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Ein Scherbenhaufen …

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Es regnete. Leichter Nebel lag über dem Tegernsee. Christian und Sophie fuhren morgens um 8:30 Uhr aus München fort. Jetzt auch noch zu spät zu kommen, war das letzte was ihnen passieren durfte. Auf der Fahrt hatte Sophie Christian darauf hingewiesen, dass ihr Großvater, Alois Dietl, der heimliche Chef der Familie war. Gerhard Dietl, Sophies Vater, wurde sehr streng und nach katholischen Maßstäben von seinen Eltern erzogen. Der Glaube stand in der Erziehung an erster Stelle, war sozusagen die Grundlage des Familienlebens.

Sophie liebte ihren Großvater. Beide hatten ein sehr inniges Verhältnis. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals von ihm geschimpft worden zu sein. Deshalb sah sie diesem Gespräch auch mehr oder weniger gelassen entgegen.

Pünktlich, fünf Minuten vor 10:00 Uhr, betraten die beiden Hand in Hand das Großelterliche Anwesen. Oberhalb des Sees gelegen, mit einer wunderschönen Aussicht. Doch dafür fehlte ihnen heute der Blick.

Die Haushälterin führte sie in das große Empfangszimmer und servierte Kaffee. Kurz darauf erschien Alois Dietl – ohne seine Frau Margarethe, Sophies Oma.

Während er Sophie gewohnt herzlich begrüßte, gab er Christian nur sehr distanziert die Hand und setzte sich dann zu ihnen an das Kopfende des Tisches. „Ich will es kurz machen und ich dulde keinen Widerspruch! Deswegen hört bitte genau zu, was ich euch zu sagen habe. Sophie, du wirst dieses Kind austragen!“

Im ersten Augenblick waren die beiden zunächst mal erleichtert und atmeten tief durch, denn mit einer derartigen Eröffnung hatten sie kaum rechnen können.

Doch sofort gebot der Großvater ihnen Einhalt. „Wartet ab.“ Sehr bestimmt fuhr er fort: „Sophie, du kannst schon morgen dem Intendanten der Oper deine Kündigung geben. Bis zum nächsten Montag lasse ich dir noch Zeit. Dann erwarte ich dich, zusammen mit deinen Eltern, hier bei uns in der Fabrikation. Du wirst eine Schneiderlehre beginnen. Ich erlaube dir ein „Kreativ Studium“, bei dem du hoffentlich genau so viel Talent entwickeln wirst wie in deinem Ballett. In diesem Fall hast du hier alle Voraussetzungen, dich selbst zu verwirklichen.“

Sophie hob den Zeigefinger und wollte gerade beginnen zu protestieren, als er fortfuhr: „Moment, Sophie, ich bin noch nicht fertig! Du wirst hier bei uns im Haus wohnen. Dein Zimmer ist dir ja nicht fremd. Ich möchte, dass du bis zu deiner Niederkunft nicht mehr in München gesehen wirst. Nachdem du das Kind dann in Tegernsee zur Welt gebracht hast, wird es auch hier sofort zur Adoption freigegeben. Jegliche Kontaktaufnahme, sei es zu den Adoptiveltern oder zum Kind – deinerseits, wie auch zu euch beiden und seitens der neuen Eltern des Kindes, wird vom hiesigen Amtsgericht verboten werden! Damit ist die Sache dann ein für alle Mal erledigt und geregelt!“

Sophie brach in Tränen aus. Christian war vollkommen perplex. Ihm fehlten die Worte. So hatte schon lange niemand mehr mit ihm gesprochen. Dann fasste er sich und erhob Einspruch: „Ich möchte ihnen sagen, dass wir das so nicht machen werden! Vielmehr werden wir heiraten und das Kind natürlich selbst groß ziehen. Sie, Herr Dietl, werden das nicht verhindern können!“ Obwohl Christian sehr erbost war, zwang er sich ruhig und bestimmt zu sprechen. Der alte Herr schaute ihn an und schüttelte entschieden den Kopf: “Ich will ihnen ja nicht wehtun junger Mann, aber gehen sie mal davon aus, dass SIE hier gar nichts, ich wiederhole, g a r n i c h t s, zu sagen haben! Schließlich haben sie meine Enkelin verführt! Sophie ist meines Wissens heute noch 17 Jahre alt und somit minderjährig. Das heißt für sie, dass sie sich damit strafbar gemacht haben. Ich versichere ihnen jedoch, dass unsere Familie nichts gegen sie unternehmen wird, solange sie sich an meine Anweisungen halten!“

Sein Blick wurde noch strenger: „Sollten sie sich dem nicht fügen, verspreche ich ihnen, dass sie in München keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen. Glauben sie mir, meine Verbindungen gehen über die ganze Stadt. Sind sie, Herr Kessler sich eigentlich bewusst, was sie hier angerichtet haben? Ich glaube nicht! Abschließend verbiete ich ihnen jeglichen Umgang mit meiner Enkelin! Halten sie sich daran Herr Kessler, in ihrem Interesse…!“

So massiv im Auftreten und in der Art und Weise, seine Rede zu führen, hatte Sophie ihren Großvater noch nie erlebt. Jetzt reichte es! Nachdem sie sich durch einen kurzen Blick verständigt hatten, standen die zwei auf, drehten sich um und verließen das Haus. Wort- und Grußlos. Christian fuhr die kleine Straße hinunter. Nur weg hier! Als er, kurz vor dem See, rechts einen Waldweg sah, bog er ab, hielt und stellte den Motor aus. Sofort löste sich die ganze Anspannung der beiden in haltlosen Weinkrämpfen.

Irgendwann beugte sich Christian zu Sophie hinüber und sagte: „Wir werden zusammenhalten! Wir lassen uns das nicht gefallen! Das darf doch alles gar nicht wahr sein!“ Völlig verzweifelt und tränenüberströmt schaute sie ihn an: „Begreif‘ es doch, Christian! Wir haben keine andere Wahl! Du kannst dir nicht vorstellen, welche Macht mein Großvater hat. Die kann er noch viel schlimmer ausspielen als er es dir angedeutet hat. Ich werde dich immer lieben und vielleicht haben wir ja auch in ein paar Jahren eine gemeinsame Zukunft, aber jetzt werde ich seinen Anweisungen folgen, ohne Wenn und Aber!“

Christian sah in zwei Augen die völlig gebrochen waren und genauso fühlte er sich jetzt auch.

Er startete den Motor und fuhr los, Richtung München. Die beiden sprachen kein Wort. Am Prinzregentenplatz angekommen, stieg er aus, öffnete Sophies Wagentür und versuchte sie noch einmal in die Arme zu nehmen. Doch Sophie riss sich los, lief schluchzend zur Haustür und verschwand – ohne sich noch einmal umzudrehen – im Eingang.

Nachdem die schwere Tür ins Schloss gefallen war, setzte sie sich auf die unterste Treppenstufe und weinte jämmerlich. Ihre ganze, schöne Welt war zusammengebrochen! Alles, was ihr lieb, teuer und wichtig war, hatte sie mit einem Schlag verloren. Das gesamte Glück der letzten Wochen, ihr bisheriges Leben, lag binnen zwei lächerlicher Stunden in Trümmern.

Yes, das Leben ist genug ...

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