Читать книгу Yes, das Leben ist genug ... - Peter Eichner - Страница 10
Die Gewissheit
Оглавление„Mama, ich bin schwanger! Meine Menstruation ist lange überfällig! Schon das zweite Mal!“
„Oh Gott, Sophie, das ist ja furchtbar! Wir müssen sehr schnell was unternehmen!“ Maria Dietl war außer sich. „Was unternehmen? Was meinst du damit?“ „Das ist doch vollkommen klar: das Kind muss abgetrieben werden! Oder willst du mit knapp 18 Jahren eine unverheiratete Mutter sein? Deine Theaterkarriere, in die du und auch wir, so viel Zeit und Geld investiert haben, die dir immer das Wichtigste war – einfach abbrechen?“ Sophie fing an zu weinen. “Ich werde auf keinen Fall abtreiben, vielmehr werde ich heiraten und meine Karriere, nachdem ich das Kind bekommen habe, fortsetzen“, schluchzte sie. Sophie gab ein furchtbares Bild ab. Ihre Augen waren verquollen, ihre Wangen tränenüberströmt und wütend war sie auch noch.
„Glaubst du, dass dein Ballettchef zu dir sagt: „Ja das macht doch gar nichts, Fräulein Dietl, tragen sie ihr Baby ruhig aus, wir haben zwar mit ihrem Auftritt in der laufenden Spielzeit gerechnet, aber das ist überhaupt kein Problem. Kommen sie nach zwei Jahren einfach wieder bei uns vorbei, dann können sie sofort wieder einsteigen. Glaubst du das wirklich Sophie?!“ So aufgeregt hatte Sophie ihre Mutter noch nie im Leben gesehen. Auch die ungewohnte Lautstärke, mit der sie sie anschrie, erschrak sie zutiefst.
Als Maria bewusst wurde, welch‘ Häufchen Elend ihr da gegenüber saß, nahm sie ihre Tochter in den Arm und strich ihr übers Haar: „Ich spreche heute Abend mit deinem Vater und du gehst jetzt am besten zu deinem Christian!“
Der war völlig überrascht, Sophie gegen 10:00 Uhr morgens in seiner Schreinerei zu sehen. „Geh‘ schon mal vor ins Büro, ich komme gleich! Muss nur noch schnell eine Sache fertigmachen.“ Während er Sophie beobachtete, die regelrecht in Richtung Bürotür schlich, war ihm schon vollkommen klar, dass hier irgendetwas aus dem Ruder lief. So niedergeschlagen hatte er seine sonst stets strahlende Sophie noch nie erlebt. Wenige Minuten später war er bei ihr und nahm sie erstmal in den Arm.
„Was ist denn los mit dir?“, fragte er beunruhigt. „Hast du ein Problem, mein Liebling?“ „ ICH habe kein Problem, Christian, aber WIR haben ein Problem!“ „Wir?“ „Ich bin schwanger!“ Nun war es ‘raus! Christian stutzte nur kurz. Dann lachte er los. „Das ist doch kein Problem! Das ist einfach nur sensationell, Sophie! Er wirbelte sie herum. „Wir bekommen ein Kind – und das ist wunderbar!“
Sophie bekam den dritten Weinkrampf an diesem Tag und schluchzte: „Aber meine Mutter möchte das Baby abtreiben!“ Schlagartig verschwand das strahlende Lächeln aus Christians Gesicht. “Das kommt niemals in Frage! Hörst du, Sophie, niemals! Dazu werde ich niemals meine Einwilligung geben! Stattdessen werde ich dich so schnell wie möglich heiraten. Ja, erinnerst du dich denn nicht mehr daran, was ich dir damals gesagt habe: ich möchte der Vater deiner Kinder werden?!“
Christian küsste ihr die Tränen von den Wangen. “Kannst du dir eigentlich vorstellen, was die mit mir beim Theater machen werden? Hochkant schmeißen die mich ‘raus, Christian! Bei uns Tänzerinnen ist „Kinderkriegen“ etwas vollkommen Unmögliches. Abtreiben ist hier an der Tagesordnung! Etwas anderes kann auch ich mir nicht erlauben. Ich muss das machen!“ „Sophie, du hast ein so großes Talent! Du bekommst unser Kind und ein halbes Jahr nach der Geburt bist du wieder eine Ballerina. Wir werden das gemeinsam durchstehen. Wir stellen eine Haushälterin und eine Kinderfrau ein. Wir können uns das leisten, Sophie!
