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Clairvaux (1115)
ОглавлениеClairvaux war keineswegs das erste Kloster, das seine Gründung von Cîteaux aus nahm. Der nunmehrige Andrang ließ das Neukloster zu eng werden und machte schon im Mai 1113 eine erste Filiation notwendig, La Ferté, dann ein Jahr später Pontigny. Es ist wahrscheinlich, daß eben der Zuwachs, den Bernhard dem „Neukloster“ brachte, die Ursache für diese Gründungen war,88 obschon sich darin vielleicht nur die Beschleunigung eines schon begonnenen Projektes sehen läßt. Die dritte Gründung vertraute Stephan dem jungen Bernhard an, wiewohl dafür manch ältere und gesundheitlich robustere Mönche zur Verfügung gestanden hätten. Warum sich der Abt von Cîteaux so entschied, ist nicht überliefert. Die Kraft der Persönlichkeit Bernhards wird ihm nicht verborgen geblieben sein, vielleicht sah er auch schon mögliche Differenzen mit dem noch asketischeren Konfater. Freilich hätte es ihm wohl nicht an Durchsetzungsfähigkeit gemangelt, falls es zu Differenzen gekommen wäre: Harding untersagte sogar dem Herzog, der das Unternehmen immerhin gutteils finanzierte, sein Kloster als Versammlungsort für dessen Hoftage zu benützen,89 was der Adelige als weltlicher Stifter sicher im Bewußtsein seines Rechtes und jedenfalls gemäß allgemeiner Gewohnheit zu tun gepflegt hatte. Daß Bernhard und Stephan kein besonders gutes Verhältnis zueinander gehabt haben können, ist daraus zu schließen, daß ersterer seinen Abt in seinen so zahlreichen Schreiben höchstens ganz am Rande erwähnt und kein Brief an ihn überliefert, keiner seiner Traktate ihm gewidmet ist.90 Andererseits kümmerte Stephan sich anscheinend persönlich gar nicht um die Gründung von Clairvaux, obwohl er das bei der von Morimond doch mit Engagement tat.91
Wenn man die Zusammensetzung der Truppe betrachtet, die sich 1115 zur Gründung eines weiteren Tochterklosters von Cîteaux aufmachte, hat man allerdings fast den Eindruck, Stephan wollte die Familie derer von Fontaines wieder aus seiner Umgebung loswerden: Unter den Zwölfen, die sich in Nachahmung der Apostel für immer von ihrem Mutterkloster verabschiedeten, befanden sich sämtliche eingetretene vier Brüder Bernhards sowie ihr Onkel und seine beiden Cousins. Die Neugründung erscheint noch mehr als Familienunternehmen, wenn man bedenkt, wer den Grund und Boden dafür zur Verfügung stellte, nämlich Gosbert der Rote (Josbert le Roux de La Ferté), der Vizegraf des Grafen der Champagne Hugo von Troyes (der sich zu dieser Zeit auf einer Pilgerfahrt ins Heilige Land befand). Dieser Josbert war ebenfalls ein Vetter Bernhards; vielleicht war die Initiative sogar von ihm ausgegangen.92 Die Schenkung, deren genaueren Umfang man nicht kennt, aber ungefähr erschließen kann,93 wurde, wie in jener Zeit noch oft üblich, nur mündlich vor Zeugen vereinbart94 und später vom Grafen Hugo I. ebenso bestätigt. Ob Tescelin, der in der Nähe ein Lehen besaß,95 unter ihnen war?
