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Der junge Abt (1116–1118)
ОглавлениеSchon wenige Jahre nach seiner Gründung war Clairvaux durch Schenkungen hinreichend ausgestattet; zu Landbesitz kamen die Gerechtsame über Dörfer wie Perrecin.166 Bernhard wollte sein Kloster – oder, seinem Denken entsprechender: das Paradies167 – mit weiteren Mönchen bevölkern; er stellte sich das ganz konkret vor, wie die Gottsuchenden aus allen Himmelsrichtung in das stille Tal strömen würden.168 Faktisch wünschte er Clairvaux als Adelskloster, das auch Intellektuelle aufahm,169 hierin getreu benediktinischer Tradition. Öfters brach Bernhard nach Châlons-sur-Marne auf, und von dort brachte er „eine große Menge von Novizen mit sich, vornehme und gebildete Kleriker“.170 Auch einer ihrer Lehrer, der zu seiner Zeit anscheinend berühmte Stephan von Vitry, schloß sich an, verließ das Kloster aber nach neun Monaten wieder. Leider wissen wir über diesen Intellektuellen und seine Einschätzung von Clairvaux nichts weiter; die zisterziensische Haustradition schrieb seinen Rückzug natürlich dem Wirken des bösen Feindes zu.171
Daß diese „Werbekampagne“ für die Verachtung der Welt, den monastischen ‘contemptus mundi’,172 auch zu problematischen Konversionen führen konnte, zeigt der wahrscheinlich älteste Brief, der von Bernhard erhalten ist. In ihm empfiehlt er seinen Mönchen, einen Knappen, der seinen Herrn, den raufgierigsten Ritter der Gegend, verlassen hatte, um in Clairvaux einzutreten, über den Winter in der Nähe unterzubringen.173 Auch soll Bernhard nach einer nicht unglaubwürdigen Tradition jedenfalls einmal einen berüchtigten Mörder vor dem Galgen gerettet haben, um ihn in seinem Kloster als Mönch aufzunehmen.174 Jedenfalls wuchs Clairvaux rasch, und treffend nannten Wilhelm von Saint-Thierry und Petrus von Cluny Bernhard einen „Menschenfischer“, der wie weiland Petrus Menschen für Gott einholte.175 Das Movens, das Bernhard dazu trieb, unablässig Novizen in die Mauern von Clairvaux zu holen, bestand in seiner unerschütterlichen Überzeugung, sein Kloster sei der Ort, an dem ihre Rettung fast mit Sicherheit gelingen konnte. „Mit wie vielen Lastern Du auch immer beschmutzt bist“, schrieb er in diesem Zusammenhang einmal, „ein wie schlechtes Gewissen Dich auch immer bedrückt – magst Du auch Deine Jugend von grauenhaften Verbrechen befleckt fühlen, auch wenn Dein Alter voller schlechter Tage ist und Du verfaulst wie ein Vieh in seinem Mist: Du wirst ohne Zweifel gereinigt und weißer als Schnee werden …!“176
Nach vier oder fünf Jahren Klosterzucht schien Bernhards Körper freilich die ihm auferlegten asketischen Anstrengungen kaum mehr zu ertragen; der Abt schwebte bereits zwischen Tod und Leben.177 Wahrscheinlich hätte er sich, wie so manche andere Heilige (z.B. Katharina von Siena178), auf diese Weise selbst getötet, war er doch der Meinung: „ Unser Fleisch ist ein laszives Tier, nämlich ein störrischer Esel, doch es muß gezüchtigt werden, damit es seiner Herrin, d.h. der Seele, gehorcht. „179 Und: Der belanglose Körper – „corpusculum“ – ist nur ein feiler Sklave, „vile istud manicipium“.180