Verlier‘ bloß nicht die Nerven. Lass‘ uns einen Schritt nach dem anderen tun. Ich werde morgen deinen Vater anrufen und mit ihm alles besprechen. Es gibt für alles eine vernünftige Lösung! Aber vorher muss ich dich noch was ganz wichtiges fragen: Möchtest du meine Frau werden?“
Sophie wusste nicht ob sie lachen oder weinen sollte, entschied sich aber fürs Weinen. Das vierte Mal heute. Unter Tränen strahlte sie Christian glücklich an und hauchte ein „Ja, ich will!“
Dann ging sie zu ihren Proben, die um 13:30 Uhr angesetzt waren. Mittlerweile hatte sie sich weitgehend beruhigt und auf dem Weg zum Theater auch ihre positive Ausstrahlung wieder gefunden.
Als sie gegen 18:30 Uhr aus der Straßenbahn stieg und den Schlüssel am Prinzregentenplatz ins Schloss steckte, wurde ihr schlagartig bewusst, dass das, was jetzt auf sie zukam, sehr schwer werden würde. In der ganzen Aufregung hatte sie völlig verdrängt, dass sie sich ja auch noch ihrem Vater erklären musste.
Sowohl Maria als auch Gerhard Dietl waren schon zuhause. Sehr ungewöhnlich! Normalerweise trafen ihre Eltern abends erst viel später ein. Lisa, die gute Seele des Haushalts, drückte sie gleich an sich und fragte: „Da drinnen scheint ziemlich dicke Luft zu sein. Ist irgendwas? Soll ich dir einen Kakao machen – zur Stärkung?“ „Ja bitte, Lisa!“
Bevor sie die Klinke der Wohnzimmertür herunter drückte, atmete Sophie noch einmal tief durch. Ihre Eltern saßen am Esstisch. Schnell begrüßte sie beide und nahm sich einen Stuhl. Irgendwie fühlte sie sich wie kurz vor einer Hinrichtung.
„Dass du mir das antust, Sophie“ begann der Vater sofort. Dabei senkte er den Kopf und würdigte sie keines Blickes. „Was hast du nun vor? Hast du inzwischen mit deinem Christian gesprochen?“ Sophie riss sich zusammen und antwortete vermeintlich ruhig: „Wir möchten heiraten und Christian freut sich über das Kind – genauso wie ich auch!“ Nun schaute ihr Vater auf. Das Gesicht gerötet, Schweißperlen auf der Stirn. Unablässig schüttelte er den Kopf: „Das macht es nicht besser, Sophie – und ändert auch nichts. Ich muss dir das nicht noch einmal erklären. Deine Mutter hat dir alles gesagt und so wird es auch gemacht! Als ich es von deiner Mutter heute Vormittag erfuhr, habe ich sofort deinen Großvater eingeweiht. Du hast dem alten Mann sehr wehgetan. Ihn grenzenlos enttäuscht. Er möchte dich und deinen Christian morgen früh um 10:00 Uhr in Tegernsee sehen! Keine weitere Diskussion!“
Zwar hatte Sophie – wenigstens ungefähr – gemeint zu wissen, was bei diesem Gespräch auf sie zukommen würde, aber damit, dass sie sich nun auch noch bei ihrem geliebten Opa – dem Patriarchen der Familie – rechtfertigen sollte, war nicht im Entferntesten zu rechnen gewesen.
Völlig perplex schaute sie ihren Vater an, doch als sie gerade beginnen wollte nachzufragen, griff ihre Mutter ein: “Sei am besten still und hör‘ dir an, was dein Großvater euch zu sagen hat!“
Sophie erhob sich, ging wortlos in ihr Zimmer und warf sich auf ihr Bett. Das ganze Elend dieser Welt brach über ihr zusammen…