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Das Gutachten Benedetto Ojettis zum Kirche-Staat-Verhältnis in Bayern

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Ausgangspunkt war für Ojetti die aktuelle Frage der Pfarrbesetzung und die damit verbundene Problematik, ob das staatliche Präsentationsrecht wie bisher akzeptiert werden sollte oder nicht. Für außerordentlich klug hielt er den Vorbehalt Gasparris, die Frage zu prüfen, sobald Bayern eine neue stabile Regierung besitzen würde, die mit dem Heilige Stuhl verhandeln wolle. Ebenso angemessen schien dem Jesuiten die Interimslösung, dass die Bischöfe ohne Schaden für die kanonischen Bestimmungen und ohne den Heiligen Stuhl zu kompromittieren agieren sollten, indem sie möglichst Pfarrverweser einstellten. Dagegen sei das Argument einiger Bischöfe dafür, der neuen Regierung in gewohnter Weise eine Kandidatenterna für die Pfarrerpräsentation vorzulegen, lediglich ein ökonomisches: Der Klerus sei unzufrieden, weil ein Pfarrverweser weniger verdiene als ein ordentlicher Pfarrer. Dabei dürfe jedoch die rechtliche Frage nicht vergessen werden und in dieser Hinsicht war Ojetti mit der Überlegung nicht einverstanden.

Die bisherige Praxis beizubehalten, fuße letztlich auf der Auffassung, das bayerische Konkordat von 1817 sei noch in Geltung, weil – wie Hollweck und Pacelli mit Rekurs auf Cavagnis vertraten – ein Konkordat ein Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und einem bestimmten Volk beziehungsweise einer bestimmten Nation sei. Solange diese existiere, bestehe auch der Vertrag, unabhängig davon, welche Veränderungen in der Regierungsform eintreten würden. Diese Konkordatstheorie hatte sich seit Leo XIII. weitgehend in der Kanonistik durchgesetzt, doch Ojetti teilte sie keineswegs.33 Wenn – so konstatierte er – ein Konkordat ein Vertrag sei, erhalte dieser seine innere Kraft einzig aus dem Willen der Vertragspartner: „Mit wem beabsichtigt der eine und der andere der Kontrahenten den Vertrag abzuschließen, und wem beabsichtigt der eine und der andere sich zu verpflichten?“34 Die Antwort darauf gehe aus dem jeweiligen Vertragstext hervor und dort stehe normalerweise der Papst und der König oder das Staatsoberhaupt, wie konkret in Bayern Papst Pius VII. und König Maximilian Joseph.35 Für Ojetti folgte daraus klar: Wenn die staatliche Autorität sich wandelte – nicht die Person selbst, sondern die Natur und Gestalt der Autorität –, war das Konkordat ipso facto aufgehoben. In der Kirche könne sich so etwas nicht ereignen, weil die kirchliche Verfassung unveränderliches göttliches Recht sei. Dieser Theorie könne auch nicht mit der Behauptung widersprochen werden, Konkordate zählten zu den internationalen Verträgen. Im spezifischen Sinne seien solche nämlich zwischen zwei gleichberechtigten Nationen oder societates geschlossen, was für Konkordate aber nicht gelte, da die Kirche eine dem Staat übergeordnete Größe sei.36 Wenn sich also eine Republik in eine Monarchie oder eine Monarchie in eine Republik veränderte, fiel damit seiner Ansicht nach automatisch auch das Konkordat.37 Die Konsequenz für Bayern schien evident: Durch den Umsturz der Monarchie hatte das Konkordat von 1817 seine Gültigkeit verloren, sodass Ojetti sich gezwungen sah, sowohl Hollwecks als auch Pacellis Ansicht zu widersprechen, es sei in seiner Gesamtheit noch in Kraft.

„Aber“ – so der Konsultor weiter – „ich sehe mit Wohlgefallen, dass der Herr Nuntius, auch wenn er in seinem Bericht [sc. vom 3. April 1919, R.H.] oben skizzierte Beurteilung formuliert hat, allgemein gesprochen, sie dann nicht aufrecht zu erhalten scheint, wenn es um die Details geht.“38 Damit bezog er sich auf dessen Nichtigerklärung des staatlichen Nominationsrechtes der Bischöfe und – wie Pacelli über Hollweck hinausging – des Präsentationsrechts der Pfarrer. Um diese Position zu untermauern, habe Pacelli in dem genannten Bericht „drei sehr wertvolle Argumente“39 geliefert: die strenge Auslegung von Privilegien, die dem kanonischen Recht widersprachen (wie das der staatlichen Bischofsernennung und Pfarrpräsentation); die Tatsache, dass die neue Republik dem Heiligen Stuhl nicht die gleichen Garantien leisten könne, wie der bayerische König; und schließlich der Hinweis, dass der Heilige Stuhl das Patronatsrecht nur ausgewählten Herrschern gewährt habe. Ojetti vermochte diese für ihn gewichtigen Punkte nicht mit der von Pacelli vertretenen grundsätzlichen Fortgeltung des Konkordats zu harmonisieren. Seiner Ansicht nach

