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I. Der junge Mann Bernhard Kindheit (1090–1098)

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Im Wohnturm der Burg von Fontaines-lès-Dijon in Burgund1 gebar im Jahre 1090 dem Ritter Tescelin seine Gattin Aleth von Montbard2 ihren dritten gemeinsamen Sohn und ihr Lieblingskind. Er erhielt den Namen Bernhard, der „Bärenkühne oder -harte“, eine der so üblichen Nachbenennungen mit dem Namen des Großvaters,3 denn so hieß Aleths Vater.4

Während der Schwangerschaft hatte Aleth einen Angsttraum gehabt: Ihr schien, sie habe einen bellenden Welpen im Leib. Beunruhigt bat sie einen vertrauten Mönch um die Erklärung dieses seltsamen Bildes; der fand eine erfreuliche Deutung, indem er an Isaias 56, 10 anknüpfte: „ein ausgezeichneter Prediger wird aus dir geboren werden, nicht zu vergleichen mit den vielen Hunden, die nicht bellen können“.5 So berichtet noch zu Bernhards Lebzeiten Gottfried von Auxerre, von 1140 bis 1153 „treuer Sekretär, Vertrauter und ständiger Reisebegleiter“6 des späteren Heiligen. Man hat seine Nachricht mit Skepsis aufgenommen: da es ähnliche Träume auch in anderen Heiligenleben gibt,7 „muß“ es sich natürlich um einen Topos, einen hagiographischen Gemeinplatz, handeln; Gottfried habe einfach „seine Phantasie spielen“ lassen.8 Vielleicht hat die Mutter auch nur später in „subjektiver Täuschung“ gemeint, solches geträumt zu haben.9 Dagegen spricht wohl, daß sich Aleth keineswegs von Anfang an sicher war, ihr Traum bedeute Gutes. Davon überzeugte sie erst die Auslegung des unbekannten Religiosen. Und ist es nicht ganz häufig, daß sich eine schwangere Mutter auch im Schlaf mit ihrem Kind beschäftigt, sei es in freundlichen, sei es in ängstlichen Träumen?10

Von da an setzte Aleth große Erwartungen in dieses Kind. „Diesen Sohn aber liebte sie zärtlicher als alle, durch das gottgesandte Orakel motiviert“11 – nämlich durch ihren Traum. Sie hielt das Neugeborene hoch hinauf zum Himmel, wie sie es auch bei ihren anderen Kindern zu tun pflegte, um sie Gott darzubringen. Doch den kleinen Bernhard bestimmte sie zusätzlich für eine geistliche Laufbahn, wie es scheint in einem feierlichen Gelöbnis in der Kirche.12

Wahrscheinlich nur wenige Tage oder Wochen nach der Geburt – um bei einem frühen Tod die Gefahr auszuschließen, daß seine Seele auf ewig in der Vorhölle schmachten müsse, wie die Kirche lehrte13 –, wurde das Kind in St. Martin zu Dijon14 getauft: das damals Übliche war, es dem Taufexorzismus zu unterwerfen, um den Teufel aus dem kleinen, mit der Erbsünde belasteten Heiden zu vertreiben,15 wobei man es dreimal nackt im Taufbecken untertauchte und mit geweihtem Salz, Öl und Chrisma in die Gemeinschaft der Christen aufnahm.16

