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b) Renten, Beihilfen, Abfindungen

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aa) Renten, Beihilfen und Abfindungen sind Entschädigungsleistungen. Sie sollen die durch den Versicherungsfall eingetretene Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit ausgleichen. Das Gesetz unterscheidet zwischen Renten an Versicherte (§§ 56–62 SGB VII) und Renten, Sterbegeld, Erstattung der Überführungskosten und Beihilfen an Hinterbliebene (§§ 63–71 SGB VII); Beihilfen sind dabei dadurch gekennzeichnet, dass ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente nicht besteht, weil der Tod der Versicherten nicht Folge eines Versicherungsfalls war (§ 71 SGB VII). Die Angehörigen werden vielmehr dafür entschädigt, dass sie zu Lebzeiten des Verunglückten in besonderer Weise von den Auswirkungen des Arbeitsunfalls mitbetroffen waren und der Verletzte oft nur eingeschränkt Vorsorge für die Angehörigen im Fall seines Todes treffen kann. Abfindungen sind Gesamtvergütungen, die an die Stelle des voraussichtlichen Rentenaufwandes treten (§§ 75–80 SGB VII).

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bb) Im Zentrum der genannten Entschädigungsleistungen steht die Verletztenrente. Sie soll durch den Versicherungsfall entstandene Minderungen der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgleichen, darüber hinaus hat sie eine Schmerzensgeldfunktion[70].

Die Verletztenrente wird gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII gezahlt, wenn infolge eines Versicherungsfalls die Erwerbsfähigkeit des Versicherten über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20% gemindert ist. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 S. 2 SGB VII). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit wird auf der Basis medizinischer Gutachten beurteilt, sie ist aber eine Rechtsfrage[71].

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(1) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Dabei werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können. Die gesetzliche Unfallversicherung folgt dem Prinzip der abstrakten Schadensberechnung[72]. Die abstrakte Schadensberechnung ist dadurch gekennzeichnet, dass es nicht darauf ankommt, ob der Arbeitsunfall tatsächlich zu einer Einkommenseinbuße geführt hat. Die Verletztenrente wird auch gewährt, wenn tatsächlich keine Einkommenseinbuße zu verzeichnen ist oder der Verletzte sogar ein höheres Einkommen erzielt. Das führt einerseits zu einer Gleichbehandlung vor dem Hintergrund des Entschädigungsgedankens, „entzieht“ aber andererseits Finanzmittel für die Entschädigung konkreter Einbußen, die über die Verletztenrente hinausgehen: Der komplizierte Knöchelbruch kann den Dachdecker (mit entsprechender konkreter Einbuße) arbeitslos machen, den Verwaltungsangestellten hindert er „nur“ beim Wandern oder Fußballspielen.

Im Einzelnen wird zunächst die individuelle Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor dem Unfall ermittelt; sie wird rechnerisch mit 100% in Ansatz gebracht (auch dann, wenn der Verletzte bereits vorgeschädigt und deshalb nicht mehr voll erwerbsfähig war). Der individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten wird sodann das nach dem Unfall verbliebene Ausmaß der Erwerbsfähigkeit gegenübergestellt. Die Differenz zwischen der individuellen Erwerbsfähigkeit vor dem Unfall und der verbliebenen Erwerbsfähigkeit ergibt die Minderung der Erwerbsfähigkeit. Diese abstrakte Schadensberechnung steht im Unterschied zu der grundsätzlich konkreten Schadensberechnung im Privatrecht. Dort ist gemäß § 249 Abs. 1 BGB der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Zu ersetzen sind dort die konkrete Vermögenseinbuße und der konkret entgangene Gewinn, nur ausnahmsweise kann der Schaden im Privatrecht abstrakt berechnet werden. Die abstrakte Schadensberechnung, bei der sich der Schaden nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ergibt, erlaubt das Bürgerliche Recht dem Gläubiger zB gemäß § 288 Abs. 1, 2 BGB.

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(2) In der Höhe beträgt die Verletztenrente gemäß § 56 Abs. 3 SGB VII zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes (Vollrente). Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird eine Teilrente geleistet, die dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht. Die Berechnung der Jahresrente wird nach folgender Formel vorgenommen:

Jahresrente = 2/3 Jahresarbeitsverdienst × Minderung der Erwerbsfähigkeit in %.

Die Höhe der Verletztenrente hängt also vom Jahresarbeitsverdienst ab. Dieser ist eine Berechnungsgrundlage für die Geldleistungen der Unfallversicherung. Der Jahresarbeitsverdienst ist gemäß § 82 Abs. 1 S. 1 SGB VII der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte (§ 14 SGB IV) und Arbeitseinkommen (§ 15 SGB IV) des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Für kraft Satzung Versicherte (selbstständig Tätige, Unternehmer und Ehegatten) und für freiwillig Versicherte wird die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes durch Satzung der Unfallversicherungsträger bestimmt (§ 83 S. 1 SGB VII). Der Jahresarbeitsverdienst beträgt mindestens 40% für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 15., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, und 60% für Versicherte, die im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 18. Lebensjahr vollendet haben (Mindestjahresarbeitsverdienst, § 85 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Der Prozentsatz bemisst sich nach der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße. Der Jahresarbeitsverdienst beträgt höchstens das Zweifache der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße, die Satzung kann eine höhere Obergrenze bestimmen (Höchstjahresarbeitsverdienst, § 85 Abs. 2 SGB VII). Die Bezugsgröße ist das durchschnittliche Arbeitsentgelt aller Versicherten der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten im vorvergangenen Kalenderjahr (§ 18 Abs. 1 SGB IV). Die Bezugsgröße wird alljährlich vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales bekannt gegeben, sie liegt 2020 bei 38 220 Euro im Westen, 36 120 Euro im Osten[73].

3. Teil Sozialversicherung und Arbeitsförderung§ 10 Unfallversicherung › V. Haftung von Unternehmern, Unternehmensangehörigen und anderen Personen

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