Читать книгу Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939 - Raphael Hülsbömer - Страница 6
II.2 Bayern II.2.1 Die Besetzung der Bischofsstühle in den bayerischen Konkordatsverhandlungen 1918–19251 Die Pfarrbesetzungen als Auftakt der Frage nach der Fortgeltung des Bayernkonkordats von 1817
ОглавлениеDer Sturz Ludwigs III. von Bayern in Folge der Novemberrevolution 1918, mit dem das Wittelsbacher Königtum endete, veränderte nicht nur die politische, sondern auch die kirchenpolitische Situation im Freistaat grundlegend. Konnte das zwischen Papst Pius VII. und König Maximilian I. Joseph am 5. Juni 1817 geschlossene Konkordat nach dem Untergang der Monarchie noch Geltung beanspruchen?2 Schon im Revolutionsmonat wurde diese zentrale Frage brisant, nämlich angesichts anstehender Pfarrbesetzungen, die das Konkordat zum Teil der Präsentation des Königs vorbehalten hatte.3 Der bayerische Episkopat unter der Führung des Erzbischofs von München und Freising, Michael von Faulhaber, plädierte dafür – wie Letztgenannter am 27. November 1918 an den Auditor der Münchener Nuntiatur, Lorenzo Schioppa, schrieb –, „die Patronatsrechte der königlichen Zeit für die jetzige neue Regierung zu tolerieren“4. Die demokratische Staatsregie-rung sollte die bisher vom König geübten Pfarrpräsentationen also stillschweigend übernehmen. Andernfalls werde – so Faulhaber – die gegenwärtige Regierung sofort die Trennung von Kirche und Staat durchführen, was den Klerus angesichts der durch den Ersten Weltkrieg gezeichneten schwierigen Lage zu Hunger und völliger Armut verdammen würde.
Schioppa, der den vor den revolutionären Unruhen ins Schweizerische Rorschach geflohenen Nuntius Pacelli vertrat, trug das Anliegen wunschgemäß an Papst Benedikt XV. und Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri weiter.5 Dessen Antwort zu Jahresende fiel unbestimmt aus: Faulhaber möge in den anvisierten Verhandlungen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten und Kultusminister, Johannes Hoffmann, sicherstellen, den Heiligen Stuhl in keiner Weise durch irgendwelche negativen Präjudizien zu kompromittieren, weil dieser die Angelegenheit dann verhandeln wolle, sobald eine stabile neue Regierung vorhanden sei.6 In der Zwischenzeit sollten die einzelnen Bischöfe bei den entsprechenden Besetzungsfällen selbst entscheiden, wie vorzugehen sei – freilich nur via facti, ohne einer definitiven Regelung Roms vorzugreifen. Mit folgendem Wortlaut gab Schioppa diese Weisung an Faulhaber weiter:
„Der H[eilige] Stuhl ist bereit, die Bedürfnisse der neuen Lage zu prüfen, sobald eine festbleibende Regierung mit dem H[eiligen] Stuhl wird verhandeln wollen. Inzwischen sollen die Bischöfe selbständig in den einzelnen Fällen sich zurechtfinden, lediglich auf dem Weg des Vollzugs ohne Preisgabe der kanonischen Grundsätze und ohne dem H[eiligen] Stuhl etwas zu vergeben, indem sie nach Möglichkeit pfarramtliche Verwalter aufstellen.“7
Die Verwirrung folgte auf dem Fuße: Der eine Teil des bayerischen Episkopats interpretierte diese Aussage als positive, der andere Teil als negative Antwort auf das Gesuch vom 27. November. Da es aber nicht angehen könne – wie Faulhaber gegenüber Schioppa anmerkte –, dass „ein Teil der Ordinariate um Präsentation [sc. mittels der vorgesehenen Kandidatenliste bei der Regierung, R.H.] eingibt, der andere sie verweigert“ und er selbst keine einheitliche Praxis durchsetzen könne, bat er um eine authentische Interpretation, ob diese Antwort „ein tolerari potest oder ein tolerari non potest enthält“8.
Wie in Preußen war es wiederum die Frage der Ämterbesetzung, an der sich die nach der bleibenden Gültigkeit der bisherigen Rechtsgrundlage entzündete.9 Von der Antwort hing auch der Besetzungsmodus der bischöflichen Stühle ab: Ebenso wie die Pfarrpräsentation gestand das Konkordat von 1817 dem König das Nominationsrecht der Bischöfe zu.10 Wenn das königliche Recht in der Pfarrbesetzung stillschweigend auf die neue Regierung übergehen konnte, galt dasselbe dann auch für die Bischofseinsetzungen? Die schwebende rechtliche Situation bedurfte einer grundlegenden Klärung. Deshalb nahm Anfang April 1919 der inzwischen nach München zurückgekehrte Nuntius den Faden der ungeklärten Pfarrbesetzung auf und schilderte seinem römischen Vorgesetzten, dass die Problematik weiterhin bestand: Der bayerische Episkopat sei sich nicht einig, ob es noch gestattet sei, der Regierung die Kandidatenterna vorzulegen und ihre Präsentation des neuen Amtsinhabers hinzunehmen.11 Während Faulhaber eher dazu tendiere, die Notwendigkeit eines neuen Privilegs von Seiten des Heiligen Stuhls anzunehmen, spreche sich der Erzbischof von Bamberg, Johann Jakob von Hauck, dafür aus, die bisherige Praxis schlicht beizubehalten, solange das Konkordat noch bestehe.
Damit war die entscheidende Frage nach dem Bestand des Konkordats ausdrücklich angesprochen. Hauck beantwortete sie positiv und untermauerte diese Auffassung mit einem Gutachten des Eichstätter Kanonisten Joseph Hollweck.12 Pacelli trug dessen Ausführungen dem Kardinalstaatssekretär ausführlich vor.