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B. Europarecht

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Das Europäische Unionsrecht beeinflusst das deutsche Arbeitsrecht stark. Die maßgebliche Kompetenznorm zur Regelung bestimmter Aspekte des Arbeitsrechts findet sich in Art. 153 AEUV, wobei selbstverständlich auch hier das Subsidiaritätsprinzip und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten sind (Art. 5 I 2 EUV). Hinsichtlich der Bedeutung des Europarechts für das Arbeitsrecht ist zwischen seinen unterschiedlichen Rechtsquellen zu differenzieren:

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(1) Das im AEUV niedergelegte Primärrecht berechtigt bzw. verpflichtet grundsätzlich nur die Mitgliedstaaten und ist deshalb grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbar zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Dagegen gilt der in Art. 157 AEUV niedergelegte Grundsatz der Entgeltgleichheit von Frauen und Männer sowie die in Art. 45 AEUV geregelte Arbeitnehmerfreizügigkeit unmittelbar zwischen den Arbeitsvertragsparteien.[1]

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(2) Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCH), die nach Art. 6 I EUV im Rang von Primärrecht stehen, enthält zahlreiche im Arbeitsrecht relevante Grundrechte (vgl. v.a. Art. 12, 14, 15, 21, 23, 26-33).[2] In der Rechtsprechung des EuGH ist die Tendenz erkennbar, diese auch unmittelbar zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer anzuwenden;[3] das überzeugt mit Blick auf Art. 51 I GRCH nicht.[4] Bei einer Kollision von Grundrechten der GRCH und den Grundfreiheiten des AEUV ist nach dem Prinzip praktischer Konkordanz ein möglichst beiden gerecht werdender Ausgleich zu suchen.[5]

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(3) Unionsrechtliche Verordnungen (Art. 288 II AEUV) sind Teil des Sekundärrechts. Sie schaffen unmittelbar auch zwischen Privaten geltendes Recht. Sie spielen im Arbeitsrecht aber nur eine Nebenrolle, zu nennen ist z.B. die sog. „WanderarbeiterVO“ (EWG Nr. 1408/71).

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(4) Von großer Bedeutung sind im Bereich des Arbeitsrechts die ebenfalls sekundärrechtlichen Richtlinien. Sie sind der Motor, mittels dessen eine zunehmende „Europäisierung des Arbeitsrechts“ vorangetrieben wird. So sind nicht nur zahlreiche neue(re) Gesetze der Notwendigkeit einer Umsetzung von Richtlinien geschuldet, sondern es mussten auch einige traditionell als sakrosankt betrachtete Grundsätze des deutschen Arbeitsrechts infolge meist richtliniengestützter Argumentation des EuGH über Bord geworfen werden.

Beispiele:

(a) Das AGG wurde 2006 zur Umsetzung der Anti-Diskriminierungsrichtlinien (RL 2000/43/EG, RL 2000/78/EG, RL 2002/73/EG und RL 2004/113/EG) erlassen. (b) § 613a BGB beruhte zwar zunächst nicht auf einer europäischen Richtlinie, wurde aber durch später erlassene Richtlinien maßgeblich beeinflusst.[6] (c) Infolge der „Schultz-Hoff-Entscheidung“[7] musste das Urlaubsrecht erheblich modifiziert werden (näher Rn. 649 ff.).

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Wie auch sonst, so binden auch arbeitsrechtliche Richtlinien zunächst nur die Mitgliedstaaten, die sie innerhalb der Umsetzungsfrist in nationales Recht umzusetzen haben (zweistufiger Rechtssetzungsprozess, Art. 288 III AEUV). Der einzelne Bürger kann sich gegenüber dem Mitgliedstaat – z.B. in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber bei einem Angestellten des öffentlichen Dienstes – nur dann auf eine noch nicht umgesetzte Richtlinie berufen, wenn die Umsetzungsfrist abgelaufen ist und die Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist (vertikale Wirkung).[8] Zwischen Privatrechtssubjekten (also zwischen privatem Arbeitgeber und Arbeitnehmer) sind Richtlinien hingegen nach traditionellem Verständnis nicht horizontal anwendbar;[9] erwächst einem der beiden Beteiligten daraus ein Schaden, dass eine Richtlinie noch nicht (ordnungsgemäß) umgesetzt wurde, hat er ggf. einen Schadensersatzanspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland.[10]

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Auch zwischen privaten (Arbeits-)Vertragsparteien wirken Richtlinien sich aber mittelbar über das Gebot unionsrechtskonformer Auslegung aus, das es gebietet, im Zweifel derjenigen Auslegung den Vorzug zu geben, die das von der Richtlinie angestrebte Ziel am ehesten verwirklicht.[11] Hat ein nationales Gericht Zweifel, wie eine Richtlinie auszulegen ist, so kann bzw. muss es den EuGH per Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV) anrufen. Die Grenze (auch) einer solchen Auslegung ist richtigerweise dort erreicht, wo sie zu einer Auslegung contra legem würde, weil sie dem eindeutigen Wortlaut der nationalen Norm wie dem Willen des sie erlassenden nationalen Gesetzgebers widerspräche.[12] Wo diese Grenze erreicht ist, ist die nationale Norm trotz der Richtlinienwidrigkeit des Ergebnisses richtigerweise anzuwenden, es bleibt nur der Rekurs auf einen Schadensersatzanspruch des dadurch Benachteiligten gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen nicht ordnungsgemäßer Richtlinienumsetzung (Rn. 85); die neuere Rechtsprechung vermeidet diese „kostspieligen“ Konsequenzen zum Teil mit fragwürdigen Hilfskonstruktionen wie z.B. einer unionsrechtskonformen Rechtsfortbildung (z.B. bei § 7 III, IV BUrlG, vgl. Rn. 650).[13]

§ 3 Rechtsquellen des Arbeitsrechts › C. Grundgesetz

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