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Profeß (1114)

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Am Ende des Noviziatsjahres legte Bernhard mit seinen Freunden und Verwandten die Profeß ab, das Versprechen von ewiger Armut, Gehorsam und Keuschheit. Es war dies ein stark ritualisierter Vorgang, wie so vieles in einer Zeit noch weitgehend mündlicher und gestischer Kommunikation.64 Doch kannten gerade die Klöster als Horte der von der Spätantike ererbten Schriftkultur zusätzlich den Vertrag mit dem Klosterpatron in Form einer eigenhändigen Urkunde, die auf dem Hauptaltar zu hinterlegen war.65 „Sobald er dies getan hat, beginne der Novize sogleich diesen Vers: ‘Nimm mich auf, oh Herr, nach deiner Verheißung, und ich werde leben, und vereitle nicht meine Erwartung.’ Diesen Vers wiederhole die ganze Gemeinschaft und füge hinzu: ‘Ehre sei dem Vater’. Dann soll sich dieser neue Bruder jedem einzelnen zu Füßen werfen, damit sie für ihn beten. Und schon von diesem Tag an wird er zur Gemeinschaft gezählt. „66 Darauf folgt die Einkleidung mit dem Mönchshabit – so die Benediktusregel. Nicht anders kann es bei Bernhards Profeß zugegangen sein: die Brüder trugen nun und für den Rest ihres Lebens die aus ungefärbter Wolle gewobene Kutte der Zisterzienser mit ihrer Kapuze und den langen, weiten Ärmeln, graubraun und grob im Unterschied zum schwarzen, aus feinem Tuch gefertigten Habit des Mutterordens67 (in der Landessprache unterschied man daher „blanc ordene“ und „moines noirs“68). Diese Symbolhandlung war nach Anschauung der Zeit entscheidend; die Mönchsgewandung so heilig, daß man auf sie einen Schwur ablegen konnte.69 Ob die Professen in Cîteaux vor dieser Einkleidung auch ein Bad zu nehmen hatten,70 wie sonst manchmal erwähnt, wissen wir nicht. Jedenfalls ließen sie sich rasieren und die Haare schneiden, „couroner“, eine Krone scheren, d.h., sie nahmen die große runde Tonsur71 auf sich zum Zeichen der Unterwerfung. Da dieser Brauch an die Praxis bei der Versklavung erinnert, bezeichnete die Tonsur die freiwillige Selbstversklavung gegenüber der Klosterpatronin Maria, wurde aber auch als Symbol künftiger Himmelskrönung verstanden.72

Bernhard hatte sich damit endgültig einer Gemeinschaft angeschlossen, deren Ziel die Suche nach den Ursprüngen christlichen Lebens war, wie man es im Evangelium, in der Apostelgeschichte mit ihrem vermeintlichen Kommunismus, aber genauso in den Lebensbeschreibungen der ersten Mönche in der ägyptischen und syrischen Wüste zu finden meinte. Er hatte für sich damit die institutionalisierte Form der Armutsbewegung gewählt, jener Reformbewegung, die als Reaktion auf den Reichtum von Kirche und Welt im Hochmittelalter dem Gebot Christi von der vollkommenen Besitzlosigkeit (Mt 19, 21) ernstlich nachkommen wollte.73 Viele Gläubige verstanden dies so, daß sie die Funktionäre der feudalen Kirche ihrer riesigen Besitzungen entblößt sehen wollten und davon träumten, von wirklich armen Priestern und Prälaten geistlich betreut zu werden. Da es nur sehr wenigen Angehörigen dieses Standes mit den von ihnen gepredigten Idealen so ernst war, blieben solche Wünsche stets erfolglos; am bezeichnendsten ist wohl, daß der einzige nennenswerte Versuch eines Papstes jener Zeit, einen fühlbaren Schritt in diese Richtung zu machen, kläglich am Widerstand des Episkopates scheiterte: Pascal II. hatte 1111 dem deutschen Kaiser Heinrich V. angeboten, seine Kirchenfürsten sollten auf die Regalien (die ihnen vom König verliehenen Einkünfte) verzichten, wenn der Herrscher dafür Freiheit bei ihrer Wahl garantiere.74

