Читать книгу Yes, das Leben ist genug ... - Peter Eichner - Страница 7
Ein sonniger Sonntag am See
ОглавлениеSophie betrat das Esszimmer. Es war kurz nach 9:00 Uhr und es hatte Tradition, am Sonntagmorgen das Frühstück gemeinsam mit den Eltern einzunehmen. „Was hast du denn heute wieder vor, Sophie? Es ist uns aufgefallen, dass du neuerdings nicht mehr sonderlich viel Zeit zuhause verbringst“, bemerkte die Mutter. Keck schaute Sophie die beiden an und verkündete: „Ich bin verliebt! Eure große Tochter ist bis über beide Ohren verliebt!“ Das war die typische Sophie: ein wenig kess, frei heraus, sehr ehrlich und voller Selbstbewusstsein. Alles ein Resultat der selbstständigen Erziehung, die sie genoss. „Findest du, dass das ausgerechnet jetzt der richtige Zeitpunkt ist, sich zu verlieben?“, fragte Gerhard Dietl nach.
Sophie reagierte einigermaßen entrüstet. „Aber Papa, du müsstest doch wirklich wissen, dass man den Zeitpunkt, sich zu verlieben, nicht planen kann. Er ist einfach so gekommen – aus heiterem Himmel – war plötzlich da!“ Sie musste grinsen: heiter war der Himmel wirklich an jenem Tag nicht gewesen! „Und nun bin ich sehr, sehr glücklich!“, fügte sie hinzu. Ein Lächeln lief über das Gesicht ihres Vaters. Sophie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er ihr nie böse sein konnte.
Dann berichtete sie von Christian: Wer er war, wo er wohnte, was er machte. Allerdings hielt sie es für angebracht, ihn ein wenig jünger zu machen…! Maria, ihre Mutter schmunzelte über so viel Euphorie ihrer Tochter. „Wenn du deine Einstellung zu deinem Beruf nicht veränderst und uns diesen jungen Mann auch mal vorstellst, soll es uns recht sein. Wir wünschen uns ja nichts mehr als dich glücklich zu sehen. Aber bitte denk‘ auch daran, dass du noch so jung bist!“ Da war es schon wieder – „sooo jung“. Sophie ging dieses Mal sicherheitshalber nicht auf diese Bemerkung ein. Stattdessen sagte sie: „Versprochen!“, verabschiedete sich lächelnd von ihren Eltern und ging in ihr Zimmer.
Gegen 10:30 Uhr erreichte Sophie die Wohnung in der Baaderstraße und läutete Sturm. Christian öffnete sofort die Tür und die beiden fielen sich in die Arme. Nachdem sie sich sehr lang und ausgiebig geküsst hatten, schlug Christian vor, bei diesem schönen Wetter an den Tegernsee zu fahren. Für die 35 Kilometer ins Tegernseer Tal würden sie nur eine knappe Stunde brauchen – auch wenn man den Ausflugsverkehr am Sonntag berücksichtigte. “Sehr gerne!“ Sophie war sofort Feuer und Flamme. “Habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass dort unser Betrieb zuhause ist, oder besser gesagt, die Lodenfabrikation Dietl? Mein Großvater – Alois Dietl – hatte dort, zusammen mit seiner Frau Margarethe, nach dem 1. Weltkrieg, zunächst eine Schneiderei gegründet. Aus dieser kleinen Schneiderei entwickelte sich dann mit den Jahren die große „Loden Manufaktur Dietl“.
Die Großeltern pflegten ein sehr enges Verhältnis zu ihrer einzigen Enkelin. Allerdings wäre es Alois lieber gewesen, wenn er sich gegenüber seinem Sohn Gerhard hätte durchsetzen können und Sophie bei ihm in die Schneiderlehre gegangen wäre. Aber diesen Weg hatten weder ihre Mutter Maria noch Sophie einschlagen wollen.
Normalerweise hätte sich der alte Patriarch Alois – wie meistens – behauptet, doch als Sophie ihren 14. Geburtstag mit der ganzen Familie gefeiert hatte, war auch das Thema Ballett zur Sprache gekommen. Mit ihrem schönsten Lächeln vermittelte sie ihrem Großvater, wie sehr sie das Ballett und das Theater liebte und dass sie eine Laufbahn als Balletttänzerin einschlagen wollte. Alois Dietl gab auf. Er konnte sich, ebenso wenig wie ihr Vater, ihrem Charme und ihrer Zielstrebigkeit entziehen!
