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Paradoxien des Ich-Konzeptes

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In den oben diskutierten Konsequenzen des Ich-Gedankens wurden bereits verschiedene Paradoxien deutlich, die mit der fundamentalen Fehlkonstruktion der menschlichen Grundanschauung, seiner Identitätsauffassung als getrenntes Ich zusammenhängen. Selbst im günstigen Fall, wenn sich als Kompensationsstrategie tatsächlich im Leben diverse Erfolge einstellen, bieten diese Erfolge paradoxerweise meistens keine echte Lösung für das ursprüngliche existentielle Problem, sondern erweisen sich häufig eher als dessen Verstärkung.

Noch deutlicher wird die paradoxe Situation, wenn als Lösungsstrategie die Ich-Überwindung durch Selbstverbesserung verfolgt wird. In diesem Fall versucht sich das Ich durch bestimmte Praktiken selbst aufzulösen. Ein solcher Versuch der Ich-Überwindung gleicht dem Kontrollblick in einen Spiegel, um nachzusehen, ob das „Ich“ noch anwesend ist. Mit dem Blick in den Spiegel manifestiert sich allerdings das Vorhandensein des Ich immer wieder aufs Neue. Sobald man sich mit dem Ich beschäftigt, ist es da. Gerade im Bemühen, das Ich zu überwinden, wird das Ich erst so richtig präsent. Das Ich ist eben immer der Gedanke an das Ich. Je mehr wir uns mit unserem „Ich“ befassen, desto stärker wird es bewusst, desto stärker macht es sich bemerkbar. Im Versuch der Ich-Überwindung versucht sich das Ich selbst um die Ecke zu bringen. Das kann nicht gelingen, oder?

Ein schönes Beispiel für die paradoxe Situation der Ich-Überwindung ist die Meditation. Meditation ist von der Natur aus ein „absichtsloses Tun“, ein Nicht-Handeln, ein gedankenfreies Ruhen in der Gegenwart. Wird Meditation allerdings praktiziert, um etwas zu erreichen, zum Beispiel Ichlosigkeit oder Erleuchtung, dann gleicht sie dem Versuch, das Versuchen loszulassen, Freisein zu erzwingen. Jedes Übungskonzept verfestigt den Gedanken, dass es etwas zu erlangen gibt und stärkt damit den Ich-Gedanken, den es eigentlich zu überwinden gilt.10 11 12

Eugen Herrigel beschreibt in seinem bekannten Buch „Zen in der Kunst des Bogenschießens“13 eine vergleichbare paradoxe Situation, in welcher der Bogenschütze sein Ziel nur dann sicher zu treffen vermag, wenn er den Pfeil absichtslos, unschuldig bzw. mühelos abschießt, wenn er also von dem Gedanken loskommt, dass der Schuss unbedingt gelingen muss. Der kleinste Wunsch nach Erfolg erweist sich dagegen als ein verlässlicher Garant, die Zielscheibe zu verfehlen.

Aber auch das alltägliche Streben nach Selbstverbesserung gleicht einem Kampf mit uns selbst, wodurch häufig genau die Charaktereigenschaft gestärkt wird, die eigentlich bekämpft werden soll. Denken Sie sich nur eine Situation des persönlichen Ärgers, die zuverlässig dadurch intensiviert wird, dass Sie sich über den eigenen Ärger ärgern. Je mehr man sich also bemüht, die eigene Unzulänglichkeit zu überwinden, desto stärker kommt sie zum Vorschein.

Die Liste paradoxer Verbesserungsprojekte ist wohl nahezu unbegrenzt, hier einige Beispiele:

• „Ich werde Intoleranz nicht länger hinnehmen.“ Dagegen ist sicher nichts einzuwenden, aber Intoleranz gegenüber Intoleranz ist nun mal nicht sehr überzeugend.

• „Ich strebe die Hingabe an das Leben an.“ Hingabe steht für Gelassenheit und Loslassen vom kontrollierenden Ich, was allerdings kaum mit einem zielgerichteten Vorhaben zusammenpasst.

• „Ich bemühe mich darum, entspannter zu leben.“ Jede Mühe setzt bereits Spannung voraus, sonst wäre sie ja nicht erforderlich.

• „Ich möchte in Zukunft mehr im Jetzt leben.“ Eine Zukunftsplanung und die Ausrichtung auf die Gegenwart passen nicht zusammen.

• „Ich möchte innere Widerstände gegen das Leben abbauen.“ Dieses Tun bedeutet einen Widerstand gegen einen Widerstand.

• „Ich möchte in Zukunft disziplinierter sein.“ Um disziplinierter zu werden, ist bereits ein gewisses Maß an Disziplin nötig.

Keines der genannten Verbesserungsprojekte ist an sich falsch oder fragwürdig. Die angestrebten Ziele sind vernünftig und ehrenwert. Das Problem besteht einfach darin, dass sich diese sinnvollen Vorhaben nicht durch Selbstmanipulation erreichen lassen. Das kontrollierende Ich kann sie nicht herbeiführen, da es sich dabei selbst im Weg steht. All diese „Verbesserungen“ können aber selbstverständlich eintreten, wenn die mit den Vorhaben verbundenen Mühen durchschaut werden oder wenn das Leben die Änderung selbst herbeiführt, wenn „es“ also einfach geschieht. In keinem Fall wird sich das Ich für die Veränderung rühmen können.

Im Extremfall gipfelt die Bemühung um Selbstverbesserung in einem regelrechten Wettkampf. Ziel vieler spiritueller Übungen ist es ja, das eigene Ego zu überwinden, um einen höheren spirituellen Status zu erlangen. Dabei deutet die Hierarchie der erreichbaren Zustände bereits auf einen Wettbewerb hin, auf den Kampf um die größte Ichlosigkeit. Folgender kurioser Dialog illustriert die Ironie eines solchen Wettbewerbs in treffender Weise (in Anlehnung an Allan Watts14):

A: „Ich bin ein besonders spiritueller Mensch, mein Ego ist kleiner als deins!“

B: „Ja klar, ich bin allerdings einer, der es weniger darauf anlegt, die anderen zu übertreffen, als du!“

A: „Von wegen, mir ist deutlicher bewusst als dir, dass wir es mit allem, was wir tun, nur darauf anlegen, die anderen zu übertreffen!“ etc.

Es wird deutlich, dass das Nicht-Ich-Spiel nur eine Variante des Ich-Spiels darstellt. Jede Selbstverbesserung ist eben trotz hehrer Ziele auch nur ein „besser werden wollen als andere“ und damit nichts anderes als ein Ich-Konzept.

Ich – wer ist das?

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