Der Vater Tescelin wird als adelig, reich und fromm geschildert, war also einer der „proceres“, der Burgherren, die von verschiedenen Einkommen wie Buß- und Wegegeldern, dem Mühlenbann u.ä. lebten.17 Persönlich sei er mit einer besonderen Neigung zur Gerechtigkeit ausgezeichnet gewesen, außerdem ein Ritter ohne Furcht und Tadel, „miles fortissimus“,18 wie es sich für den Vater eines Heiligen schickte. Sein Beiname, altfranzösisch „li sors“,19 der Rotblonde, charakterisierte seine Haarfarbe, die sein Sohn offensichtlich von ihm erbte.20 Der aus Châtillon stammende Feudalherr gehörte zu den engsten Gefolgsleuten des Herzogs von Burgund; er diente Odo I. (reg. 1078–1102) genauso treu wie dessen Sohn Hugo II. (reg. 1102–1143) und figuriert mehrfach in den Urkunden dieser Herzöge als Zeuge.21 Daß er deshalb, wie wohl die meisten seiner Standesgenossen, immer wieder für längere Zeiten nicht mit seiner Familie zusammengelebt hat, sondern in der „maisniee“ (Hausgemeinschaft) seines „seigneur“ (Herrn), ist wahrscheinlich und mag eine Rolle für Bernhards weiteren Lebensweg gespielt haben.22 Ob er ein ‘miles litteratus’ war, also lesen und schreiben konnte, wie etwa der Vater Abaelards,23 aber sonst wenige dieses Standes, wissen wir nicht. Vermutlich übertreibt aber der Berichterstatter – es ist wiederum Gottfried – ein wenig hinsichtlich der sozialen Stellung der Familie, denn er bemerkt selbst, die Burg des Tescelins war eher bescheiden, eine kleine Anlage („minus castrum“24) am nord-westlichen Rande Dijons. Möglicherweise hatte sie Tescelin nur als Lehen inne.25 Sonst besaß er etwas Streubesitz in der Umgegend, auch bei einem später Clairvaux genannten Tal.26 Was die Zugehörigkeit zum Adel betrifft, so war Burgund eine der Regionen, wo das Rittertum sich im frühen 12. Jahrhundert bereits weitgehend dieser Schicht hatte assimilieren können.27

Die Mutter Aleth28 (von Adelheid) kam aus dem bedeutenden Geschlecht derer von Montbard, das sogar mit einer älteren Linie der Herzöge von Burgund verwandt war. Sechs Söhne, Guido, Gerhard, Bernhard, Andreas, Bartholomäus und Nivard, sowie eine Tochter, Humbeline, brachte sie zur Welt, die sie alle am liebsten für das Kloster bestimmt hätte,29 wie sie auch selbst ursprünglich hätte Nonne werden sollen, was ihre dementsprechende Erziehung erklärt.30 Ihre die Familie anscheinend dominierende Frömmigkeit sollte ihre spätere Verehrung als Heilige mitbegründen, deren wichtigstes Motiv aber gewiß ihr dritter Sohn war. Daß sie eine starke Frau war, die ihre Kinder nach ihrer Religiosität zu formen vermochte, darf aufgrund mancher Hinweise in Bernhards Vita vermutet werden.

Nur wenig erfahren wir darüber, wie das Kind Bernhard aufwuchs: Als Säugling wurde er wie seine Geschwister von Aleth selbst gestillt, was sein Biograph besonders hervorhebt, da dies in seiner Zeit in den gehobenen Schichten keineswegs üblich war. Üblich war vielmehr, daß die adeligen Damen ihre Kinder einer Amme anvertrauten,31 denn ein Kind selbst zu stillen, hätten viele als Zeichen interpretiert, man könne sich keine solche Bediente leisten. Das Positivum lag aber darin, daß nach den Vorstellungen der Zeit mit der Milch der Mutter auch ihre guten Anlagen weitergegeben wurden.32

Die Erziehung Bernhards und seiner Geschwister scheint eher spartanisch gewesen zu sein: „So lange sie unter der Hand Aleths waren, zog sie sie mehr für das Eremiten- als für das Hofleben auf und duldete nicht, daß sie sich an delikateres Essen gewöhnten, sondern nährte sie mit gewöhnlichem und einfachem.“33 Es ist klar, daß Aleth hier wie so viele Mütter in ihren Kindern verwirklichte, was sie selbst als verheiratete Frau mit Familie noch nicht zu tun imstande war, nämlich ein dem Klosterleben möglichst nahekommendes Leben in der Welt zu führen. Als ihre Kinder dann aber alt genug waren, verbrachte sie ihre letzten Jahre nur mehr mit Fasten, Wachen, Almosenspenden und Gebet, ohne jedoch Nonne zu werden.34

