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c) Veranlassung/Zurechenbarkeit?
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Umstritten ist, ob der Tatbestand des § 15 III HGB unter die einschränkende Voraussetzung der Veranlassung oder Zurechenbarkeit der unrichtigen Bekanntmachung zu stellen ist.
Relevant wird das beispielsweise in der folgenden Konstellation: Ohne dass Kaufmann K irgendetwas unternommen hat, wird aufgrund einer Namensverwechslung bekanntgemacht, dass er (und nicht wie in Wahrheit der W) dem P Prokura erteilt hat.
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Gegen die Notwendigkeit einer Veranlassung spricht, dass der Wortlaut eine solche nicht verlangt und auch bei anderen Registerrechtsscheintatbeständen – wie z. B. § 892 BGB – das Veranlassungsprinzip keine Rolle spielt. Zu bedenken ist andererseits aber, dass bei § 892 BGB nur das betroffene Grundstück (oder bei §§ 2365 f. BGB die Erbschaft) verloren gehen kann, wohingegen infolge einer unrichtigen Registereintragung über § 15 III HGB im Prinzip unbegrenzte Haftungsfolgen ausgelöst werden können.
So könnte P im obigen Beispiel (Rn. 167) ggf. im Namen des K bei der Bank B einen exorbitanten Kredit aufnehmen und das Geld für sich selbst verbrauchen. Dem Rückzahlungsanspruch der B könnte K wegen § 15 III HGB nicht entgegenhalten, dass er dem P gar keine Prokura erteilt hatte.
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Meinungsstand: Die h.M. hält dies für zu weitgehend und will § 15 III HGB daher – vergleichbar den ungeschriebenen Rechtsscheingrundsätzen (Rn. 160, 182) – nur anwenden, wenn entweder die unrichtige Bekanntmachung aktiv vom Anmeldepflichtigen veranlasst wurde oder er zumindest schuldhaft nicht gegen eine von ihm nicht veranlasste Bekanntmachung eingeschritten ist.[81] Die Gegenauffassung lehnt eine derartige Einschränkung unter Berufung auf Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Norm ab.[82]
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Stellungnahme: Wertungsmäßig spricht sicherlich manches für die h.M., droht doch ohne Heranziehung eines Veranlassungs-/Zurechenbarkeitskriteriums einem gänzlich Unschuldigen eine unbeschränkte, potenziell ruinöse Haftung. Gerade im Vergleich zu verschuldensunabhängigen Haftungstatbeständen wie z. B. § 7 StVG oder § 1 UmweltHG erscheint das bedenklich, finden sich bei diesen doch regelmäßig sog. gesetzliche Haftungshöchstsummen, die im Interesse der Versicherbarkeit des Haftungsrisikos die Haftung auf einen bestimmten Maximalbetrag beschränken.[83] Allerdings: Die von der h.M. befürwortete „Korrektur“ des § 15 III HGB entgegen seinem Wortlaut ist auf dem Boden des geltenden Rechts nur möglich, wenn dies auf einem methodisch zulässigen Weg erreicht werden kann. Auf rein einfachgesetzlicher Ebene ist das schon einmal nicht möglich. Die „Korrektur“ der h.M. stellt sich in methodischer Hinsicht als teleologische Reduktion des § 15 III HGB dar. Voraussetzung einer teleologischen Reduktion ist aber, dass der Wortlaut „überschießend“ ist, mit anderen Worten: dass der Wortlaut mehr Konstellationen erfasst, als der Gesetzgeber bei der Normschaffung im Sinne hatte.[84] Ein Blick in die Entwurfsbegründung enthüllt aber, dass der Gesetzgeber sich bewusst gegen eine tatbestandliche Beschränkung über das Veranlassungsprinzip entschieden hat.[85] Eine teleologische Reduktion muss daher aufgrund dogmatisch-methodischer Überlegungen ausscheiden. Überlegenswert ist daher nur noch, ob sich das Ergebnis der h.M. mit einer verfassungskonformen Auslegung rechtfertigen lässt. Deren Wesen ist, dass ein anderenfalls anzunehmender Verfassungsverstoß einer Norm dadurch vermieden wird, dass von mehreren möglichen Auslegungen diejenige gewählt wird, die den Vorgaben des Grundgesetzes entspricht (hier also Beschränkung des § 15 III HGB über das Veranlassungs-/Zurechenbarkeitskriterium).