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Fragen des Klosterlebens

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Wie sehr die Faszination von Clairvaux nun schon um sich griff und auf welche Hindernisse man stoßen konnte, wollte man ihr folgen, kann etwa ein Brief Bernhards von ca. 1120 erhellen243: Es ist dort die Rede von Regularkanonikern, also nach der Augustinerregel zusammenlebenden Geistlichen, die zu den Zisterziensern in Clairvaux übergetreten waren, ein Fall des in jener Zeit immer häufiger werdenden ‘transitus’ (des Übertritts von einem Kloster in ein anderes244). Obschon dieser Wechsel zu einer strengeren Lebensführung von Bischof Wilhelm von Champeaux, wie angesichts seiner Zuneigung zu Bernhard zu erwarten, befürwortet worden war, reagierte der Heimatkonvent mit der Drohung der Exkommunikation gegen die Abtrünnigen. Man hat den Eindruck, daß viele Mönche der Zeit einen solchen Wechsel von einem Kloster zu einem anderen wie eine Art geistlicher Felonie auffaßten: Felonie war das schlimmste Verbrechen, das ein weltlicher Herr begehen konnte, nämlich der Treuebruch eines Vasallen seinem Lehensherrn gegenüber.245 Aber zugleich verriet der Abtrünnige auch seine „compagnons“ oder, im Kloster, seine „confratres“.246

Mit ähnlichen Situationen war Bernhard immer wieder konfrontiert. Er scheute sich dabei nicht vor „ausgesprochenen Spitzfindigkeiten“,247 wenn es galt, den Übertritt eines ihm geeignet scheinenden Mönches zu verteidigen. Die Zisterzienser befanden sich hier ja in einer besonders heiklen Lage, denn man konnte ihnen immer vorwerfen, daß sie durch einen solchen ‘transitus’ entstanden waren, hatte doch Robert von Molesmes sich nicht an die von der Benediktusregel vorgeschriebene ‘stabilitas loci’248 gehalten, als er in die Einöde von Cîteaux gezogen war. So schrieb Bernhard an die Benediktiner von Flay,249 nachdem er ihr Kloster nicht kenne (was möglich ist), habe er einen der ihren ruhig aufnehmen können, ohne, wie sie ihm vorwarfen, gegen die Regel zu verstoßen, denn diese untersagt nur die Aufnahme von Mönchen aus bekannten Klöstern.250 Außerdem habe er den Bruder ohnehin sieben Monate in einer Einsiedelei vor Clairvaux wohnen lassen, um die Echtheit seines Begehrens zu prüfen. Da dieser aber angab, von seinem Abt als Arzt dazu mißbraucht worden zu sein, sogar „ Tyrannen, Räuber und Exkommunizierte“251 behandeln zu müssen (gemeint sein dürften mächtige Feudalherrn, von denen immer einige wegen Kirchenraubes im Bann waren), hätte ihm der Eintritt in Clairvaux nicht verweigert werden können. Bernhard „vergaß“ dabei nur, daß es zu dem fraglichen Vorgang auch seit langem Konzilsbeschlüsse gab, die prinzipiell einen ‘transitus’ ohne Einwilligung des Abtes untersagten!252 Freilich ließ die Gegenpartei nicht locker, was Bernhard die Gelegenheit gab, in seiner Antwort seine exzellente Stilistik im Bereich der Ironie vorzuführen und mit souveräner Höflichkeit auf seinem Standpunkt zu beharren.253

Von Bernhards Tätigkeiten in jenen Jahren weiß man kaum etwas Konkretes. Velleicht nahm er im März oder April 1121 an der Synode von Soissons teil, die Abaelards Theologie ein erstes Mal verwarf; 254dort müßte er dann die persönliche Bekanntschaft Norberts von Xanten gemacht haben, aber auch die des Philosophen. Möglicherweise lernte er Norbert aber erst drei Jahre später in Foigny kennen und Abaelard erst 1130. Im September reiste Bernhard jedenfalls nach Soissons zum Generalkapitel der Regularkanoniker von Arrouaise im Artois, zu denen 28 Abteien zählten.255

