Читать книгу Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939 - Raphael Hülsbömer - Страница 14

Die Konkordatsverhandlungen bis zum Sommer 1921

Оглавление

Der Nuntius legte diesen ersten Konkordatsentwurf Ministerpräsident Hoffmann unter dem Datum des 4. Februar 1920 vor.80 Hoffmann bedung sich Zeit zur Prüfung der Vorschläge aus,81 die ihm allerdings nicht blieb, da ihn am 16. März Gustav Ritter von Kahr als Ministerpräsident ablöste. Dieser blieb auch nach den Landtagswahlen im Juni im Amt, aus denen die BVP als Siegerin hervorging.82 Pacelli begab sich am Tag nach der Kabinettsbildung vom 16. Juli zwecks der unterbrochenen Konkordatsverhandlungen unverzüglich zum neuen Kultusminister, Franz Matt, der ihm versicherte, dass staatlicherseits weiter an der Punktation gearbeitet würde.83 Ende August übermittelte Matt dem Nuntius schließlich seine Bemerkungen zu dem ersten Teil des Entwurfspapiers, freilich referierte er seine „zunächst nur persönliche und unverbindliche Auffassung“, um auf diese Weise alle Vertragspunkte insoweit zu überarbeiten, dass „wenigstens unüberwindlich scheinende Schwierigkeiten beseitigt [sind] und somit Grundlagen gegeben erscheinen, gegen die nicht von vorneherein ein Widerstand der weiter beteiligten Faktoren mit Sicherheit zu erwarten ist“84. Zur ersten Nummer der Punktation – das freie Besetzungsrecht der Kirche für alle Kirchenämter – war die Ansicht Matts zwiespältig: Zwar könne man per se daran keinen Anstoß nehmen, weil diese Nummer eine wörtlich etwas veränderte Wiedergabe des Artikels 137, Absatz 3 der WRV darstelle, die nun einmal auch für Bayern grundlegende Bedeutung habe. Dennoch betonte er die Sorge davor, dass in die höheren Kirchenämter, insbesondere auf die Bischofsstühle, Personen gelangen könnten, „von denen eine Beeinträchtigung der staatlichen Interessen zu befürchten wäre, z[um] B[eispiel] Ausländer oder politisch nicht einwandfreie Personen“85. Daher stellte sich der Kultusminister als Sicherheiten für den Staat eine eventuelle Mitwirkung der Domkapitel bei der Bischofseinsetzung oder ein etwaiges Erinnerungsrecht der Regierung gegen die vom Heiligen Stuhl in Aussicht genommenen Kandidaten vor.

Pacelli hielt auf diesem wichtigen Feld Konzessionen an den Staat für durchaus vorstellbar, wie er am 11. September in seinem Bericht an Gasparri überlegte.86 Dabei dachte er als Vergleichsfolie an den Artikel 4 des 1914 (von ihm) mit Serbien ausgehandelten Konkordats, der dem Staat ein Erinnerungsrecht gegen den Kandidaten vor der Nomination einräumte.87 Über ein politisches Bedenkenrecht war Pacelli demnach bereit zu verhandeln, eine eventuelle Mitwirkung der Domkapitel kam für ihn offensichtlich nicht infrage. Der Schwerpunkt lag freilich auf dem Terminus „verhandeln“, denn ohne eine staatliche Gegenleistung, die über das der Kirche bereits in der WRV Zugestandene hinausging, gedachte Pacelli keineswegs, die von derselben Verfassung gerade nicht gedeckte staatliche Einflussnahme auf die Bischofseinsetzungen hinzunehmen: „Es wäre tatsächlich absurd, dass der Heilige Stuhl irgendeine Begrenzung seiner Freiheit durch die Regierung in einer so wichtigen Materie akzeptierte, ohne einen angemessenen Nutzen davon zu haben.“88 Was er sich als quid für das quo vorstellen konnte, erläuterte Pacelli jedoch nicht.

