Читать книгу Bernhard von Clairvaux - Peter Dinzelbacher - Страница 23

„Marieniob“

Оглавление

Spätestens 1124 arbeitete Bernhard eine neue Schrift aus, die ein Modethema der damaligen Theologie behandelte: die Mariologie. Denn wiewohl die Mutter Jesu seit ihrer Dogmatisierung als „Gottesgebärerin“ auf dem Konzil von Ephesos 431 und als immerwährende Jungfrau auf dem Lateranum 649 in der Frömmigkeit der Gläubigen auch im lateinischen Westen einen immer bedeutenderen Platz einnahm, bildete erst das hohe Mittelalter über diese Heilige eine differenziertere theologische Reflexion aus, die sich zu einem gewichtigen eigenen Thema neben der Christologie entwickelte. Abgesehen von der Betrachtung der heilsgeschichtlichen Funktion der Gottesmutter wuchs das Interesse an ihr selbst als liebender und leidender Persönlichkeit, genauso wie damals das Interesse am historischen Menschen Jesus immer stärker wurde. Die Tendenz, die sich auf der Ebene der gelebten Religiosität in Gebeten und Feiern zeigte, nämlich Maria als Weltbeherrscherin und Himmelskönigin zu preisen, von ihr Allerbarmen zu erwarten, die, wie so zahlreiche Mirakel bezeugen sollten, in jeder Notlage zu helfen wußte, wurde in seltener Schnelligkeit auch auf der theologischen Ebene thematisiert. „Das, wovor Nestorius [Erzbischof von Konstantinopel 428–431] einst warnte, die Jungfrau nicht zur Göttin zu machen, ist Wirklichkeit geworden. Maria ist ein überirdisches Wesen geworden, das mit göttlicher Würde ausgerüstet, auf dem Thron der Trinität sitzt. Sie ist die Bevollmächtigte und Stellvertreterin Christi …“455 Diese „Marianisierung“ kann man auf allen Ebenen konstatieren: schlicht statistisch an der rasch zunehmenden Zahl von lateinischen und volkssprachlichen Texten über die Gottesgebärerin, an der Zunahme von Marien-Wallfahrten, an der Gründung von Marien-Bruderschaften USW.456

Die ersten Zisterzienser unter Robert, Alberich und Stephan haben die Marienverehrung zu ihrem besonderen Anliegen gemacht; wie schon Molesmes der Jungfrau geweiht war, übernahm auch Cîteaux das Marien-Patronat und genauso alle anderen Kirchen des Ordens. Es lag Bernhard also nahe, sich in Gebet und Reflexion mit Maria einläßlich zu befassen. Freilich ist heute vieles, was ihm früher an Mariologica zugeschrieben wurde, als später entstanden erkannt, und es fällt auf, wie wenig Raum er für die Gottesmutter in seinem Hauptwerk findet, den Hohelied-Predigten. Doch hat er sich immerhin in knapp einem Dreißigstel seiner Schriften mit Maria beschäftigt, war er doch als Abt gehalten, an ihren Festtagen über sie zu predigen.457 Der Abt hat hier und in weiteren Marienpredigten bereits gewisse Themen angesprochen, die im späteren Katholizismus klassisch werden sollten, wie das Herz der Jungfrau458 oder die erotische Brautschaft mit ihrem Sohn.459 Zu einem die Geschichte dieses Kultus entscheidenden Marien-Verehrer wurde Bernhard jedoch erst seit der Zeit stilisiert, als man seine Kanonisation intensiv betrieb, und dann in der spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Überlieferung.460 Erst aus den Generationen nach Bernhard stammt die Fülle der Marienmirakel und -legenden, die geradezu ordenstypisch erscheinen. Erst Bernhards ehemaliger Sekretär Nikolaus (t 1176) sollte so weit gehen, Maria als „consors regni“ fast auf dieselbe Stufe wie ihren göttlichen Sohn zu erheben,461 einen Platz, den sie bis zur Reformation behalten sollte.

Bernhards vier Homilien In laudibus Virginis Matris (In Evangelium ‘Missus est’)462 wären wohl auch ohne äußere Evidenz als Frühwerk des Autors zu erkennen. Diese Meditationen über Lukas 1, 26–38 („Gesandt wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt Galiläas mit Namen Nazaret …“) oszillieren zwischen assoziativer Bibelexegese und panegyrischem Gebet, ein typisches Produkt der mittelalterlichen „Mönchstheologie“, basierend vielfach auf den Schriften der Kirchenväter (namentlich Hieronymus). Entstanden ist es bald vor der österlichen Fastenzeit des Jahres 1125, d.h. vor dem 11. Februar.463 Da Bernhard so schwach war, daß er nicht am regulären Klosterleben teilnehmen konnte, schrieb oder diktierte er in seinen schlaflosen Nächten vornehmlich zur eigenen Erbauung („propriae … devotioni“464) diese Meditationen über die genannte Bibelstelle, die zu seinen verbreitetsten Werken zählen sollten. Sie sind ohne theologische Innovationen, erweisen sich aber als reich an rhetorischen Höhepunkten; Bernhards berühmtes Bild von Maria als Aquädukt jedoch, das uns die himmlische Gnade zuleitet,465 findet sich hier noch nicht, auch nicht die Heilstreppe, die darauf basiert, daß Jesus seiner Mutter, wenn man sie u Vermittlung anfleht, wohl nichts abschlagen würde, und diesen wiederum sein Vater erhören wird.466