Welche Eindrücke Bernhard sonst in seinen Kindertagen empfangen haben mag, was und womit er gespielt hat (wohl kaum mit Ritterfiguren,35 wie vielleicht seine nicht für ein geistliches Leben bestimmten Brüder), was er lernen mußte oder durfte, entzieht sich unserer Kenntnis. Im Lesen hatte er sich jedenfalls schon sehr früh zu üben.36 Wahrscheinlich hat er einen Zuchtmeister (afrz. „maistre“, mlat. „paedagogus“) gehabt, der ihn unterrichtete; Bernhards älterer Zeitgenosse, der Benediktiner Guibert von Nogent (1053–1124), weiß in seiner Autobiographie genug darüber zu berichten, unter welchem Druck ihn der harte Erzieher mit pausenlosem Lernen hielt.37 Daß Aleth ihrem Sohn gründlich und bleibend Inhalte ihrer Religion vermittelte, ist freilich sicher (bis zu ihrem siebten Jahr wuchsen auch die kleinen Buben üblicherweise in den Räumen der Mutter auf)38. Ihre Lebensführung erschien auch später dem Abt Bernhard so vorbildlich, daß er seine Schwester genau darauf verpflichtete, als er sie auf drastische Weise dem Weltleben entfremdet hatte.39

„pro aetate, imo supra aetatem, pietatis opera sectabatur“40: „er pflegte die Werke der Frömmigkeit in einer Weise, die seinem Alter angemessen war – nein, über sein Alter hinaus!“ So seine Vita. Daß der kleine Bernhard zu Weihnachten einmal vor dem nächtlichen Gottesdienst einschlief und vom Christkind träumte, verwundert so nicht und kann auch nicht als legendär abgetan werden: noch als Abt sprach er davon.41 Und auch daß er, bekam er einmal ein wenig Geld, dieses heimlich Armen weitergab,42 muß kein hagiographischer Topos sein – pflegen Kinder nicht oft Handlungen ihrer Eltern nachzumachen?

Warum seine Eltern nicht den üblichsten und sichersten Weg beschritten, ihr Kind auf ein geistliches Leben zu verpflichten, nämlich die Mönchung durch Oblation43 in einem Kloster, wissen wir nicht. Zahlreiche in die Kirchengeschichte eingegangene Zeitgenossen Bernhards waren so in frühester Jugend (ab vier bis fünf Jahren) einem Konvent übergeben worden, damit sie dort für ihre Verwandten beten sollten, z.B. Suger, der spätere Abt des Reichsklosters Saint-Denis (ca. 1081–1151), Petrus von Montboisier, der spätere Abt von Cluny (ca. 1093–1156), Rupert, der spätere Abt von Deutz (ca. 1070-ca. 1130), oder der mit Bernhard gleichaltrige spätere Bischof Hartmann von Brixen (ca. 1090–1164) – und so viele andere führende Männer der damaligen Kirche. Die Oblation erfolgte ganz unabhängig davon, ob dieses Kind – und später dieser Erwachsene, denn die Klostergelübde waren ja unauflöslich44 – dies auch selber wollte oder nicht. Das Moment der rituellen, ganz äußerlichen Reinheit eines Kindes als Opfer und die zu erbringende Gebetsleistung waren hier leitend und Existenzgrundlagen dieser Einrichtung, aus der sich die Benediktiner im frühen Mittelalter zu einem sehr großen Teil rekrutierten. Weitgehend irrelevant blieb die innere Einstellung der Oblaten. Bernhard, wiewohl nicht persönlich davon betroffen, sollte noch mit diesem Problem konfrontiert werden.45

Bernhard von Clairvaux

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