Das Ziel der „Auswanderer“ war das ‘Wermuttal’ in der Diözese Langres, 116 Kilometer oder drei bis vier Tagesmärsche nördlich von Cîteaux. Der Name wurde vom dort üppig gedeihenden Absinth abgeleitet;96 die Verbindung mit dem bitteren Leiden der dort in Räuberhände Gefallenen97 mag Volksetymologie sein. Die Örtlichkeit war in jeder Hinsicht gut gewählt98: Einerseits war das Tal noch eine „Wüstenei“, richtiger ein Urwald, d.h. noch nicht von der großen Rodungsbewegung erfaßt, die in Burgund erst etwas später einsetzen sollte.99 In den nächsten Jahrzehnten führte diese Binnenkolonisation dann unter der Mitwirkung gerade der Zisterzienser zu den die Landschaft bis heute gestaltenden Veränderungen, deretwegen das 12. Jahrhundert eine Achsenzeit auch der europäischen Siedlungs- und Agrargeschichte darstellt. Eine „Wüstenei“ suchte man bewußt, um jene Einsiedler aus der Frühzeit des Christentums nachzuahmen, die in den Einöden von Ägypten und Syrien den Beginn des christlichen Mönchtums gelegt hatten. Ihre Lebensweise kannte man aus den Vitaspatrum und den Schriften Cassians, die von Benedikt in seiner Regel ausdrücklich als Lesestoff vorgeschrieben worden waren.100 Wo sie einen geeigneten Grund erhielten, zögerten die späteren Zisterzienser auch nicht, ihn künstlich zur Wüste zu machen, wenn schon ein paar Bauern oder Hirten dort lebten, indem sie diese Leute vertrieben.101 Aber für Clairvaux ist dies wohl nicht anzunehmen.102 Daß sich die nahegelegene städtische Siedlung von Bar-sur-Aube in Kürze durch die Förderung der Grafen zu einem Handelszentrum ersten Ranges entwickeln würde, an dem sich eine der berühmten Champagnemessen etablierte,103 damit werden die Brüder wohl nicht gerechnet haben. Andererseits gab es im „Wermuttal“ die unverzichtbaren Bäche sowie Holz in Fülle; andere Siedlungen, Dörfer sowie Benediktinerpriorate waren weit genug entfernt, um nicht zu stören, aber doch in ein paar Stunden erreichbar.
Am 25. Juni 1115 pflanzte Bernhard das Kreuz zum Zeichen der geistlichen Inbesitznahme in der Einöde auf.104 Man darf sich die Szene gewiß nach dem Bericht von der Gründung einer Zisterze vorstellen, den etwa hundert Jahre später ein anderer Angehöriger des Ordens, Caesarius von Heisterbach, aufzeichnete: Die zwölf ausziehenden Mönche verstanden sich als Nachahmer der zwölf Apostel, der neue Abt betrachtete sich ihnen an Stelle Christi vorgesetzt. Er empfing vom Abt des Mutterklosters ein Kreuz, mit dem er aus der Kirche auszog, in feierlicher Prozession von seinen Brüdern gefolgt.105 Er und die Seinen sahen sich aber sicher auch auf den Spuren des Mönchsvaters Benedikt, der ebenfalls in einer einsamen Gegend bei Subiaco in einer Höhle gewohnt hatte – also auch eine ‘Imitatio Sancti Benedicti’.106
Die Zisterzienser gaben dem Ort einen neuen Namen: das helle Tal, Clara Vallis, Ciervauz107 (heute Clairvaux geschrieben). Es ist eine Eigenheit dieses Ordens, bemerkte Walter Map, ihre Niederlassungen so zu benennen, daß sie wie ein „diuinitatis oraculum“, ein Orakel der Gottheit, wirken: „Haus Gottes, Tal Gottes, Hafen des Heils, Steige zum Himmel, Wundertal, Leuchte, Helles Tal“.108 Freilich mag in diesem Fall auch einfach die relativ sonnige Lage des Ortes für die Namensgebung bestimmend gewesen sein.109 Bernhard wird später die Tallage des Klosters spirituell auf die Demut ausdeuten, pflanzliche und geistliche Fruchtbarkeit zusammen- und den kahlen Bergen gegenüberstellen, wo die alte Schlange des Hochmuts ihren Sitz gewählt hat …110
Das „desertur“, die „Wüste“, wie sie oft als Gründungsort von Zisterzen genannt wird, ist nicht immer wörtlich als gänzlich unbesiedeltes Land zu verstehen.111 Doch scheint Clairvaux wirklich Rodungsarbeiten erfordert zu haben.112 Der Aufbau hölzener Unterkünfte und der Kapelle, der Zyklus landwirtschaftlicher Arbeit müssen die ersten Jahre hindurch das Leben der Mönche neben den religiösen Pflichten ganz entscheidend bestimmt haben. Wie dieses erste Kloster und sein der Mutter Gottes geweihtes Kirchlein in ihrer Holzbauweise ausgesehen haben und wo genau sie lagen, läßt sich jedoch mangels archäologischer Untersuchungen nicht sicher sagen, zumal man an der richtigen Identifikation der einzelnen Bauteile in den überkommenen barocken Beschreibungen zweifeln kann.113 Ob man sich die Mühe gemacht hat, sogar „encloystre carpenter“, einen Kreuzgang zu zimmern?114 Gab es schon steinerne Umfassungsmauern oder nur hölzerne Palisaden? „Von festen Barrieren sind wir umgeben, damit wir nicht die Blicke und Besuche der Weltmenschen erleiden müssen“,115 schrieb Bernhard; faktisch mußte man v.a. wilde Tiere und Raubgesindel draußenhalten. Daß das „vetus monasterium“, das als Steinbau die ursprüngliche Anlage dann in einigen Jahren ersetzte und das ebenfalls nur durch einen Plan von 1708 überliefert ist, die alten Strukturen übernahm, ist aufgrund der viel größeren Dimensionen unwahrscheinlich.
