Читать книгу American Christmas - Petrina Engelke - Страница 8

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Weihnachten ist in den USA eigentlich nur der Nachklapp: Die amerikanische Feiertagssaison beginnt schon am vierten Donnerstag im November. Thanksgiving ist der wichtigste Familienfeiertag im ganzen Jahr und bringt einen Gutteil des Landes auf die Straßen und Flughäfen. Der Tag vor Thanksgiving gilt als der Hauptreisetag des Jahres. Dann brechen die Menschen auf zu ihren Familien, die sie teilweise seit einem Jahr nicht mehr gesehen haben.

Am Feiertag selbst dreht sich fast alles ums Essen. Zunächst muss ein gigantischer Truthahn in den Ofen und dann möglichst rechtzeitig auf den Tisch, dazu ein halber Regenbogen an Beilagen: Rote Cranberry-Sauce, oranger Kürbiskuchen, gelber Kartoffelbrei und Grüne-Bohnen-Auflauf sind nur einige der typischen Gerichte. So manche Amerikaner*innen glauben, das alles beruhe auf einem fröhlichen Festmahl im Jahr nach der Ankunft der Mayflower: Zusammen mit den hilfreichen indigenen Völkern, die in Deutschland meist Indianer*innen genannt werden, hätten die englischen Siedler*innen ihre allererste amerikanische Ernte bei Braten und Kuchen gefeiert. Das klingt wunderbar, ist aber nicht wahr.

Die Geschichte des ersten Thanksgiving

Das Missverständnis beginnt schon mit den vermeintlich traditionellen Speisen: 1621 gab es in der Kolonie von Plymouth weder Kartoffeln noch Butter noch Mehl. Die Mayflower war auch nicht das erste europäische Schiff, das im heutigen Massachusetts anlegte. Einige der dort lebenden Wampanoag sprachen aufgrund früherer Kontakte zu Briten bereits Englisch. Sie schlossen mit den 100 Mayflower-Ankömmlingen einen Verteidigungspakt und zeigten ihnen, wie die einheimischen Pflanzen angebaut werden – aber zu deren erstem Erntefest waren sie nicht eingeladen. Dutzende Wampanoag-Männer marschierten kampfbereit zu der kleinen Kolonie, als sie von dort Schüsse hörten. Statt eines Kriegs war dort ein Festmahl mit Freudengeböller im Gange. Die Wampanoag blieben und steuerten mehrere Rehe zur Festtafel bei, die Stimmung war allerdings angespannt. Friedliches Beisammensein hatten die Siedler*innen auch beim ersten offiziellen Day of Thanksgiving nicht im Sinn. Im Jahr 1637 feierten sie damit ein Massaker: Englische Soldaten hatten mehr als 700 Menschen vom Volk der Pequot umgebracht – einschließlich der Frauen und Kinder.


Mit dem National Day of Mourning erinnern die indigenen Völker der USA an ihre Ahnen, die von den Ankömmlingen aus Europa vor 400 Jahren umgebracht wurden. In Plymouth veranstalten die Wampanoag dazu am vierten Donnerstag im November einen Trauer- und Protestmarsch. Abgesehen von diesem Tag feiert der Ort pauschal die Ankunft der Siedler*innen auf der Mayflower. Seit einigen Jahren aber beginnen manche Schulen, von der zuckersüßen Darstellung des »First Thanksgiving« abzurücken.

Wie Thanksgiving zum Feiertag wurde

Wie konnte dieser ganze Irrglaube überhaupt entstehen? Wie auch bei anderen vermeintlichen »Traditionen« in den USA, haben einzelne Menschen die Mär von Thanksgiving vorangetrieben; doch die erste Geige spielt dabei der Zeitgeist. Die Mitte des 19. Jahrhunderts war eine verwirrende Zeit. Die aufkeimende Industrialisierung und Verstädterung stellten das Leben vieler Amerikaner*innen auf den Kopf, Wissenschaft hinterfragte die religiöse Ordnung, neue Geldquellen wie Eisenbahnbau und Ölförderung überholten Pelzhandel und Landwirtschaft. Neue, schnellere Verkehrs- und Kommunikationswege verbanden zuvor isolierte Regionen und brachten zutage, was im Rest des Landes vor sich ging. Die Sklaverei wurde zur zentralen Frage. Es kamen Zweifel auf, ob sich die Vereinigten Staaten wirklich vereinigen lassen.