Wie später bei seinen Hohelied-Auslegungen wendet Bernhard jedes Wort des heiligen Textes hin und her, denn „dort ist nämlich alles und jedes voller höchster Geheimnisse und überquellend von himmlischer Süße, wenn sich nur ein aufmerksamer Betrachter findet … „467 Jungfräulichkeit und Demut Mariens sind die Hauptthemen der ersten Homilie, aber auch Demut des Gottessohnes. Daraus folgt: „Lerne, Mensch, zu folgen; lerne, Erde, dich zu unterwerfen; Staub, gehorche!“468 Bernhard schärft hier sich und seinen Zuhörern eindrucksvoll das monastische Hauptthema ein, den Gehorsam. Wie weit dieser gehen sollte, zeigt übrigens deutlich Bernhards Meinung, ein Gedanke könne nur dann von Gott kommen, wenn er vom Urteil eines Vorgesetzten gebilligt werde,469 zeigt ebenso die Erzählung in den Fragmenta, ein verstorbener Abt eines Tochterklosters sei Bernhard erschienen und habe um seine Erlaubnis nachgesucht, in die ewige Ruhe eingehen zu dürfen.470

In der zweiten Homilie reflektiert der Abt vor allem die Jungfräulichkeit der Gottesgebärerin, ihre heilsgeschichtliche Gegenstellung zu Eva, deren Schmach sie tilgt (das AVE des englischen Grußes entspricht daher, rückwärts gelesen, dem Namen der Urmutter471). Bernhard zeigt sich hier nicht einverstanden mit Adams Schuldzuweisung an seine Frau, sondern sieht die Verantwortung an der Erbsünde gleich verteilt.472 Wie in der typologischen Exegese üblich, führt er eine ganze Reihe von Stellen aus dem Alten Testament auf, in denen Vorankündigungen auf die Erfüllung im Neuen Bund zu sehen sind: Maria ist die starke Frau der Sprüche Salomos (31, 10); das Vlies Gedons (Ri 6, 37f.) bezieht sich auf ihre Jungfräulichkeit; die Weissagung des Jeremias (31, 22), eine Frau werde einen Mann umschließen, deutet natürlich auf Maria und Jesus, denn dieser war auch im Mutterleib vollkommen usw. Das berühmte Thema des göttlichen Ratschlusses klingt an – warum wollte Gott die Erlösung gerade auf diese Weise? Bernhard sieht darin eine Manifestation göttlicher Ordnung und Schönheit, den Erweis der Macht und Weisheit Gottes. Auch sollte offenbar werden, daß er klüger und mächtiger wäre als der Teufel.473 Ausführlich wird Joseph mit seinen Zweifeln behandelt und der Name Maria (Meeresstern). In allen Bedrängnissen und Versuchungen sollen wir zu diesem Gestirn hinaufschauen: „Wenn du ihr folgst, kommst du nicht vom Weg ab, wenn du sie bittest, verzweifelst du nicht, wenn du an sie denkst, irrst du nicht. Wenn sie dich hält, fällst du nicht, wenn sie dich schützt, ängstigst du dich nicht, wenn sie dich führt, ermüdest du nicht, wenn sie dir geneigt ist, erreichst du das Ziel …“ Im Original ist das wesentlich prägnanter durch verschieden gestellte Partizipia ausgedrückt: „Ipsam sequens non devias …“ bzw. „Ipsa tenente non corruis …“474

