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Bernhards erstes Eingreifen (1124)
Оглавление“Als nun Bernhard, von Gott und den Menschen geliebt, in seinem Tal und den benachbarten Städten und Gebieten, die bisweilen zu besuchen ihm die Obsorge um sein Kloster zwingenden Grund gab, durch so viele Tugenden und Wunder blühte, begann er auch – entweder wegen allgemeiner Notwendigkeiten der Kirche oder aus Zuneigung zu den Brüdern oder Gehorsam den Oberen gegenüber – bis in entfernte Gebiete gezogen zu werden, um in verzweifelten Situationen Frieden zwischen streitenden Kirchen und weltlichen Fürsten wiederherzustellen, Rechtsfälle, die mit menschlichem Sinn und Rat nicht zu beendigen waren, mit Gottes Hilfe friedlich beizulegen, und, eher durch Glaubenskraft denn durch den Geist dieser Welt aus vielem Unmöglichem dieser Art Mögliches machend, gleichsam Berge versetzend, mehr und mehr in den Augen aller wunderbar und verehrungswürdig zu erscheinen. „403 So Freund Wilhelm (zugleich eine Probe seines Stils). Damit ist der Beginn von Bernhard Wirken über seine engste Umgebung hinaus umrissen, der Beginn eines „Doppellebens“ zwischen Kloster und Welt, dessentwegen er sich selbst als die „Chimäre seiner Generation“ bezeichnen sollte.404
In der Tat, der Orden insgesamt wie Clairvaux im speziellen hatte alle Anfangsschwierigkeiten überwunden, und sie florierten in einem Ausmaß, wie es keiner der Gründerväter hatte erwarten können. Bernhard konnte sich also beruhigt neuen Aufgaben zuwenden, die teils an ihn herangetragen wurden oder um die er sich teils selbst bemühte. Sogar manche Benediktinerabtei bat darum, in den Orden aufgenommen zu werden, also den ‘transitus’ eines kompletten Konvents vollziehen zu dürfen, so wie 1124 Lucedio in der italienischen Diözese Vercelli.405 Im selben Jahr war auch das erste Mal ein Zisterzienser auf einen Bischofsthron berufen worden, weit nach Süden: der Abt Peter von La Ferté auf den von Tarentaise in der savoyischen Stadt Moûtiers. Und ähnliche Rangerhöhungen sollten in den nächsten Jahrzehnten so oft erfolgen, daß sich die Ordensgesetzgebung damit beschäftigen mußte.406 Bernhard predigte zwar dagegen, daß einer der Seinen dieses Amt anstrebe,407 trotzdem sollten sich bei seinem Tode zahlreiche Mönche aus Clairvaux eben in dieser Position finden, und nicht ohne seine Hilfe.408
Ende November oder Anfang Dezember409 1124 ereignete sich in der „heilen Welt“ der Zisterzienser jedoch ein in ganz anderer Hinsicht aufsehenerregender Fall.410 Es handelte sich um eine Regelverletzung, eine „praesumpta novitas“411 (unübliches und anmaßendes Verhalten), das Bernhard wohl an das Wirken des bösen Feindes erinnern mochte. Gleichzeitig mit Clairvaux war – von Cîteaux aus – als vierte Tochter Morimond412 gegründet worden, im östlichen Lothringen, nahe der deutschen Sprachgrenze gelegen. Ein Deutscher war zum Abt gewählt worden, ein studierter Rheinländer namens Arnold, der seinerseits dafür sorgte, daß sich der Orden in sein Heimatland ausbreitete, indem er 1123 die erste Zisterze Deutschlands gründete, Altenkamp bei Köln. Morimond scheint ein Kloster für den hohen Adel gewesen zu sein: ein Sohn des bayerischen Herzogs war schon dort eingetreten, desgleichen einer des Kärntner Herzogs, dann ein Sprößling der Grafen von Berg, einige Jahre später (1132) sollte ein Onkel Kaiser Friedrich Barbarossas, Otto von Freising, der berühmteste deutsche Historiker des 12. Jahrhunderts, dort Mönch werden.413 Doch 1124 stand die Existenz des Klosters auf des Messers Schneide, wie wir aus Briefen