Es bewährte sich jedoch die mit Bischof Wilhelm von Champeaux geschlossene Freundschaft. Dieser kam tatsächlich nach Clairvaux, fand Bernhard aber nicht bereit zu einem schonenderen Leben. So griff er – da er ja nicht der zuständige Ordinarius war und Clairvaux daher nicht unter seinem Visitationsrecht stand – zu einem Umweg. Er begab sich nach Cîteaux, wo das Generalkapitel des Ordens tagte,181 und seine Bitte genügte, daß Stephan Harding und die anderen Äbte den widerspenstigen Freund für ein Jahr seinem Gehorsam unterstellten. Er ließ nun außerhalb des Klosterbezirks ein Häuschen („domunculam“) in der Art errichten, wie es sie an öffentlichen Wegen für Lepröse gab, in dem sich Bernhard ohne weitere Askeseübungen und ohne Amtspflichten kurieren sollte, wählte allerdings einen Arzt, der anscheinend ein reiner Pfuscher war.182 Trotzdem scheint es Bernhard nach einem Jahr so gut gegangen zu sein, daß er nicht nur seine Pflichten wieder voll (wenn auch etwas unkoordiniert183) wahrnahm, sondern auch – sozusagen zur Rache ob der Unterbrechung – seine früheren Exzesse in Fasten und Schlafentzug noch zu übertreffen suchte: „Er betete im Stehen Tag und Nacht, bis seine vom Fasten geschwächten Knie und seine von der Mühe angeschwollenen Füße den Leib nicht mehr tragen konnten. Lange Zeit, so lange es nur zu verbergen war, trug er ein Bußhemd auf dem Fleisch, desgleichen einen Bußgürtel184 … Sein Essen bestand aus Milch mit Brot oder in Wasser gekochtem Gemüse und Brei, wie er für Kinder zubereitet wird. Etwas anderes nahm entweder seine Schwäche nicht an, oder er wies es selbst aus Eifer für die Kargheit zurück … Als nun sein häufiges Erbrechen von Unverdautem und Rohem wegen des verdorbenen Magens den anderen recht unangenehm zu werden begann, am meisten, wenn sie im Chor sangen, begab er sich dennoch nicht aus der Gemeinschaft der dort versammelten Brüder, sondern ließ sich einen Behälter besorgen und bei seinem Platz in die Erde eingraben und kam dort, so gut er konnte, ziemlich lange seinem schmerzhaften Zwang nach“.185 Später hat Bernhard sich wie so manche andere Mystiker (z.B. Heinrich Seuse) von seiner zu diesem Zustand führenden überharten Askese distanziert und die Schwächung seines Körpers sogar als Sakrileg bezeichnet.186 Doch hatte sie u.a. zur Folge, daß er kaum anders als gestützt auf seinen unvermeidlichen Stab zu sehen war.187
Ob einige Visionen Bernhards in jene Zeit gehören? Wilhelm schreibt, daß der Abt sich einmal ob der Heftigkeit seiner Erkrankung schon am Ende seiner irdischen Pilgerschaft glaubte, als er eine jener so häufigen Sterbevisionen erfuhr, die ihn vor das Gericht über seine Seele führte und mit den Anwürfen der Dämonen konfrontierte, die er aber unerschütterlich zurückwies.188 Ähnliche Phänomene wurden im Mittelalter sehr oft aufgezeichnet und haben deutliche Parallelen in den heute von Medizinern erforschten Nah-Tod-Erlebnissen,189 weswegen sie durchaus keine hagiographischen Topoi sein müssen.
Ein Traum verwandter Thematik aus dieser Krisenzeit ist in seiner Bedeutung auch ohne Kenntnis der mittelalterlichen Symbolik oder der Jungschen Tiefenpsychologie verständlich: Bernhard sah sich an einer Küste wartend und wollte in ein anlegendes Schiff einsteigen. Doch dreimal wich es zurück, um endlich ohne ihn abzufahren … Bernhard begriff sogleich, daß seine Zeit noch nicht gekommen war. Auch zu der Erscheinung Marias, Benedikts und Laurentius’, der drei Heiligen, denen die Kirche des Klosters geweiht war, die Bernhard berührten und damit heilten,190 gibt es so viele Analogien,191 daß sie als ein vor dem Glaubenshintergrund Bernhards fast zu erwartendes Phänomen gelten kann.