Die dritte Predigt beschäftigt sich zunächst mit der Natur der Engel, die, immateriell wie sie sind, auch durch geschlossene Türen eintreten können. Ein mystisches Thema klingt an: der Himmelskönig liebte die Jungfrau, verlangte nach ihrer Schönheit.475 Lange verbreitet sich Bernhard über die Segnung Mariens, geradezu dramatisch versucht er, ihre Gedanken in jenem Moment zu erfassen, und zwar in einem fiktiven inneren Monolog.476 Dieses Stilmittel, wie es auch in der zeitgenössischen Epik oft verwendet wurde, ist typisch für die neue Aufmerksamkeit, die das 12. Jahrhundert dem Seelenleben des Menschen widmete.477 Auch hier verwendet Bernhard als ein Element weiterer Verlebendigung, geeignet, die Heilswelt des „illud tempus“ in seine Gegenwart zu holen, zusätzlich die Anrede an die biblischen Person: „Öffne, Jungfrau, das Innere, weite den Schoß, bereite die Gebärmutter, denn Großes wird der an dir tun, der mächtig ist …“478 Wie bei Bernhard gewöhnlich, bleibt er aber nicht bei der Ruminatio, dem liebevollen Umkreisen aller Einzelheiten des heiligen Textes, sondern wendet sich, die biblischen Gestalten als Vorbilder rühmend, an seine Mönche. So verpflichtet er sie auf den Gehorsam gegenüber den Stellvertretern Jesu, den geistlichen Vorgesetzten, und zwar ausdrücklich nicht nur den guten, sondern auch den unfreundlichen gegenüber.479 Er verpflichtet sie auch auf die Demut und Sanftmut Jesu, wobei ein Anklang an passionsmystische Meditationen zu hören ist: „wir wollen an seinen Leiden teilhaben und uns in seinem Blute waschen. „480

Die letzte dieser mariologischen Ansprachen handelt vom Herrn als König, von der geheimnisvollen Überschattung der Jungfrau durch den Hl. Geist, von der hl. Elisabeth … Noch dramatischer wird Bernhard hier: die Jungfrau soll endlich dem Engel Antwort geben: „Dies erwartet die ganze Welt, vor deinen Knien hingestreckt … Gib, Jungfrau, eilig Antwort! Oh Herrin, antworte das Wort, das Erde, Hölle, ja auch Himmel erwarten! „481 Damit ist das Geschehen jener Zeit ganz aktuell gemacht, und keinem der Zuhörer konnte es entgehen, daß die Rettung der Menschheit von der Zustimmung Mariens abhängig war und ist. „Antworte das Wort und empfange das Wort! … Was zauderst du, was zitterst du? … Öffne, selige Jungfrau, das Herz dem Glauben, die Lippen der Bekenntnis, das Innere dem Schöpfer! … Steh auf, eile, öffne! Surge, curre, aperi!“482 Das erlösende Wort Mariens ist ein Zeichen ihrer Demut, und das ruft Bernhard schmerzlich ins Gedächtnis, wie viele in der Kirche, auch und besonders im Kloster, hier noch überheblicher geworden sind als einst in der Welt. Das reißt ihn weiter, über andere mönchische Laster zu predigen,483 so daß man hier schon einen Vorgriff auf die Apologie erkennt. Mit einem erneuten Bescheidenheits-Topos und der Widmung an Maria schließt das Werk.

Die Marienverehrung Bernhards und die des Mittelalters überhaupt darf freilich nicht zu dem Fehlschluß verleiten, ihm oder der Epoche ein positives Frauenbild zuzuschreiben – was er und seine Brüder von ihrer Schwester dachten, wurde bereits berichtet.484 Der monastischen und gesamtmittelalterlichen machistischen Ideologie entsprechend, ist auch für Bernhard das Weibliche eine menschliche Conditio, die negativ besetzt ist und überwunden werden muß. So gibt es für ihn auch nichts Verwunderlicheres, als daß der menschgewordene Gott sich zum Gehorsam einer Frau gegenüber bequemte.485 Während Maria die große Ausnahme darstellt, sind die Frauen als lebende Menschen dagegen eine vom Kloster ferngehaltene Species, bleiben vor den Mauern der Siedlung der „Heiligen“ (wie sich die Zisterzienser selbst nannten486). Gewiß hatte Bernhard an der „Feminisierung“ der religiösen Sprache Anteil, die sich im 12. Jahrhundert vollzog;487 auch das in der feministischen Mediävistik als angeblich typisch weibliches Sprechen von Gott gefeierte Motiv „Christus unsere Mutter“488 kommt bei ihm (wie bei vielen anderen Autoren) früher vor489 als bei irgendeiner Mystikerin. Trotzdem hatte dies keinen Einfuß auf das generelle Verhalten diesem Geschlecht gegenüber. Ausgenommen war nur die eine oder andere hoch adelige Dame.490 Das Thema der Brautmystik läßt Bernhard zwar oft zu metaphorischen Formulierungen greifen, die der Sphäre des Weiblichen entstammen;491 auch spricht er etwa von den fraulich weichen Schultern der Mönche, die keine Bürden für Männer tragen können.492 Doch solche Metaphern blieben wie der Marienkult in einer Sphäre, die nicht auf das reale Leben übergriff.493

Bernhard von Clairvaux

Подняться наверх