Diese vielfältigen Veränderungen entfachten eine tiefe Sehnsucht nach der guten alten Zeit. Und genau an dieser Kreuzung von Fortschritt und Nostalgie entstand das Thanksgiving, das die USA bis heute feiern. Das Ideal einer am Herd versammelten Familie war genau das passende Vorbild für ein Land, das Spaltung überwinden wollte. Und wer hätte dieses Bild besser zeichnen können als die Frau, die mit einer Illustrierten häusliche Trends setzte?

Die Mutter von Thanksgiving

Sarah Josepha Hale leitete über Jahrzehnte das meistgelesene Magazin der USA, sie überzeugte US-Bräute von einer Hochzeit in Weiß und die US-Regierung von einem Feiertag namens Thanksgiving. Die Vorzüge eines solchen Festtags beschwor Hale ab 1837 in Leitartikeln, Gedichten und herbstlichen Rezepten: Truthahnbraten mit stuffing sollte den Amerikaner*innen Thanksgiving buchstäblich schmackhaft machen. Zu diesem Hauptakt empfahl Hale unbedingt mehrere Gemüsebeilagen und Sauce, zum Nachtisch Pumpkin Pie und weitere Leckereien. Als i-Tüpfelchen gab sie in ihren Kochbüchern Tipps, die auch heute noch hilfreich sind, zum Beispiel: Bratenschneiden braucht Übung. Ein Massaker auf dem Teller sähe nicht nur peinlich aus, es könnten auch die besten Teile im Müll landen, warnte Hale mit Blick auf den Thanksgiving-Truthahn.

Obendrein ging Sarah Hale jahrzehntelang den mächtigen Männern ihrer Zeit auf die Nerven: Gouverneuren, Kongressabgeordneten und Präsidenten. Auf einen ihrer Briefe reagierte US-Präsident Abraham Lincoln. Am 3. Oktober 1863 erklärte er den letzten Donnerstag im November zu einem »Day of Thanksgiving and Praise«. Seine Begründung: Mitten in einem Bürgerkrieg beispiellosen Ausmaßes solle sich das amerikanische Volk Zeit für Dankbarkeit nehmen.

Dankbarkeit und Dampf ablassen

Bis heute gehören Spannungen zu Thanksgiving. Am Esstisch treffen oft verschiedene Persönlichkeiten und Ansichten aufeinander, und mit den Filterblasen der sozialen Netzwerke erscheint es manchen, die Fronten seien verhärtet wie nie. Die politische Spaltung der Gesellschaft zieht sich auch durch Familien. Entsprechend befassen sich Lifestyle-Magazine mit den Fragen, wie am Esstisch mit den rassistischen Sprüchen des Onkels oder der Stichelei der Schwägerin umzugehen ist.

Dampf ablassen können Streithähne beim Football. Seit ihrer Gründung hat die National Football League (NFL) an Thanksgiving Spiele angesetzt, und so läuft an diesem Tag in vielen Häusern der Fernseher. Heimspiele der Detroit Lions beginnen mittags, nachmittags folgen die Dallas Cowboys. Seit 2006 ist ein drittes Spiel am Abend hinzugekommen, bei dem jedes erdenkliche Team der Liga antreten kann. Dabei können die Familienmitglieder nicht nur über Spielzüge diskutieren, auch modisch gibt der Football an Thanksgiving Gesprächsstoff her:

Die Spieler treten meist in nostalgischen Trikots an. Auch eine andere Thanksgiving-Tradition bringt die Familien trotz aller Unterschiede zusammen: das Dankesagen. Oft gehört es zum Festessen dazu, reihum zu bekunden, wofür man in diesem Jahr dankbar ist. Irgendjemand erwähnt dabei dann meist auch das leckere Essen.


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