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I. Soziale Vorsorge durch Versicherung

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1. In der modernen Gesellschaft erfolgt die Sicherung der Existenz durch berufliche Arbeit, diese ist typischerweise die Quelle des Lebensunterhalts. Weil das so ist, gerät die Sicherung des Lebensunterhalts in Gefahr, wenn die Arbeit und damit der Lohn als Gegenleistung für die Arbeit ausfällt.

Dieser mit der Industrialisierung aufgetretene Problemzusammenhang ist bald erkannt worden, wie die nachfolgenden Sätze eines der sog. Kathedersozialisten, Lujo Brentano, beispielhaft belegen[1]: „Da die Arbeitskraft die einzige Quelle des Arbeitereinkommens ist, die Arbeitskraft aber identisch ist mit dem Menschen selbst, insofern er seine Fähigkeiten auf den Erwerb wirtschaftlicher Güter verwendet, bedrohen nothwendig auch alle Gefahren, von denen das Leben des Menschen umgeben ist, die wirtschaftliche Basis des Arbeiters und seiner Familie. So störend eine Erkrankung für den Bemittelten ist, so bezieht er doch die Nutzungen von seinem Vermögen, ob gesund oder krank und die Krankheit ist nicht im Stande, ihn seines Lebensunterhalts zu berauben: Jede Krankheit giebt den, der auf seine Arbeit allein für den Unterhalt seines Lebens angewiesen ist, indem sie ihm die Fähigkeit zu arbeiten nimmt, dem tiefsten Elende preis. So schmerzlich die in Folge irgendeines Unglücks eintretende Invalidität, so beschwerlich das Alter mit seinen Gebrechen für den Vermögenden sein mag, die Renten, die sein Besitz abwirft, werden dadurch nicht vermindert: den Arbeiter dagegen verweisen Invalidität und Alter auf die Mildthätigkeit der Menschen für die Stillung und die Bedeckung seiner Blöße. So unangenehm endlich es ohne Zweifel auch für den Besitzenden ist, zu sterben, und so traurig sein Tod für seine Hinterbliebenen sein mag, so sorgt das Vermögen, das bei seinem Leben seinen Bedürfnissen diente, doch noch nach seinem Tode für sein letztes Bedürfniss, eine würdige Bestattung, und das Vermögen, das seine Hinterbliebenen schon bei seinen Lebzeiten ernährte, bewahrt sie auch nach seinem Tode, dass sie nicht dem Elend verfallen: wo aber sind die Mittel zum Begräbniss Desjenigen, dessen einziges Mittel zur Bedürfnissbefriedigung seine Arbeit war, die für immer nun ruht, wo die Mittel zur Aufziehung der Kinder, welche diese Arbeit ernährte?“

Zur Lösung des Problems stellt der Staat mit der gesetzlichen Sozialversicherung ein Instrumentarium bereit, das gegen Zahlung von Beiträgen einen angemessenen Risikoschutz vor den Wechselfällen des Lebens bietet[2]. Die gesetzliche Sozialversicherung dient dem Schutz der einzelnen Versicherten, sie dient, indem sie die Versicherungspflicht vorsieht, zugleich aber auch dem Schutz der Allgemeinheit (konkret der Leistungsfähigkeit der steuerfinanzierten Grundsicherung für Arbeitsuchende bzw Sozialhilfe) vor mangelnder Risikovorsorge Einzelner[3]. Die moderne Sozialversicherung geht dabei, wie schon dargelegt wurde, über eine Mindestsicherung hinaus, sie bezweckt die Sicherung des Lebensstandards.

Im Ausgangsfall 5 kommt eine Versicherung der K sowohl im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung als auch außerhalb der gesetzlichen Sozialversicherung durch private Versicherungen in Betracht. Die private Versicherung steht grundsätzlich im Belieben des Einzelnen, wobei aber wichtige Ausnahmen diese Regel „bestätigen“: Wer nicht die Kfz-Haftpflichtversicherung nachweist, bekommt für sein Fahrzeug nicht die Zulassung (§ 1 PflVG iVm §§ 3 Abs. 1, 23 FZV). Wer nicht in der gesetzlichen Pflegeversicherung pflichtversichert ist, muss eine private Pflegeversicherung abschließen (§§ 1 Abs. 2 S. 2, 23 SGB XI).

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2. Kennzeichnend für die gesetzliche Sozialversicherung ist die Zwangsversicherung. Nur sie bewahrt die Allgemeinheit vor unterlassener Risikovorsorge Einzelner und gewährleistet die gewünschte Breite der Risikogemeinschaft, durch die zugleich ein sozialer Ausgleich möglich wird. Welche Personenkreise von der Versicherungspflicht erfasst sind, wird in den einzelnen Sozialversicherungsgesetzen aufgezählt (siehe § 5 SGB V, §§ 20, 21 SGB XI, §§ 1–3 SGB VI, § 2 SGB VII, §§ 24 ff SGB III). Einzelne Versicherungszweige sind in der Vergangenheit immer weiter für einen freiwilligen Beitritt geöffnet worden, das gilt vor allem für die gesetzliche Rentenversicherung, die heute so gut wie allen offen steht (siehe §§ 4, 7 Abs. 1, 2 SGB VI). Wer genau über die Pflichtversicherten hinaus der Sozialversicherung beitreten kann, regeln die einzelnen Sozialversicherungsgesetze für den jeweiligen Versicherungszweig.

Auch das im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung speziell für die Berufsgruppe der selbstständigen Künstler und Publizisten (vgl §§ 1, 2 KSVG) geltende Künstlersozialversicherungsgesetz kennt die Pflichtversicherung. Im Ausgangsfall 5 wäre K, wenn sie als selbstständige Künstlerin iSv §§ 1, 2 KSVG anzusehen sein sollte und nicht wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 3 KSVG (geringes Einkommen) versicherungsfrei ist, über die Künstlersozialversicherung pflichtversichert[4].

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3. Die Vorschrift des § 4 SGB I fixiert in diesem Sinn allgemein das Anliegen der Sozialversicherung. Danach hat jeder im Rahmen des Sozialgesetzbuchs ein Recht auf Zugang zur Sozialversicherung. Wer in der Sozialversicherung versichert ist, hat im Rahmen der gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Unfall- und Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte einen Anspruch auf die notwendigen Maßnahmen zum Schutz, zur Erhaltung, zur Besserung und zur Wiederherstellung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit, und er hat ein Recht auf wirtschaftliche Sicherung bei Krankheit, Mutterschaft, Minderung der Erwerbsfähigkeit und Alter. Ein Recht auf wirtschaftliche Sicherung haben auch die Hinterbliebenen eines Versicherten.

3. Teil Sozialversicherung und Arbeitsförderung§ 7 Grundlagen › II. Die Säulen der Sozialversicherung

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