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C. Grundgesetz

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Dem Grundgesetz und den in ihm niedergelegten Grundrechten kommt im Arbeitsrecht eine im Vergleich zu vielen Bereichen des allgemeinen Zivilrechts (z.B. Kaufrecht) deutlich wichtigere Bedeutung zu. Das liegt zum einen daran, dass das Arbeitsverhältnis meist die wichtigste Einkunftsquelle zur Bestreitung des Lebensunterhalts ist und deshalb ein besonders bedeutsames Rechtsverhältnis ist. Zum anderen ist das darauf zurückzuführen, dass im Arbeitsrecht an zahlreichen Stellen unbestimmte Begriffe verwendet werden, die der Ausfüllung (unter anderem) durch grundrechtliche Wertungen bedürfen (z.B. „billiges Ermessen“ in §§ 315 BGB, 106 GewO, „wichtiger Grund“ in § 626 BGB, „sozial ungerechtfertigt“ in § 1 KSchG).

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Die Grundrechte gelten zwar grundsätzlich nicht unmittelbar zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Ausnahme: Koalitionsfreiheit, vgl. Art. 9 III 2 GG: „Abreden […] nichtig […] Maßnahmen […] rechtswidrig“).[14] Weil die Grundrechte aber über ihre ursprüngliche Funktion als Abwehrrechte gegen den Staat hinausgehend heute anerkanntermaßen eine objektive Werteordnung errichten, die auf alle Rechtsgebiete ausstrahlt, erfolgt eine mittelbare Drittwirkung über privatrechtliche Normen mit ausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffen, insb. den zivilrechtlichen Generalklauseln („Einfallstore für Grundrechte“, Beispiele s. Rn. 87).[15]

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Im Arbeitsleben werden v.a. folgende Grundrechte praktisch relevant:

Zuvörderst ist natürlich Art. 12 GG zu nennen, der sowohl die Berufsfreiheit des Arbeitnehmers als auch (im Verein mit Art. 14, 2 GG) die Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers schützt. Beispiele: Die Berufsfreiheit des Arbeitnehmers erfordert z.B. (1) einen zumindest rudimentären Schutz gegen sittenwidrige oder treuwidrige Kündigungen, auch wenn das KSchG nicht eingreift („Bestandsschutzinteresse“, näher Rn. 1034) sowie (2) eine Beschränkung von Klauseln über die Rückzahlung von Ausbildungs- und Fortbildungskosten („Mobilitätsinteresse“, s. Rn. 455).[16] Umgekehrt ist es Ausfluss der Unternehmerfreiheit, dass die Entscheidung des Arbeitgebers, den Betrieb zu schließen, frei ist und z.B. weder über § 1 II KSchG noch §§ 111 ff. BetrVG (nicht klausurrelevant) rechtlich eingeschränkt wird.
Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (des Arbeitnehmers) ist im Arbeitsrecht sehr bedeutsam. Beispiele: (1) Aufgrund seines Persönlichkeitsrechts hat der Arbeitnehmer einen Anspruch, vertragsgerecht beschäftigt zu werden (s. Rn. 663 ff.). (2) Das Persönlichkeitsrecht von Bewerbern begrenzt das Fragerecht des Arbeitgebers (Rn. 118 ff.).
Auch die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) kann im Arbeitsleben relevant werden. Beispiel: Der Arbeitnehmer postet auf Facebook einen kritischen, aber sachlichen Kommentar über den Arbeitgeber und wird daraufhin gekündigt.
Bedeutsam ist des Weiteren die in Art. 4 I, II GG geschützte Glaubens- und Gewissensfreiheit. Beispiele: (1) Ein muslimischer Arbeitnehmer weigert sich aus religiösen Gründen, der Weisung seines Chefs nachzukommen, künftig nicht mehr an der Milchbar auszuschenken, sondern an der Schnapstheke.[17] (2) Ein Drucker lehnt es ab, an der Herstellung kriegsverherrlichender Literatur mitzuwirken.[18]
Die besonderen Diskriminierungsverbote des Art. 3 II, III GG können ebenfalls, vermittelt über die zivilrechtlichen Generalklauseln, eine Rolle spielen. Dabei ist aber zu beachten, dass wegen vieler der dort genannten Merkmale eine Diskriminierung auch aufgrund des AGG verboten ist. Das hat zur Folge, dass in der Klausur eine Ungleichbehandlung z.B. wegen einer Behinderung vorrangig an den speziellen Regelungen des AGG – und nicht z.B. §§ 138, 242 BGB – zu messen ist. Beispiel: Stellt ein Unternehmer einen Bewerber nicht ein, weil er ihn als zu alt empfindet, so ist das anhand des AGG zu prüfen.
Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) wird im Arbeitsrecht nur in Bezug auf staatliche Maßnahmen relevant. Zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer spielt er dagegen keine Rolle, vielmehr greift hier der sog. arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, der als privatrechtliches Instrument dem Arbeitgeber eine willkürliche Differenzierung zwischen vergleichbaren Arbeitnehmern untersagt (näher Rn. 335 ff.).
Von überragender Bedeutung für das – nicht pflichtfachrelevante – kollektive Arbeitsrecht ist die in Art. 9 III GG geschützte Koalitionsfreiheit. Beispiel: Der Arbeitgeber verbietet seinem Arbeitnehmer, in eine Gewerkschaft einzutreten. Nach Art. 9 III 2 GG ist die Maßnahme rechtswidrig und muss nicht beachtet werden.

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Neben den Grundrechten strahlt insb. auch das Sozialstaatsprinzip (Art. 20, 28 GG) auf das Arbeitsleben aus. Sein Adressat ist aber vorrangig der Gesetzgeber, der insb. beim Erlass (arbeitsrechtlicher) Normen sozialstaatliche Erwägungen einfließen lassen muss. Der Richter hingegen hat insoweit Zurückhaltung zu üben, insb. darf er nicht leichtfertig unter Berufung auf das Sozialstaatsprinzip (arbeitsrechtliche) Vorschriften „verbiegen“, würde er sich dann doch – entgegen des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 I, III GG) – zum Ersatzsozialgesetzgeber aufschwingen.[19]

§ 3 Rechtsquellen des Arbeitsrechts › D. Einfache Bundesgesetze, Arbeitsvölkerrecht, Gewohnheitsrecht, Rechtsverordnungen, Landesrecht

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