Von Matts Überlegungen unterrichtete der Nuntius auch den bayerischen Episkopat, der am 8. September 1920 auf der Freisinger Bischofskonferenz über die Konkordatsverhandlungen beriet.89 Hinsichtlich der Ernennung der Bischöfe bekräftigten die Oberhirten ihren früheren Entschluss, dass der Besetzungsmodus dem Can. 329 § 2 des CIC entsprechen sollte. Doch gänzlich ohne Beteiligung wollten sie nicht bleiben und kamen daher überein, vom Papst das Privileg auditis episcopis provinciae zu erbitten, also ein Vorschlags- beziehungsweise zumindest ein Auditionsrecht der Bischöfe aus der Kirchenprovinz des vakanten Bistums.

Da die Darlegungen des Kultusministers nur die ersten fünf der 19 Artikel der Pacelli-Punktation betrafen und man auf kirchlicher Seite noch auf die restlichen Bemerkungen wartete, gab es zunächst keine offizielle Replik. Zwischenzeitlich erreichte Pacelli von der Reichsregierung die schriftliche Erklärung, dass das Reich keine Bedenken gegen die Verhandlungen über ein Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Bayern hege.90 Damit glaubte er, der bayerischen Regierung ein Hindernis für die schleunige Fortführung der Verhandlungen und den zügigen Konkordatsabschluss genommen zu haben.91 Allerdings täuschte sich der päpstliche Diplomat darin. Bis Jahresende traf kein zweiter Teil der staatlichen Stellungnahme zu Pacellis Punktation in der Nuntiatur ein.

Schließlich nahm er den Jahrestag des 4. Februar 1921, an dem er ein Jahr zuvor seinen Konkordatsentwurf an den damaligen Kultusminister Hoffmann übersandt hatte, zum Anlass, um sich brieflich an Ministerpräsident Kahr zu wenden und eine klärende Stellungnahme zu den stockenden Verhandlungen zu erbitten.92 Dieser versicherte ihm, dass Minister Matt von nun an nach Kräften die bayerische Konkordatsfrage vorantreiben werde, nachdem jetzt „in den wichtigsten einschlägigen Fragen des öffentlichen Schulwesens soweit Klarheit geschaffen ist, dass die Stellungnahme des Reichs und die demnächst zu erwartende reichsgesetzliche Regelung mit einiger Sicherheit beurteilt werden kann“93. Dadurch könne die Situation vermieden werden, dass die Reichsgesetzgebung eine angebahnte konkordatäre Regelung der Schulfrage durchkreuze. Gemäß diesem Versprechen kam für einen Augenblick wieder Bewegung in die Sache. Am 28. Mai ließ Matt dem Nuntius endlich den ersehnten zweiten Teil der staatlichen Erwiderung auf die Pacelli-Punktation zukommen, der sich mit den wichtigen und umstrittenen Schulartikeln befasste. Pacelli übersandte ihn Gasparri am 8. Juni und fügte eine ausführliche Bewertung bei.94

Trotz dieser Vorlage Matts kamen die Verhandlungen nicht recht in Gang, insbesondere weil sich die vieldiskutierte Problematik des Verhältnisses von Bayern- und Reichskonkordat hemmend auswirkte.95 Pacelli, der schon im Vorjahr, am 30. Juni 1920, als Nuntius beim Deutschen Reich akkreditiert worden war,96 sah viele Widerstände gegen ein an und für sich von ihm gewünschtes Reichskonkordat und optierte zunehmend dafür, mit dem „katholischen“ Bayern zunächst ein Musterkonkordat auszuhandeln, von dessen Basis aus dann auch gegenüber Preußen und dem Reich argumentiert werden konnte.97 Aus diesem Grund siedelte Pacelli trotz seiner neuen Rolle als Gesandter des Papstes für das gesamte Reich zunächst nicht in die Reichshauptstadt über, sondern blieb in München, um die Verhandlungen mit Bayern voranzutreiben.98

Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939

Подняться наверх