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Norbert von Xanten

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Am 11. November des Jahres 1124 fand die feierliche Einweihung der neuen Kirche der Zisterzienser von Foigny statt. Der Papst selbst hatte Bernhard die Teilnahme an den Zeremonien befohlen.437 Spätestens zu diesem Zeitpunkt machte er dort die persönliche Bekanntschaft mit Norbert von Xanten,438 einem um etwa fünf Jahre älteren Geistlichen vornehmer Herkunft, der wie er engagiert für die Reform der kirchlichen Hierarchie eintrat und bereits einen neuen Orden gestiftet hatte, die Prämonstratenser. Ein Zeitgenosse sah die bei den gemeinsam als die wichtigsten Vertreter der Klosterreform: „Jene zwei Cherubim spannten ihre Flügeln inmitten der Kirche auf, … d.h. die zwei herrlichsten (praeclarissimi) Orden, … einander in gegenseitiger Liebe nacheifernd, von denen der eine der der Zisterzienser unter der Leitung Bernhards ist …, der den schon fast gefallenen Mönchsstand zurück zur ursprünglichen Norm des apostolischen Lebens brachte, der andere der von Gott ‘vorhergezeigte’ (Praemonstratus), der, unter der Führung des Erzbischofs von Magdeburg Norbert begonnen, den kirchlichen Stand … aus dem Schmutz weltlicher Eitelkeit herausriß. „439

Norbert, ein Sproß des adeligen Geschlechts derer von Gennep bei Xanten, hatte schon ein Erzbistum ausgeschlagen, ehe er 1115 seine Bekehrung erlebte. Als freier Prediger wanderte er umher, nachdem er die Priesterweihe empfangen hatte, und fand viele, die von ihm und seinem Armutsideal fasziniert waren. Ihm ging es freilich vor allem um die Konversion des Priesterstandes zu einem bibelkonformen Leben, wozu er 1121 in Prémontré eine Gemeinschaft gegründet hatte, die nach der Regel des hl. Augustinus lebte: der Ursprung des Prämonstratenserordens. Der Grund und Boden für dieses Kloster der „Armen Christi“440 im Wald von Coucy war ein Geschenk Bernhards, wie er selber angibt.441 Manchen Zeitgenossen erschien Norbert sogar bedeutender als der Zisterzienserabt.442

Wenn ein Brief Bernhards sich auf dieses Treffen bezieht oder ein anderes im selben Jahr, wo er als Zeuge eine Schenkung an Norbert unterzeichnete443 (weitere sind möglich, aber nicht bezeugt), dann war er teils beeindruckt und teils skeptisch hinsichtlich dessen, was ihm der Deutsche über die Zukunft des Gottesstaates erzählte. Seinen Mund vergleicht Bernhard einer Himmelsflöte, von der zu schlürfen er verdient habe. Daß freilich der Antichrist – so Norbert – noch in dieser Generation erscheinen werde, das konnte Bernhard anscheinend nicht so recht glauben.444 Diese Meinung änderte er später, 1131 nennt er Norbert einen Mann, der eher dazu geeignet wäre, die göttlichen Mysterien zu eröffnen als er selbst445 (oder war dies ironisch gemeint?).

Es war Bernhard gewesen, der bei Norbert Erkundigungen über jene im ganzen Mittelalter präsente Gestalt der Endzeit eingezogen hatte. Der Antichrist, der im Neuen Testament einen Gegner des Erlösers bezeichnet, war in der Mythologie des mittelalterlichen Christentums eine von vielfältigen Legenden umsponnene Gestalt geworden.446 Obwohl man ihn auch in unpersönlicher, symbolischer Auslegung auf die Nöte der Endzeit hin interpretierte, dachten ihn sich die meisten eher als verkleidetes Unheuer und spekulierten über sein Aussehen, seine Mutter, seine Anhänger. Vor allem identifizierte man seit dem Investiturstreit fast schon habituell jeden Gegner mit dieser Gestalt: seht, der Antichrist ist schon auf Welt. Bernhard sollte dies später selbst mit dem Gegenpapst Anaklet (reg. 1130–1138) und mit Abaelard so halten.447

Der Antichrist macht die Welt zum Chaos, sein Auftreten verbürgt den Beginn der Endzeit. Gerade in jenem Jahr, als sich Bernhard und Norbert über den Antichrist unterhielten, dichtete in Melk an der Donau eine Einsiedlerin namens Ava über ihn:

vil michel wirt sîn gewalt,

sîniu wîze werdent manichvalt:

er häizet si stechen,

mit chrouwelen zerbrechen,

der vil ungehiure,

der brâtet si in dem viure,

vur diu tier er si leget,

mit den besemen er si slehet,

mit hunger tuot er in vil nôt,

in diu wazzer er si senchôt.

owî, wie veste si sint!

daz lîdent al diu gotes chint.448

“Groß wird seine Gewalt, seine Peine werden mannigfältig: er läßt sie [die wahren Christen] stechen, mit Klauen zerbrechen, der so Ungeheuere. Er brät sie im Feuer, wirf sie Tieren vor, schlägt sie mit Ruten, läßt sie Hunger leiden, stürzt sie ins Wasser. Weh, wie hart sind sie [die Peine]! Das erleiden alle Gotteskinder. „

Die Naherwartung der Endzeit als Triebfeder von Bernhards ganzem Handeln darzustellen, wie das versucht wurde449, ist sicher übertrieben; gerade 1124 oder 25 betont der Abt ja in gut augustinischer Tadition, Christus habe nicht einmal die Apostel den Jüngsten Tag wissen lassen. 450 Wie jeder andere Theologe seiner Epoche glaubte er sich prinzipiell in einer Endzeit lebend, war sich dessen bewußt, noch schnell durch Askeseleistung „Zeit kaufen“ zu müssen, „denn die Tage sind böse“.451 Im Prinzip dachte so auch seine ganze Generation (und nicht nur sie). Petrus von Cluny z.B. verteidigte die regelwidrige Üppigkeit seiner Mönche in puncto Ernährung damit, daß ihre physische Konstitution schwächer sei, als die der früheren Mönche, denn sie lebten in der Endzeit.452

Aber nur in besonderen Krisensituationen wird für Bernhard diese latente Möglichkeit richtig aktuell: während des Papstschismas von 1130, im Kampf gegen Abaelard und nach dem Scheitern des von ihm gepredigten Kreuzzuges.453 Erst in seinen letzten Lebensjahren dürfe er wirklich längere Zeit ernsthaft damit gerechnet haben, der Antichrist sei tatsächlich schon unterwegs.454

Bernhard von Clairvaux

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