[86] Methodisch ist eine verfassungskonforme Auslegung möglich, es sei denn, sie würde „mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen der Gesetzgebung in Widerspruch treten“[87]. Danach erschiene vorliegend eine verfassungskonforme Auslegung nicht per se ausgeschlossen, lässt der Wortlaut mit seinem Passus „in dessen Angelegenheiten die Tatsache einzutragen war“ doch einigen Interpretationsspielraum in Richtung der von der h.M. befürworteten Auslegung. Die Frage ist aber, ob sich aus dem Grundgesetz das Gebot nach Schutz vor einer nicht veranlassten, potenziell uferlosen Haftung über § 15 III HGB ableiten lässt. Canaris beruft sich insoweit – wie schon in anderem Kontext[88] – vor allem auf den mit einer weitreichenden Haftung verbundenen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Schuldners (Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG).[89] Daran ist richtig, dass die Statuierung einfachgesetzlicher ruinöser Schadensersatzverpflichtungen in der Tat gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Schuldners verstoßen kann.[90] Davon wird man hier aber aufgrund mehrerer Überlegungen nicht ausgehen können:
Erstens ist der Kaufmann nicht per se schutzlos, sondern kann durch regelmäßige Kontrollen der Handelsregistereintragung das Risiko einer Falschbekanntmachung wenigstens (deutlich) reduzieren.[91]
Zweitens hat er ggf. zivilrechtliche Ausgleichsansprüche gegen denjenigen, der sich missbräuchlich die unrichtige Bekanntmachung zunutze macht.
Im obigen Beispiel (Rn. 167) ist zumindest an einen Anspruch des K aus § 826 BGB gegen den P zu denken, tritt dieser doch aus eigensüchtigen Gründen als Prokurist auf, obwohl ihm bewusst sein musste, dass ihm in Wahrheit gar keine Prokura erteilt wurde.
Drittens kann der geschädigte Kaufmann ggf. über Amtshaftungsansprüche (§ 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG) gegen das Land, dessen Registergericht die unrichtige Bekanntmachung vornahm, geschützt werden. Unabhängig von diesen Argumenten spricht schließlich viertens gegen einen verfassungsrechtlich begründeten, auf der Ebene des materiellen Rechts (§ 15 III HGB) angesiedelten Schutz vor einer uferlosen Haftung, dass der Gesetzgeber diese Problematik seit 1999 auf prozessualer Ebene verortet hat. Das von ihm mit Einführung der InsO geschaffene Instrument der Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) dient nämlich genau zum Schutz vor solchen uferlosen Haftungsrisiken. Neben ihm ist richtigerweise kein Platz für materiell-rechtliche Haftungsbeschränkungen, die ausschließlich das Ziel verfolgen, vor exorbitanten Haftungsgefahren zu schützen.[92]
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Zusammenfassend ist § 15 III HGB nach hier vertretener Auffassung de lege lata nicht über ein Veranlassungs- oder Zurechenbarkeitsprinzip zu beschränken. Rechtspolitisch ist das allerdings mehr als zweifelhaft und sollte – durch den Gesetzgeber! – geändert werden. Wer der h.M. folgt, muss dagegen prüfen, ob der Anmeldepflichtige die Bekanntmachung veranlasst hat oder zumindest schuldhaft gegen die von ihm nicht veranlasste Bekanntmachung nicht vorgegangen ist. Die Bedeutung dieses Meinungsstreits wird dadurch praktisch deutlich verringert, dass es der h.M. für die von ihr geforderte Veranlassung genügt, dass der Kaufmann irgendeinen (also auch einen richtigen[!]) Eintragungsantrag gestellt hat und sodann das Registergericht einen Fehler macht. Relevanz hat er also nur in den praktisch äußerst seltenen Fällen, dass der Kaufmann überhaupt nichts unternommen hatte.
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In Fall 10 scheitert die Anwendung von § 15 III HGB nach hier vertretener Auffassung daher keinesfalls daran, dass der R die Eintragung und Bekanntmachung seiner angeblichen Kaufmannseigenschaft nicht veranlasst hat bzw. sie ihm auch ansonsten nicht zurechenbar ist. Auch wer der h.M. folgt, wird die Anwendbarkeit von § 15 III HGB wohl bejahen können. Zwar hat R die unrichtige Eintragung und Bekanntmachung der angeblichen Kaufmannseigenschaft nicht veranlasst, jedoch wird man angesichts der Andeutungen auf der Examensfeier sowie der Tatsache, dass der Zustand schon seit Jahren anhält, von einem schuldhaften Nichtvorgehen des R ausgehen können. (Fortsetzung Rn. 174)