Natürlich mußte Bernhard nun so bald wie möglich die Zustimmung des zuständigen Bischofs für seine Gründung einholen und die Weihen empfangen. Das war Joceran, der in Langres residierte. Als die Mönche dort ankamen, befand er sich jedoch auf dem Konzil von Tournus. So wandten sie sich an einen der benachbarten Bischöfe, einen berühmten Mann, den Bischof von Châlons-sur-Marne. Wilhelm von Champeaux116 war der gebildeten Welt als Philosoph bekannt, der an der Domschule der Pariser Kathedrale im Universalienstreit einen entschiedenen Realismus gelehrt hatte. Von seinem Schüler Petrus Abaelard in die Enge getrieben, hatte er sich um 1108 zurückgezogen und ein eigenes Augustinerchorherrnstift gegründet, Saint-Victor, das in der Geschichte der Philosophie und der Musik des 12. Jahrhunderts noch eine bedeutende Rolle spielen und mit dem Bernhard in Kontakt treten sollte. Die Auseinandersetzungen mit Abaelard hatten keineswegs aufgehört, bis Wilhelm 1113 zum Bischof von Châlons erhoben worden war; sie sollten auch Bernhard noch berühren.
Der Zisterzienser, blaß und schmächtig, war dem mächtigen Mann sogleich sympathisch, er befreundete sich mit ihm so sehr, daß Bernhards Biograph schreiben konnte, sie seien „ein Herz und eine Seele“ geworden. Die Bedeutung dieser Begegnung kann kaum überschätzt werden: Bernhard hatte nun einen Fürsprecher, der ganz Frankreich lehrte, den bis dahin unbekannten Mönch „wie einen Engel Gottes zu verehren“! 117 Erstaunlich, diese Protektion des hochmögenden Bischofs für den um zwanzig Jahre Jüngeren, der bei ihm wie in seinem eigenen Hause verkehren sollte.118 Darin ist wohl ein wichtiges, wenn auch bislang kaum beachtetes Element für den Aufstieg Bernhards zu sehen. Ihm blieb Wilhelm bis zu seinem Tode zugetan, wogegen er Abaelard, den er ja anfänglich durchaus akzeptiert hatte,119 mit Feindschaft verfolgte. Ob Bernhards spätere Ablehnung Abaelards nicht schon aus dieser Zeit datiert?
Bernhard kehrte als rechtmäßiger Abt nach Clairvaux zurück, mit dem Krummstab im Gepäck,120 den er auch auf seinem Siegel abbilden ließ.121 Brachte er auch die „vestis sacerdotalis“, das Priestergewand, mit? Auffallenderweise gibt es keine Quelle, die eindeutig sagen würde, wann Bernhard eigentlich zum Priester ordiniert wurde.122 Daß ein Abt seiner Zeit Priester sein mußte, geht nicht nur aus seinen praktischen Amtspflichten hervor;123 dies hatten bereits die Römischen Synoden von 826 und 853 verfügt, um die Gewalt der Klostervorsteher gegenüber ihren Untergebenen zu stärken, d.h., es war geltendes Kirchenrecht. Finden sich trotzdem vereinzelt bis ins 16. Jahrhundert noch Äbte, die keine Priester waren,124 so schreibt doch Rupert von Deutz eben um 1120: „Heutzutage wird so gut wie niemand zum Abt geweiht, wenn er nicht zuvor zum Priester geweiht wurde. Früher war das nicht so. „125 Bernhard selbst spielte später mehrfach eindeutig auf sein Priestertum an126 und zelebrierte sogar an exklusiven Stätten wie dem Aachener Karlsdom;127 selbst als er in seinen letzten Jahren schon kaum noch stehen konnte, verabsäumte er nur selten, die Messe zu lesen.128