Bernhards an den Prälaten Bruno von Berg (den späteren Kölner Erzbischof) und an Papst Kalixt erfahren414: Ohne Erlaubnis des Abtes von Cîteaux, ohne Rat der Mitäbte (die beiden Strukturelemente der zisterziensischen Organisation, ein monarchisches und ein genossenschaftliches) hatte es Arnold gewagt, sich in Begleitung zahlreicher seiner Mönche auf eine Reise nach Jerusalem zu begeben. Angeblich wollte er dort ein Kloster gründen. Im Orden sah man darin allerdings das Wirken des „Geistes des Leichtsinns“, waren im Heiligen Land doch, so Bernhard, „kämpfende Ritter nötiger als singende oder weinende Mönche“415 (wobei letzteres durchaus positiv gemeint ist, da darin seit Hieronymus416 das „oficium“, die Aufgabe, des Mönchs gesehen wurde). Wichtiger war aber: wie sollte die Disziplin aufrecht erhalten werden, wenn jeder Abt, der meinte, zu sehr von seinen Amtspflichten bedrückt zu werden, sich auf diese Weise dem Orden entziehen könnte und seine Mönche zugleich? Und die Jerusalemfahrt, so ratsam sie für jeden Laien war, war nichts für Religiosen. So jedenfalls Bernhards feste Überzeugung, der Mönchen regelmäßig von einem solchen Unternehmen abriet, ja sogar einmal die Exkommunikation dafür androhte.417 Denn „nicht das irdische, sondern das himmlische Jerusalem zu suchen, ist den Mönchen aufgegeben, wohin man nicht zu Fuß aufbricht, sondern mit Liebe hinschreitet! „418
Hier einzugreifen ermöglichte Bernhard ein Zufall, den er sofort bis zum Äußersten ausnützte, indem er sogar versuchte, den Papst zu mobilisieren. Zuständig gewesen wäre natürlich der Vorsteher von Cîteaux, Stephan Harding. Aber Stephan Harding war auf einer Reise nach Flandern und angeblich nicht zu erreichen. Jedenfalls hat sich Bernhard nicht darum bemüht, als ein Bote in Clairvaux eintraf, der dort Harding zu treffen hoffte. Bernhard nahm vielmehr die Sache sogleich selbst in die Hand, schrieb an den Papst, schrieb an Arnold.
Mit seinem ihm eigenen typischen Selbstvertrauen wendet er sich an den Abtrünnigen: „Voll des Glaubens eigne ich auch mir jenen Satz an: Alles vermag ich in dem, der mich stärkt’ (Phil 4, 13)“.419 Er setzt sich rückhaltlos, hundertprozentig für die Sache ein, die er einmal als richtig erkannt hat – sicher ein gewichtiger Teil seiner Wirkung auf andere Menschen. „Wie vieles, was mich gegen Dich bewegt, würde ich Dir, sei es vergeblich oder erfolgreich, ins Gesicht schleudern (iacerem tibi in faciem), nicht nur mit Worten, sondern auch mit Miene und Blick! Dann würde ich mich zu Euren Füßen werfen, die Beine festhalten, die Knie umschlingen, mich ganz an Euren Hals hängen (a collo pendens), dieses Haupt abküssen …“420 Du große Säule unseres Ordens, Du wirst stürzen und die Dir anvertraute Herde mit in den Untergang reißen! Gib mir die Gelegenheit, mit Dir zu sprechen, und ich werde dafür sorgen, daß Du das Begonnene mit Erlaubnis durchführen kannst!421
Einem der Mönche Arnolds, Adam, schreibt Bernhard gleichzeitig: Wie kannst Du Dein Gelübde der Orts beständigkeit brechen für eine Pilgerreise, nein, ein Vagabundendasein (Anspielung auf die vom hl. Benedikt verdammten umherschweifenden Mönche, die Gyrovagen422)! Dies ist eine teuflische Versuchung! Ich beschwöre Dich, gehe nicht fort, ohne mit mir zu einem Gespräch zusammengekommen zu sein!423 Adam erhielt von Bernhard am Beginn des Jahres 1125 noch einen zweiten Brief, eher einen Brieftraktat über mönchischen Gehorsam.424 Bei diesem Mönch war Bernhard offensichtlich erfolgreich, denn Adam (vorausgesetzt, es handelt sich um keinen anderen Morimonder Bruder desselben Namens) wird 1127 als derjenige genannt, der die zisterziensische Neugründung Ebrach in Bayern leiten sollte. Er wurde ein bei Papst und König geschätzter Prälat; zwanzig Jahre später wirkte er als Kreuzzugsprediger in Bernhards Auftrag und wird im Orden als Seliger verehrt.425