„wurden sie im subtilen Verstand und in der großen Rechtschaffenheit des Nuntius zerrissen, der, vielleicht auch unbewusst, die schwere Verlegenheit erahnte, in der sich der Heilige Stuhl befände, wenn er entweder zugunsten der neuen Regierung die fortwährende Geltung des Konkordats zugeben müsste oder gezwungen wäre, es aufzugeben und damit den Hass auf die Katholiken Bayerns zu ziehen sowie den Groll einer gewiss nicht gottesfürchtigen Regierung, vielleicht auch offene Feindschaft auf die Kirche.“40

Dagegen wiege aber gerade der Hinweis auf die mangelnde Sicherheit, die eine demokratische Regierung im Gegensatz zu einem katholischen König bieten könne, zu schwer. Der Konsultor führte hier das Prinzip ins Feld, dass jedwede Konzession sich so weit erstreckte und nicht über die Grenzen hinaus, die vom ausdrücklichen oder angenommenen Willen des Privilegiengebers bestimmt wurden. Dieses Prinzip dürfe aber nicht nur auf den einzelnen Gegenstand, die einzelne Konzession angewandt werden, sondern ebenso auf die Vertragschließenden selbst:

„Wie könnte man den Heiligen Stuhl, der Verträge abschließt oder Genehmigungen erteilt, deren Gegenstand so heikel ist wie die Ernennung von Pfarrern und die Präsentation von Bischöfen, nicht für verschwenderisch halten, wenn der Vertrag oder die Genehmigung sich auch auf ein eventuelles Vertragssubjekt erstrecken müsste, das entweder nicht katholisch ist oder sogar ein Feind …?“41

Nur ein katholischer Vertragspartner liege also im Willen des Heiligen Stuhls. Daher glaubte Ojetti, dass ein mit einem katholischen König geschlossenes Konkordat oder ein ihm gewährtes Privileg per se ungültig wurde, wenn ein anti- oder auch nur nichtkatholischer Nachfolger das Erbe des katholischen Monarchen antrat. Zwar sei deshalb das bayerische Konkordat eindeutig verfallen, doch könne es zweifellos entweder durch eine ausdrückliche oder durch eine schweigende Anerkennung von Seiten des Heiligen Stuhls und der neuen Regierung erneuert werden. Damit stellte sich die abschließende Frage nach der Opportunität einer solchen Erneuerung des Konkordats.

Zur Beantwortung müsse man zuallererst die gegenwärtige Lage Bayerns berücksichtigen und diese habe der Nuntius bereits skizziert: Es existiere keine stabile Regierung, die darüber hinaus mit der Kirche feindlich gesinnten Personen gespickt sei. Außerdem beschreite man den Weg hin zu einer offiziellen Trennung von Kirche und Staat. Damit legte sich für Ojetti eine negative Antwort auf die Frage der renovatio concordati von selbst nahe:

„Daher denke ich, und mir scheint, darin auch mit dem Herrn Nuntius übereinzustimmen, dass es für den Heiligen Stuhl würdiger ist und ein praktikablerer Ausweg, die weitere Entwicklung der Tatsachen abzuwarten, sich in der Zwischenzeit weder mit theoretischen noch mit praktischen Aufklärungen zugunsten der neuen Regierung zu kompromittieren; vielmehr ist als das Leitprinzip in der Praxis festzuhalten, dass ähnliche Veränderungen der Regierung den Verfall jedes Konkordats und jeder Bewilligung nach sich ziehen, die vom Heiligen Stuhl den alten Regierungen gewährt wurden. Dieses Prinzip scheint mir auf der einen Seite die Freiheit der Kirche zu schützen und sie vor beinahe sicherem Schaden zu bewahren; und auf der anderen Seite behindert sie keinen Vorteil für die Kirche.“42

Wie sollte diese Strategie praktisch aussehen? Für die schwelende Frage der Pfarrbesetzungen – was auch als Testfall für weitere Ämterbesetzungen dienen konnte – schlug Ojetti vor, dass die bayerischen Bischöfe „versuchen“43 sollten, Pfarrer einzusetzen. Falls die Regierung nicht protestiere und weiter zahle, „umso besser“44. Im gegenteiligen Fall müsse man sich arrangieren, indem die Bischöfe ihr dann einige Kandidaten für die Pfarrpräsentation vorschlagen sollten. Freilich dürften das nicht wie bisher drei sein, sondern eine andere Anzahl von Namen, um eine dezidiert neue Praxis anzuwenden, die nicht als Zustimmung zur Fortgeltung des Konkordats interpretiert werden könne.

Bevor das beabsichtigte Gespräch Pacellis mit Hoffmann stattfand, zu dessen Vorbereitung Ojettis Gutachten von Gasparri gedacht war, und der Nuntius sich gegenüber den Ausführungen des Konsultors positionierte, nahm der bayerische Episkopat zu den brennenden kirchenpolitischen Fragen Stellung.

Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939

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