Trotzdem gab es eine Reform.75 Zunächst, schon nach der Mitte des 11. Jahrhunderts, hatte sich das Papsttum ein gutes Stück vom stadtrömischen Einfluß gelöst, der es bislang zum Spielball der lokalen Machthaber gemacht hatte. Das war freilich nur um den Preis der Stärkung der kaiserlichen Macht zu erreichen gewesen, deren Ritter den Römer gewachsen waren. Gregor VII. (reg. 1073–1085) versuchte dann, sich nicht nur aus der Vormacht auch des deutschen Herrschers zu lösen, sondern überhaupt das Papsttum dem in der Theorie bislang ebenso sakralen Kaisertum überzuordnen. Dazu sollte der Kaiser als bloßer Laie angesehen werden und die Kirche ihre „Freiheit“ erhalten, d.h. Laien die bislang übliche Lenkung der Wahlen der höheren Geistlichkeit untersagt und das Institut der Eigenkirchen und -klöster beendet werden, wie es ja eigentlich Kirchenrecht war. Ausgekämpft wurde dieser Konflikt der beiden obersten Instanzen der westlichen Christenheit im sog. Investiturstreit. Wie immer man ihn auch berurteilt, das Papsttum hatte am Ende des 11. Jahrhunderts an Prestige gewonnen, wozu nicht zuletzt der auf seine Initiative unternommene erfolgreiche Erste Kreuzzug (1096/99) beitrug. Innerkirchlich sollten zugleich schon längst dem kanonischen Recht angehörige Bestimmungen, die aber kaum praktiziert wurden, verwirklicht werden, nämlich die Ehelosigkeit des Priestertums und das Verbot des Ämterkaufes.

Nach Gregors Tod verlagerten sich die Ideale eines Teils der kirchlichen Führung immer stärker in Richtung auf eine innere Reform des Klerus, und man versuchte sozusagen, „vom Gregor VII. des zweiten Stadiums zum Mönch Hildebrand [wie der Papst vorher hieß] zurückzukehren“.76 Als Kaiser und Papst 1122, nachdem viel Blut geflossen war, in Worms zu einem Übereinkommen gelangten, das freilich wenig an der tatsächlichen Einflußnahme der weltlichen Großen auf Bischofs- und Abtwahlen änderte, blieb der Reformimpuls bestehen, konzentrierte sich aber stärker auf die Lebensführung der Geistlichkeit: diese sollte sich von den Laien deutlich unterscheiden, indem sie auf feudalen Prunk und adeliges Auftreten verzichtete. Nachdem der Versuch der Überordnung des Priesterstandes über die Laien zwar in der kanonistischen Theorie festgeschrieben worden war, nicht aber in der Praxis der Machtverhältnisse funktioniert hatte, setzte man darauf, die Laien durch eine geistliche Autorität zu führen, die an ihrer korrekten Lebensführung erkennbar sein sollte. Die erste und reinste Verkörperung dieser Richtung der innerkirchlichen Reform stellte ihr monastischer Flügel in Gestalt der neuen Orden dar, deren Äbte die Laien ursprünglich nicht beherrschen, sondern bekehren wollten.77 Sie waren es offenbar, die Bernhard schon in seiner Jugend als Vorbild annahm und deretwegen er sich ein Kloster aussuchte, das nicht die feudalen Traditionen weiterführte, sondern jener Komponente der Reformbewegung besonders nachstrebte, die in der Erfüllung der evangelischen Armut bestand. Darin, so meinte er, müßte die beste Chance liegen, der Hölle zu entgehen und das Himmelreich zu gewinnen. Und darauf sollte er auch in seinen späteren Traktaten und Briefen immer wieder hinweisen.78

Nun war dies eben nur ein Teil der Geistlichkeit, und zwar deutlich ein geringer, wenn auch nicht einflußloser, der solche Ideale wirklich und nicht nur pro forma vertrat. Auch er ließ sich freilich nichts von außen sagen, da gerade der Investiturstreit im Priestertum die Überzeugung gestärkt hatte, den Laien kraft des Amtes klar übergeordnet zu sein. Die gewöhnliche Reaktion der Kirche war und blieb es, jede laikale Bewegung als häretisch zu verurteilen, die von ihr Armut nicht nur im Wort, sondern in der Lebensführung verlangte, und sie mit aller Macht zu verfolgen. Albigenser, Katharer, Patariner, Petrobrusianer, Henrizianer, Waldenser und Humiliaten …79 – alles Ketzer, alles Feinde der Catholica allein schon aus diesem Grunde, abgesehen von den Divergenzen in einzelnen Punkten der Glaubenslehre. Bernhard sollte selbst heftig gegen Reformer kämpfen, die sich für eine derartige Veränderung der Hierarchie engagierten, ohne durch ein entsprechendes Amt ausgewiesen zu sein.80