Wie jeder andere Abt nahm er Schenkungen für sein Kloster an, 1121 etwa von dem Benediktinerabt Ado von Saint-Oyend (der damit die für Bernhard und die Seinen leicht zu erfüllende Bedingung eines exemplarischen Mönchslebens verband),256 wie jeder andere Abt unterzeichnete er die eine oder andere Urkunde als Zeuge, wenn es um kirchliche Belange ging.257 Diese fast alltäglichen Beschäftigungen Bernhards können wir hier nicht weiter verfolgen. Aber ein wichtiges Rechtsdokument ist für 1121 zu nennen: Bernhard wurde für sein Kloster die Immunität von Zehntzahlungen258 verliehen. Er war nach Langres gekommen und hatte den Bischof Joceran um diese Exemtion ersucht. Wo auch immer in der Diözese die Mönche von Clairvaux Vehzucht oder Ackerbau betreiben wollten, sollten sie künftig über den Zehnt selbst verfügen dürfen, anstatt ihn, wie es das Kirchenrecht vorschrieb, den jeweiligen Oberen abtreten zu müssen. Das hieß damals für die Mönche, auf jeden zehnten Scheffel Getreide, jedes zehnte ihrer Schafe usw. verzichten zu müssen (später wurde das in Geld umgerechnet). Priester, die darauf etwa nicht eingehen wollten, weil sie vielleicht ältere Rechte hatten, werden in der Poenformel dieser Urkunde mit der Höllenstrafe bedroht – die im Mittelalter völlig übliche kirchliche Drohung für Rechtsbrüche. Als vornehmster Prälat unterzeichnete der für das Kloster zuständige Metropolit, Erzbischof Humbald von Lyon, das Pergament,259 das einen ersten Schritt zur Wohlhabenheit Clairvaux’ bzw. zur Absicherung des Konvents darstellt und gleichzeitig die älteste für dieses Kloster erhaltene Urkunde ist. Die bischöflichen Aufsichtsrechte wurden davon freilich nicht berührt, wie es ja auch die älteste päpstliche Bestätigung für Cîteaux verlangte260 und wie es Bernhard selbst für richtig hielt.261

Im selben Jahr verlor Clairvaux einen Freund, der das Kloster entscheidend gefördert hatte: Bischof Wilhelm von Champeaux starb.262 Dagegen sollte ein anderer Verehrer Bernhards, der genannte Abt von Saint-Thierry, bald Gelegenheit bekommen, mit ihm ganz eng zusammenzuleben. Seine Zuneigung zu diesem verstärkte sich dadurch nur. Zwischen Anfang 1122 und Anfang 1124 erkrankte Wilhelm schwer.263 In dieser Situation – wir wissen es von ihm selber – lud ihn Bernhard nach Clairvaux ein mit dem Schwur, er werde dort sofort gesunden oder sterben. „Ich aber brach sofort dorthin auf, wenn auch unter größten Mühen und Schmerzen, bot sich doch fast von Gott her die Möglichkeit, entweder bei ihm zu sterben oder ein Zeit lang mit ihm zu leben – was ich damals lieber getan hätte, weiß ich nicht … Guter Gott, was hat mir diese Krankheit nicht Gutes gebracht, jene Ruhetage, jene Muße! … Da wir also beide krank waren, unterhielten wir uns den ganzen Tag über die geistliche Seelenheilkunde, über die Heilmittel der Tugenden gegen die Schwächen der Laster. „264 Genauer gesagt, bat Wilhelm Bernhard, ihm das Hohelied auszulegen. Er war von den Ausführungen seines Gastgebers so begeistert, daß er sie sogleich aufzeichnete und später zu einem Traktat, einem kurzen Kommentar zum Hohenlied, ausarbeitete.265 Dieses Werk mit dem Titel Brevis commentatio in Cantica Canticorum266 konzentriert sich vor allem auf das Verhältnis des beschaulichen zum tätigen Leben, ein Lieblingsthema der monastischen Literatur der Zeit, und durchaus ein praktisches. Denn was war nun faktisch wichtiger, um einen Weg zu Gott zu finden: der Christus still lauschenden Maria des Evangeliums267 nachzufolgen, also zu meditieren, oder der tätigen Martha, also karitativ zu wirken? Die Benediktiner und Zisterzienser entschieden sich immer wieder für Maria, ohne daß wenigstens letztere Martha ganz vergessen hätten. Wie groß der Anteil Wilhelms an diesem Werk war, wie treu er Bernhard wiedergab, ob sie sich auch vom Hohelied-Kommentar des Origenes inspirieren ließen, das ist umstritten. Wahrscheinlich trifft es das Richtige, von einer gemeinschaftlichen Meditation über das alttestamentliche Lied zu sprechen.

Als Wilhelm nach diesen „Exerzitien“ in guter Verfassung den ebenfalls wieder auf dem Weg der Besserung befindlichen Bernhard verließ, war er derartig begeistert von ihm und seinem Orden, daß er sein Amt als Abt niederlegen und einfacher Zisterziensermönch werden wollte. Bernhard, der vielleicht fürchtete, von ihm zu sehr in Anspruch genommen zu werden,268 lehnte dies ab. Seine Begründung ist in einem so elegant-artifiziellen Spiel mit Alliterationen formuliert, daß man sich fragen kann, ob Wilhelm sich da ernst genommen fühlte: „ … stude prodesse quibus praees, nec praeesse refuge, dum prodesse potes, quia vae quidem si praees et non prodes, sed vae gravius si, quia praeesse metuis, prodesse refugis!269 „Bemühe Dich, denen zu nützen, denen Du vorstehst, und laß nicht ab vorzustehen, solange Du nützen kannst, denn wehe, wenn Du vorstehst und nicht nützt, aber noch mehr wehe, wenn Du, weil Du vorzustehen fürchtest, davon abläßt zu nützen!“

Bernhard von Clairvaux

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