Angefangen mit Wilhelm von Saint-Thierry129 über die Bollandisten, die vielfach bis heute maßgeblichen Editoren der Heiligenleben,130 bis zu einer modernen Mediävistin wie Dal Pdl131 übergehen jedoch fast alle Verfasser von Lebensbeschreibungen Bernhards seine Priesterweihe absichtlich oder unabsichtlich132 oder begnügen sich mit der Feststellung, diese sei mit der Abtsweihe zusammengefallen.133 Auffallend unpräzise ist die Ausdrucksweise Wilhelms: „Cum … ordinandus esset in ministerium ad quod assumptus erat“, als er zu dem Amt [also offenbar den Abbatiat], zu dem er bestimmt worden war, geweiht werden sollte. Kein Wort über eine Priesterweihe! Wenn Bernhard noch in Cîteaux Priester geworden wäre,134 hätte dies der Anwesenheit eines Bischofs (welches?) bedurft; davon ist nichts überliefert. Wahrscheinlicher hat ihm Bischof Wilhelm beide Weihen hintereinander gespendet. Ein solches Vorgehen war nicht ganz ungewöhnlich: So erhielt 1095 Abt Ulrich von Zwiefalten, der erst seit 10 Wochen Professe war, zunächst alle Weihen und hernach die Abtsbenediktion.135 Bernhards Freund Suger wurde am 11. März 1122 zum Priester geweiht und schon am darauffolgenden Tag zum Abt.136
Warum diese Verschwiegenheit seiner Biographen hinsichtlich eines Ereignisses, das doch im Leben jedes Geistlichen ein ganz zentrales Ereignis darstellt, das er mit der Primiz feiert und dessen er in seinem weiteren Leben wie seines Geburtstages gedenkt? Wir meinen: weil Bernhard gegen die damaligen Bestimmung des kanonischen Rechts diese Weihe deutlich zu früh erhielt. Der künftige Abt von Clairvaux war 1115 vier- oder fünfundzwanzig Jahre alt. Beim Konzil von Melfi (1089) war aber in Kanon 4 festgelegt worden, daß das Weihealter nicht unter dreißig Jahren liegen durfte.137 Und dessen war sich Bernhard auch bewußt, wie aus seiner Vita Malachiae erhellt: Malachias wurde bereits vor dem 25. Lebensjahr zum Diakon und vor dem 30. zum Priester ordiniert, was Bernhard beflissen entschuldigt, indem er schreibt, dies sei „gleicherweise dem Eifer des Weihenden wie den Verdiensten des Geweihten“ zugute zu halten, obgleich dabei eine „Vorschrift kirchlicher Bestimmungen“ unbeachtet blieb.138 Sich selbst sah er wohl in derselben Situation wie den irischen Freund. Doch scheint bei Bernhard niemand daran Anstoß genommen zu haben.
Die Anfangszeit, darüber sind sich alle Quellen einig, muß sehr hart gewesen sein. Obwohl Cîteaux in jenen Jahren begann, wohlhabender zu werden – es ist anzunehmen, daß auch Bernhard und seine Gruppe dem Kloster bei ihrem Eintritt die üblichen Geschenke139 gemäß Exodus 23, 15 gemacht hatten, vor allem Land –, wahrte man damals auch während der schwierigen Phase des Aufbaus noch den strikten Verzicht auf eine finanzielle Ausstattung durch das Mutterkloster. So verfügten die Brüder nur über Brot aus Gerste, Hirse und Spelt, Salat aus Buchenblättern (?) und Wurzelgemüse,140 Grütze und Bohnen,141 über ungenügende Kleidung und Behausung. Sie hielten keine Tiere, mit Ausnahme eines Esels, auf dem Bernhard auszureiten pflegte, nicht nur wegen seiner Schwäche, sondern auch um Christus nachzuahmen, was ebenso von anderen zeitgenössischen Heiligen als demonstrative Geste der Demut bezeugt ist.142 Seine Gefährten mußten demnach zu Fuß gehen; es war kaum denkbar, daß ein Abt ohne Gefolge (bei den Benediktinern wahrscheinlich auch mit Dienern) reiste,143 zumal man, wenn ein Mönch allein unterwegs war, schnell sündhafte Absichten vermutete.144 Ihren Lebensunterhalt schufen die Brüder sich als wahre „pauperes Christi“ durch harte Handarbeit. Vereinzelte Almosen, hier Salz,145 dort etwas Geld,146 dann doch auch Landschenkungen,147 zeigen freilich, daß der Rückzug aus der Welt kein absoluter war und auch Clairvaux, genausowenig wie irgendein anderes Kloster, wirklich wirtschaftlich autark zu sein vermochte.