Wenn man orthodox in der Kirche bleiben und trotzdem das Armutsgebot konkret erfüllen wollte, dann war die ‘vita evangelica’ fast nur innerhalb einer schon bestehenden Institution dieses Organismus möglich, nämlich im Mönchtum. In dieser virtuosen Form der christlichen Religion wurde, nicht ohne Widerstände, aber auch mit Bewunderung sogar von Päpsten, die selbst aus dieser Bewegung kamen oder ihr nahestanden, eine radikale Variante des traditionellen Mönchtums akzeptiert, die die theoretisch ohnehin durch die Profeßformel vorgeschriebenen Ideale in die Wirklichkeit umsetzte. Dabei handelte es sich in der Praxis letztendlich freilich auch wiederum um einen Kompromiß: die einzelnen Mönche der frühen Reformorden81 (Zisterzienser oder Kartäuser) lebten wirklich ausgesprochen bescheiden, man kann sagen in Armut, wogegen es ihren Klöstern als Rechtsträgern jedoch durchaus erlaubt war, Besitzungen zu haben. Dieselbe Rechtsfiktion hatte auch den Benediktinern stets gestattet, sich trotz ihres Reichtums als arm zu bezeichnen, doch falsifizierten die Opulenz und Bequemlichkeit, deren sich bei ihnen der einzelne Mönch erfreute, diesen Anspruch auch in den Augen Bernhards.82

Schon gegen Ende von Bernhards Lebenszeit sollten sich aber auch die Zisterzienser deutlich auf demselben Weg befinden, den die Benediktiner genommen hatten: ihre Konvente häuften Reichtümer auf Reichtümer, da gerade ihr anfangs so asketisches Leben viele Laien dazu motivierte, bevorzugt ihnen Schenkungen und Vermächtnisse im Austausch für Gebete zuzuwenden. Die explosionsartige Ausdehnung des Zisterzienserordens implizierte (wie analog bei allen wachsenden religiösen Bewegungen) ein Abgehen von den ursprünglichen Idealen. Besonders die (von Bernhard durchaus gewollte) Inkorporation der Klöster von Savigny83 sollte in diesem Sinne wirken, da diese ihre feudalkirchlichen Einkünfte behielten, also von der Leistung abhängiger Bauern und zehntpflichtiger Kirchen lebten statt von der Handarbeit, wie es die Satzungen der Zisterzienser vorschrieben. In Kürze unterschieden sich dann aber auch die meisten anderen Zisterzen wenig oder nicht mehr von den wohlhabenden Benediktinerabteien.

Durch seinen Entschluß, in den Reformkonvent von Cîteaux und nicht in ein anderes Kloster einzutreten, identifizierte sich Bernhard also mit der institutionellen Armutsbewegung; so nannte er sich und seine Mitbrüder „pauperes“, die Armen.84 Dagegen zeigte er künftig keinerlei Verständnis für die kirchenkritischen Elemente wie sie besonders in den Städten – dem Nährboden des Pauperismus – in den sozialen Gruppen heranwuchsen, die nicht an der Herrschaft teilhatten.85 Die Städte, in denen auch die in seinen Augen gefährliche Scholastik entstand, erinnerten den Mönch ohnehin generell eher an die Sündenpfühle der Bibel denn an Stätten der Erneuerung des Christentums, als die er nur die Reformklöster gelten ließ.86 Bernhard, der Adelige, lehnte jede aus dem Volk kommende Bewegung ab. Seine Sicht der Kirche „ist eine Ekklesiologie der Hierarchie, wo der, der nicht zur Hierarchie gehört, vor allem zu gehorchen hat, sich führen zu lassen hat, denn nur die Hierarchie ist im Stande, den Weg zum Heil zu erkennen, auszugestalten und zu weisen. „87 Und zu dieser Hierarchie sollte er binnen kurzem selbst zählen.

Bernhard von Clairvaux

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