Die beiden erreichten Tegernsee, stellten den Wagen direkt am Herzoglichen Schloss ab und schlenderten am Seeufer entlang. Zu dieser Tageszeit kamen ihnen bereits viele Spaziergänger entgegen, deren nächstes Ziel offensichtlich das Brauhaus war. Dort konnte man unter herrlichen Kastanien sitzen, ein ausgezeichnetes, gut gebrautes, kühles Helles trinken und sich natürlich auch eine deftige Bayrische Brotzeit gönnen. Auch bei ihnen meldete sich inzwischen der Appetit. Sie hatten sogar das Glück, einen kleinen Tisch direkt am Seeufer zu bekommen. Beide setzten sich so, dass sie den freien Blick über den See nach Wiessee hinüber genießen konnten. Es war ein Idyll wie im Märchen und die Verliebten machten sich selbst zu den Hauptdarstellern… Wenn Christian überhaupt einmal Sophies Hände kurz los ließ, dann auch nur, um schnell einmal einige Happen von dem guten Essen zu sich zu nehmen oder einen kräftigen Schluck zu trinken.
Erst am späten Nachmittag fuhren sie wieder zurück in die Stadt. Sophie hatte am Abend noch ein Treffen mit Anna, um das Übungsprogramm der nächsten Woche zu besprechen. Bis zu ihrer Premiere, ihrem ersten öffentlichen Soloauftritt blieb nur noch eine Woche. Sie war ambitioniert und professionell genug, um zu wissen, worauf sie im Augenblick die Priorität setzen musste. Christian reagierte zwar traurig, dass sie gehen musste und der lange Kuss in einer Seitenstraße zum Prinzregentenplatz war ihm wahrhaftig nicht „genug“, aber er spürte auch, dass sie ihre Sache sehr ernst nahm und er sie jetzt nicht aufhalten durfte.
„Ich liebe dich, Christian! Morgen Nachmittag rufe ich dich in der Schreinerei an!“ Auf dem Weg zu ihrer Haustür drehte sie sich noch einmal um, küsste die Innenseite ihrer linken Hand – der Herzseite – und „hauchte“ den Kuss in seine Richtung. Christian erwiderte diesen schönen Abschiedsgruß und fuhr dann glücklich davon.
Montagnachmittag. Das Telefon in der Schreinerei läutete. Sofort wurde Christian an den Apparat gerufen. „Einen wunderschönen Tag wünsche ich dir, Sophie“, meldete er sich. „Ich möchte dich zu meiner Premiere am Samstagabend in die Oper einladen“, sprudelte es aus ihr heraus. „Wir können uns am Mittwoch sehen. Dann werde ich dir auch deine Eintrittskarte geben!“ Sophie wirkte ganz anders als sonst, fand Christian. Es hatte den Anschein, dass sie überaus aufgeregt war. „Herzlichen Dank, Sophie, ich freue mich sehr, bei deinem großen Aufritt dabei sein zu dürfen. Aber was soll ich denn nur drei Tage ohne dich machen, mein Liebling?“ Sophie lachte: „Du bist fast 23 Jahre ohne mich ausgekommen, also bitte…“ „Ach Sophie, glaub‘ mir doch, dass ich volles Verständnis für dich habe – auch wenn es mir sehr, sehr schwer fällt, nur ein paar Tage auf dich zu verzichten.“
Am Samstagnachmittag blieb Christian zuhause. Er hatte sich Arbeit mit hoch genommen. Gegen 16:00 Uhr nahm er ein Bad und rasierte sich. Seine Nervosität wuchs stetig. Hoffentlich geht heute Abend alles gut, dachte er. Sophie hatte ihm gesagt, dass sich das gesamte Ensemble nach der Premiere noch in der Oper zusammensetzen würde, um gemeinsam ein Gläschen auf den Erfolg der neuen Spielzeit zu trinken. Bei dieser Gelegenheit wollte sie Christian auch ihren Eltern vorstellen. Bevor er das Haus verließ, betrachtete er sich noch einmal im Spiegel und war mit „dem Ergebnis“ sehr zufrieden. Ein durchaus attraktiver, gut aussehender Mann schaute ihn an…!