Dazu kam, daß Bernhard in Extremen lebte – Wilhelm von Saint-Thierry spricht treffend von „nimietas … sancti fervoris“,148 einem exzessiven, schon abschreckend wirkenden Heilseifer.149 Diesen erwartete der junge Abt auch von seinen Mitbrüdern. Seine Meditationen beflügelten ihn zu Predigten, auf die er sich nächtelang vorbereitete,150 die sie aber kaum verstanden. Seine Erwartungen an sie waren so hoch, daß er meinte, kein Mönch könne in Versuchung fallen, und geschähe das doch, dann sei er eben kein Mönch.151 Der „angelikos bios“, das engelgleiche Leben, war eines der traditionellen Ideale des Mönchtums152: Engel essen nicht, schlafen nicht und kennen keine Sexualität; sie schauen Gott. Kein Stand auf Erden, wird Bernhard später schreiben, ist den Engelschören ähnlicher als der der Benediktinermönche.153 Und: Heilig ist die Gemeinschaft der Mönche, beim Konvent sind ebenso viele Engel unsichtbar versammelt, offen steht darüber die Himmelspforte, von der die Engelsleiter zum Kloster hinabführt …154 Berhard in seiner Askese und seinen mystischen Erhebungen glaubte sich jenen hehren Wesen schon nahe, glaubte dies auch von seinen Mitbrüdern und wurde hart, wenn er sich enttäuscht sah. Wie oft wird er bei den nächtlichen Offizien von einem zum anderen geeilt sein, um die von Arbeit und Askese Übermüdeten aus dem Schlaf wachzurütteln?155 Und doch blieben sie ungeachtet ihrer Verzweiflung demütig,156 konnten sie auch nicht erfüllen, was ihr Abt von ihnen verlangt hatte: den Leib vor den Klostermauern zu lassen und nur der Seele Zutritt zu gewähren.157 Irgendwann begann Bernhard an seiner Skrupulosität zu zweifeln und zog sich zur Meditation zurück. Nach einigen Tagen hatte er eine Traumerscheinung, die ihn davon überzeugte, der Geist Gottes rede in ihm.158 Daß dies tatsächlich zu einer festen Gewißheit des Abtes wurde, die ihn sein Leben hindurch leitete, läßt sich immer wieder an seinem Verhalten und seinen Aussagen zeigen.159
In keiner Gemeinschaft von Menschen geht es andauernd harmonisch zu, auch nicht in der „Urgemeinde“ am Beginn eines neuen Ordens, oder, um eine Lieblingsmetapher der frühen Zisterzienser zu gebrauchen, in einer „Schule des Heiligen Geistes“.160 Die hagiographischen Quellen haben natürlich kein Interesse daran, solche Dinge zu berichten, aber gelegentlich entgeht doch eine Nachricht der genusimmanenten und ordensobrigkeitlichen Zensur. So hören wir von einem nur undeutlich evozierten Konflikt zwischen Bernhard und seinen Mönchen, bei dem vom Bischof von Châlons vermittelt wurde; Bernhard machte seinen Brüdern tagtäglich Vorwürfe, anscheinend weil sie seine asketischen Exzesse nachahmten.161 Andererseits waren diese ob der Härte des Lebens in Clairvaux, „von Hunger, Kälte und anderen Entbehrungen gezwungen“,162 nahe daran, nach Cîteaux zurückzukehren. Glücklicherweise mehrten sich die frommen Spenden so rasch, daß es nicht dazu kam – oder zeitgenössisch formuliert: „Wenig Zeit war verflossen, da blickte die Barmherzigkeit Gottes reichlich und wohlwollend auf sie hinab, so daß ihnen nichts fehlte und sie an ewigen und zeitlichen Hilfsmitteln Überfuß hatten …“163 Und in späteren Jahren war Bernhard auch eher geneigt, die asketischen Leistungen anzuerkennen, die seine Mitbrüder erbrachten: „Ich weiß, Brüder, ich weiß, in welcher Bedrängnis ihr seid, wie ihr euch den ganzen Tag über mit vielem Fasten abtötet, mit häufiger Arbeit, in überlangem Wachen, mit Hunger und Durst, mit Kälte und Dürftigkeit …“164 „Geht es nicht doch über menschliches Vermögen, über die Natur, gegen das Herkömmliche, was ihr erduldet?“165