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3. Zusammenwirken von Unternehmen, gemeinsame Betriebsstätte
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Gemäß § 106 Abs. 3 SGB VII gilt die Haftungsfreistellung auch beim Zusammenwirken von Unternehmen bei Unglücksfällen oder von Unternehmen des Zivilschutzes. Seit dem Inkrafttreten des SGB VII gilt die Haftungsfreistellung ferner auch dann, wenn Versicherte mehrerer Unternehmen vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichten. Zu den Voraussetzungen des praxisrelevanten § 106 Abs. 3, 3. Fall SGB VII hat sich inzwischen eine gefestigte Rechtsprechung entwickelt[94].
Der BGH stellt darauf ab, ob die betrieblichen Tätigkeiten bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Bedeutung hat dies namentlich auf Baustellen, wenn dort mehrere Unternehmen (Maurer, Elektriker, Heizungsinstallateur) tätig sind. Nach der Auslegung des BGH fordert § 106 Abs. 3, 3. Fall SGB VII ein bewusstes Miteinander im Arbeitsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Man kann dies mit der Faustformel „Arbeitsverknüpfung statt Arbeitsberührung“ zusammenfassen. Die genaue Abgrenzung in den vielfältigen denkbaren Fallkonstellationen ist nicht einfach. Auf der einen Seite genügt es nicht, wenn zwei Versicherte sich bei der Ausübung ihrer jeweiligen betrieblichen Tätigkeit zufällig begegnen (Beispiel: Verkehrsunfall zweier Verkaufsfahrer an einer Straßenkreuzung) oder wenn der Versicherte des einen Unternehmens auf dem Betriebsgelände des anderen Unternehmens auf den geplanten Einsatz wartet (Beispiel: Geschädigter wartet auf dem Betriebsgelände, um das Abladen einer Maschine im Interesse seines Arbeitgebers zu überwachen; bevor der Abladevorgang beginnt, wird er von einem Gabelstapler angefahren). Auf der anderen Seite würde es aber zu weit gehen, wenn man darauf abstellen wollte, ob die Unternehmen einen „gemeinsamen Zweck verfolgen“ und deshalb an demselben Ort tätig sind[95]; auch wenn Unternehmen an demselben Ort durch die Arbeitsverknüpfung (Ergänzung, Unterstützung, Ineinandergreifen) tätig sind, verfolgen sie kaum jemals einen gemeinsamen, sondern fast immer ihre jeweils eigenen Zwecke (die Elektrofirma den Einbau einer Elektroanlage, der Heizungsinstallateur die Errichtung der Heizungsanlage; die Errichtung des Gebäudes bezwecken beide nicht gemeinsam). Entscheidend ist, dass die Versicherten der verschiedenen Unternehmen zwar für ihre Unternehmen, aber an demselben Ort (derselben Betriebsstätte) tätig werden und dieser Ort insofern gemeinsame Betriebsstätte ist, als wegen der Tätigkeit an demselben Ort ein gleich gelagertes Risiko der Versicherten besteht, dass sie Versicherte eines anderen Unternehmens ebenso schädigen wie Versicherte ihres Betriebs (Versicherte desselben Betriebs im Sinn von § 105 SGB VII). Der Versicherte des fremden Unternehmens muss durch die betriebliche Tätigkeit des Schädigers (zumindest) vorübergehend demselben typischen Risiko ausgesetzt sein, dem sonst insbesondere Arbeitskollegen desselben Betriebs ausgesetzt sind, weil sie sich bei der versicherten Tätigkeit ablaufbedingt in die Quere kommen. Tragend ist für die Auslegung der Rechtsprechung der Gesichtspunkt der Gefahrengemeinschaft[96] in diesem Sinn; das bloße Zusammentreffen von Risikosphären mehrerer Unternehmen genügt nicht.
Das weitere Tatbestandsmerkmal „vorübergehend“ wird man als „zumindest vorübergehend“ interpretieren müssen, es kann vor dem Hintergrund der Zwecke der Haftungsfreistellung kaum angenommen werden, dass für eine andauernde Tätigkeit auf der gemeinsamen Betriebsstätte etwas anderes gelten soll. Die Haftungsfreistellung gilt auch für und gegen den Unternehmer, allerdings nur, soweit er persönlich auf der gemeinsamen Betriebsstätte tätig ist[97], nicht wenn er ohne selbst dort tätig geworden zu sein, in seiner Funktion als Unternehmer, namentlich gemäß § 831 BGB, in Anspruch genommen wird. Der Unternehmer muss, als Schädiger und Geschädigter, gesetzlich unfallversichert sein[98]. In seiner wirtschaftlichen Auswirkung nimmt § 106 Abs. 3, 3. Fall SGB VII der leistungsverpflichteten Berufsgenossenschaft und dem Arbeitgeber zu Gunsten der privaten Haftpflichtversicherer den Regressanspruch aus übergegangenem Recht (§ 116 SGB X, § 6 EFZG) in den Fällen leichter und mittlerer Fahrlässigkeit (sonst gilt § 110 SGB VII) und dem Geschädigten den Anspruch auf die sozialversicherungsrechtlich nicht abgedeckten Schadensspitzen und den Schmerzensgeldanspruch.
In Fall 9 gilt für die bürgerlich-rechtlichen Ansprüche von C, D und E: Baggerfahrer B ist als Arbeitnehmer des U eine im Betrieb tätige Person, B gehört also zum Personenkreis der von der Haftung gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII Freigestellten. C ist wie B Arbeitnehmer des U, also ist er gemäß § 2 Abs. 1 Nr 1 SGB VII Versicherter desselben Betriebs, das Schadensereignis ist für ihn ein Arbeitsunfall iSv § 8 Abs. 1 SGB VII. C kann also B, der nicht vorsätzlich gehandelt hat, gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII nicht auf Ersatz seines Personenschadens (Schmerzensgeld eingeschlossen) in Anspruch nehmen. Leiharbeitnehmer D ist nach verbreiteter Auffassung Beschäftigter iSv § 2 Abs. 1 Nr 1 SGB VII, jedenfalls ist er als „Wie-Beschäftigter“ gemäß § 2 Abs. 2 SGB VII[99] Versicherter des Unfallbetriebs, auch für ihn ist das Schadensereignis ein Arbeitsunfall iSv § 8 Abs. 1 SGB VII, auch ihm gegenüber ist B freigestellt. In Bezug auf E liegen die Voraussetzungen des § 105 SGB VII nicht vor, er ist für die Kanalbaufirma K tätig gewesen, genießt also über diesen Betrieb – seinen „Stammbetrieb“, nicht über den „Unfallbetrieb“ des U – Versicherungsschutz. Dennoch haftet B auch E gegenüber beschränkt, und zwar gemäß § 106 Abs. 3, 3. Fall SGB VII: Versicherte des U und der Firma K verrichteten vorübergehend Tätigkeiten auf derselben Baustelle. Diese Baustelle ist nach dem oben Dargelegten eine gemeinsame Betriebsstätte iSv § 106 Abs. 3, 3. Fall SGB VII, die Tätigkeit ist verknüpft. Es gelten also die §§ 104, 105 SGB VII für die Ersatzpflicht der für die Unternehmen U und K Tätigen untereinander, also auch für die Ersatzpflicht des B gegenüber E. Im Ergebnis können also C, D und E wegen ihrer Personenschäden den B nicht nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts in Anspruch nehmen.