Bernhards Brief an Arnold dagegen blieb erfolglos. Freilich, weit kam dieser nicht. Wieder einmal sollte Bernhard recht behalten: der Flüchtling fand in Jahresfrist, im Januar 1125, in Flandern sein „gebührendes, wenn auch erschreckliches“ Ende, wie er anscheinend mitleidlos vermerkte.426 Ein Teil der Mönche kehrte nach Morimond zurück. Wer wurde der neue Abt von Morimond? Bernhards rechte Hand, der Prior Walter von Clairvaux!427
Es ist aufschlußreich, die verschiedenen Briefe Bernhards in dieser Sache hinsichtlich ihrer Aussagen zu Arnold zu vergleichen. Während er ihn selber seiner Freundschaft und Liebe versichert und ungeachtet seiner Hartnäckigkeit auf seine Umkehr hofft, läßt er Bruno von Berg wissen, dieser brauche sich angesichts der „Obstination“ des Abtes gar nicht mehr um ihn zu bemühen.428 Dies sollte man nicht hinweginterpretieren. In der Tat hat Bernhard seine Briefe oft nicht Satz für Satz ausformuliert, sondern das seiner Kanzlei überlassen – aber da diese sich seines Stils vollendet bediente, weiß man nicht, in welchem Grad jeweils ein bestimmtes Schreiben präzise oder nur ungefähr Bernhards Intentionen entsprach. Man weiß auch nicht, ab wann Bernhard diese Tätigkeit so deutlich delegiert hat, denn die entsprechende Nachricht429 stammt erst von 1149 und läßt sich wohl kaum auf die ersten Dezennien von Bernhards Abbatiat zurückprojizieren. Vielmehr dürfte erst die Werbung für den Kreuzzug das Scriptorium von Clairvaux so dominant gemacht haben. Daß aber seine Schreiber das Gegenteil seines Diktates geschrieben hätten, ist in keinem Fall zu beweisen. Bernhard schrieb oder diktierte hier also – wie auch sonst gelegentlich – wirklich mit gespaltener Zunge.
Aus dem September oder Oktober 1124 sind drei weitere Briefe Bernhards erhalten, die noch deutlicher die Gelegenheit bieten, an ihm eine Seite kennenzulernen, welche die seine Verehrung als Heiliger fördern wollenden Biographien und die mit demselben Ziel getroffenen Auswahlen aus seinem Epistolar sonst bedachtsam verbergen: Bernhard war keineswegs darüber erhaben, sich der Lüge zu bedienen, obschon er sich in anderem Zusammenhang von ihr als widerchristlich und gegen sein Gelübde distanziert.430 Die drei Schreiben431 betreffen alle den Fall des Mönches Drogo von Saint-Nicaise zu Reims, der dieses Kloster verlassen und zu Bernhards Freund aus den Studientagen in Vorles, Hugo, dem Abt der Zisterze Pontigny, geflüchtet war.432 Dem ob dieses ‘transitus’ klagenden Reimser Benediktinerabt schrieb Bernhard nun, „hätte Bruder Drogo mich bezüglich seines Weggangs konsultiert: es sei fern, daß ich zustimmen würde!“433 Dem dadurch beunruhigten Zisterzienserabt von Pontigny dagegen teilte er mit, er müsse Drogo „gratulieren“, daß er sein Vorhaben verwirklicht habe.434 Den vorherigen Brief an den Benediktinerabt habe er doch nur der guten Beziehungen wegen abfassen müssen (zumal auch der Erzbischof von Reims gegen diesen ‘transitus’ war) – es heißt ganz eindeutig, jene Worte seien nur „dispensatorie, ut non dicam simulatorie“,435 „diplomatischer-, um nicht zu sagen trügerischerweise“ geschrieben worden! Keineswegs solle Hugo Drogo wirklich zurücksenden. Und diesen selbst ließ er sogar wissen: „Es ist ein Hinweis auf Deine Vollkommenheit, was Du nun begonnen! „436