoderich geweiht war und dem cluniazensischen Verband angehörte. Wilhelm von Saint-Thierry war sofort von dem etwa zehn Jahre jüngeren225 Bernhard hingerissen: „Eine solch liebevolle Zuneigung jenem Mann gegenüber ergriff mich und ein solches Verlangen, mit ihm in jener Armut und Einfachheit zusammenzuleben, daß, hätte ich an jenem Tag die Wahl gehabt, ich nichts so sehr gewünscht hätte, als dort mit ihm immer zu bleiben, um ihm zu dienen. „226 Was Wilhelm hier als selbst erlebt beschreibt, war jene spontane Faszination, die Bernhard immer wieder Menschen zuführen sollte. Sie ergriff, wie dieses und hunderte anderer Beispiele zeigen; nicht nur einfache Gläubige, die einen lebenden Heiligen verehren wollten, sondern auch Angehörige der Intelligenzija. Diesem Charisma erlagen natürlich nicht alle, man denke an Abaelard oder Gilbert von Poitiers, aber es erlagen ihm durchaus nicht nur Leute mit einem Hang zur Mystik, wie Wilhelm oder Aelred.

Wir können uns, von solchen Reaktionen abgesehen, nur mehr durch Bernhards Briefe und Predigten ein wenig von seiner Ausstrahlung berühren lassen, nicht mehr aber nachvollziehen, wie er spontan auf Menschen zu wirken vermochte. Einige Worte der Charakteristik Bernhards durch seine Freunde seien jedoch hierzu zitiert. Der Zisterzienser hat sich ja oft und streng gegen die monastische Sünde des Lachens ausgesprochen,227 womit er in der gut benediktinischen Tradition der Nachahmung Christi stand, denn dieses große Vorbild hatte nach Ausweis der Bibel in der Tat des öfteren geweint, nie aber gelacht. Das sollte jedoch nicht dazu verleiten, sich Bernhard als Finsterling zu denken – wie hätte ein solcher Mann so zahlreiche Anhänger an sich ziehen können? Sein Sekretär Gottfried hat seinen Charakter geschickt ausgedrückt: Gewiß war er ein ernster Mann,228 doch Freundlichkeit machte seine reine Strenge liebenswert, und diese machte erstere leicht annehmbar: „quod puritatem suavitas amabilem faceret, suavitatem puritas acceptabilem“.229 Sein Freund Wilhelm beschreibt das feine Lächeln, mit dem ihm Bernhard gegenübertrat – ein solches war nicht untersagt, sondern der Abt forderte es selbst von seinen Mönchen als Zeichen willigen Gehorsams, wenn er ihnen etwas befahl230 – fast unübersetzbar mit: „modo illo suo generoso arridens“.231 In „generosus“232 steckt unüberhörbar etwas, was nach damaligen Vorstellungen nur dem Adel zukam, die vornehme Freundlichkeit, mit der Gleichgestellte einander grüßen. Und wen Bernhard in seinem Kloster empfing, der war, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht nur fromm, sondern vor allem auch ebenbürtig. Und sicher darf man Bernhards Schilderung des Verhaltens der von Gott ergriffenen Seele auf ihn selbst anwenden: „si tamen risus, mixtus gravitate et plenus honesti“,233 „wenn schon ein Lächeln, dann gemischt mit Würde und voller Ehrbarkeit“.

Diese Begegnung der beiden Äbte sollte jedenfalls ihre Geschicke mitentscheiden: Wilhelm hat sie später zu den Zisterziensern geführt und Bernhard in die Auseinandersetzung mit Abaelard hineingetrieben. Sie beide bleiben einander lebenslang in Freundschaft verbunden; Wilheim galt sogar als der Mensch, der Bernhard am vertrautesten gewesen sei.234 (Abb. 10)

Bernhard von Clairvaux

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