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4.2.5.2 Empfangsbedürftige Willenserklärung
ОглавлениеMeist sind jedoch die Willenserklärungen ihrem Inhalt nach für eine andere Person bestimmt und dieser gegenüber abzugeben (empfangsbedürftige Willenserklärung). In diesem Fall wird die Willenserklärung erst wirksam, wenn sie dem Empfänger zugeht (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Der Begriff des Zugangs und damit die Umstände des Wirksamwerdens einer Willenserklärung sind im Gesetz nicht näher bestimmt. Deshalb war es weithin Aufgabe der Gerichte, in vielen Einzelentscheidungen Grundsätze über das Zugehen einer Willenserklärung herauszuarbeiten. Danach gilt Folgendes:
Die einem Anwesenden gegenüber abgegebene nicht verkörperte, also mündliche, telefonische oder konkludente Erklärung, geht sogleich zu, wenn sie vom Empfänger wahrgenommen worden ist und der Erklärende davon ausgehen durfte, der Empfänger habe sie richtig und vollständig verstanden.
Die an einen Abwesenden – meist schriftlich – gerichtete Erklärung ist zugegangen, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen.
Unter „Machtbereich“ (Zugriffsbereich) sind Wohnung, Geschäftsräume, auch der Haus- oder Geschäftsbriefkasten zu verstehen, ebenso das auf Empfang gestellte Faxgerät oder das E-Mail-Postfach. Dazu zählt auch die Übergabe an einen „Empfangsvertreter“ (z. B. Rechtsanwalt) oder an einen „Empfangsboten“, etwa an den Ehegatten, einen erwachsenen Hausangehörigen, einen kaufmännischen Büroangestellten oder den Pförtner.
Was den Zeitpunkt des Zugangs angeht, der etwa bei einer innerhalb einer bestimmten Frist zu erklärenden Kündigung, einer fristgebundenen Rücktrittserklärung oder für die Annahme eines befristeten Angebots exakt zu bestimmen ist, ist maßgebend, wann unter gewöhnlichen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist: Übliche Zeit der Leerung des Briefkastens, des Leerens eines Postfaches, des Ausdrucks einer Faxnachricht, des Abhörens des Anrufbeantworters und bei Empfangsboten der Zeitpunkt, zu dem die Weitergabe des Dokuments an den Adressaten zu erwarten war. Bei Übermittlung einer Willenserklärung an den Adressaten selbst oder einen Empfangsvertreter ist hingegen von sofortigem Zugang auszugehen.
Nachdem Post auch noch am Nachmittag zugestellt wird, gehen auch im Privatverkehr bis 18.00 Uhr eingeworfene Erklärungen noch am selben Tag zu. Im geschäftlichen Verkehr ist für das Zugehen von Postsendungen oder Faxmitteilungen auf die übliche Geschäftszeit abzustellen. E-Mails und SMS mit rechtsgeschäftlichen Erklärungen gehen zu, wenn sie im Postfach des Empfängers abrufbar gespeichert sind, nicht jedoch, wenn dies zur „Unzeit“ geschieht. Davon muss bei Eingang am Abend oder in der Nacht jedoch ausgegangen werden.
Wird spät am Abend noch eine Kündigung in den Briefkasten des Empfängers eingeworfen, so ist das Zugehen dieser Erklärung erst für den nächsten Morgen anzunehmen. Die am Abend abgesandte und aufgezeichnete Fax-Bestellung geht dem angeschriebenen Versandhaus erst am nächsten Vormittag zu.
Ein besonderes Problem kann entstehen bei der häufig praktizierten Versendung wichtiger Erklärungen durch Einschreibebrief. Er geht erst zu, wenn er dem Empfänger tatsächlich ausgehändigt wird. Wenn der Briefträger den Empfänger beim ersten Zustellgang nicht antrifft und deshalb den Einschreibebrief nicht übergeben kann, so kann die darin enthaltene Erklärung auch noch nicht zugehen. Holt der Empfänger aufgrund einer Benachrichtigung den Brief am nächsten Tag beim Postamt ab, dann geht er jetzt zu. Die Frist kann inzwischen versäumt sein.
Ein sicherer Weg, der den Zugang gewährleistet und auch in einer amtlichen Urkunde dokumentiert wird, ist die amtliche Zustellung durch Vermittlung des Gerichtsvollziehers. Gemäß § 132 Abs. 1 BGB steht diese Möglichkeit jedermann offen.
Weitere Einzelfälle zur Frage des Zugehens:
> Nachsendungsantrag: Ist vom Adressaten der Erklärung ein Nachsendungsantrag gestellt, so erfolgt das Zugehen mit der Aushändigung der Sendung am Aufenthaltsort.
> Abwesenheit: Ortsabwesenheit des Empfängers wegen Urlaubs, Krankheit, Haft steht einem Zugehen mit Einwurf in den Hausbriefkasten nicht entgegen.
> Zugangsvereitelung: Bei böswilliger Zugangsvereitelung ist nach Treu und Glauben ein Zugehen zu dem Zeitpunkt zu unterstellen, zu dem Kenntnisnahme hätte erfolgen können (Abstellen des Faxgeräts, wenn Erklärung per Fax vereinbart war).
> Unbegründete Annahmeverweigerung: Sie verhindert nicht das Zugehen; anders, wenn wegen fehlerhafter Anschrift oder unzureichender Frankierung (Strafporto) die Entgegennahme zu Recht abgelehnt wird.