Читать книгу Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939 - Raphael Hülsbömer - Страница 17
Pacelli zum Modus der Bischofseinsetzung und über „würdige“ Bischöfe
ОглавлениеNachdem nunmehr alle staatlichen Anmerkungen zur Pacelli-Punktation II sowie am 30. März der erste Teil eines konkret ausformulierten Konkordatsentwurfs des Kultusministeriums bei Pacelli eingegangen waren, hielt dieser die Zeit für reif, Gasparri seit langem wieder in der Frage der Bischofseinsetzung und der damit zusammenhängenden Frage der Vorbildung des Klerus auf den neuesten Stand zu bringen.138 Der Besetzungsmodus war zu einem Zankapfel sowohl zwischen Kirche und Staat als auch innerkirchlicher Parteien geworden. Es standen in der zentralen Frage des Wahlrechts mittlerweile Kurie, Nuntius und Episkopat den Domkapiteln und der Regierung gegenüber. Um diese Situation dem Kardinalstaatssekretär zu verdeutlichen, skizzierte Pacelli ausführlich die verschiedenen Positionen und übersandte erst jetzt – im April 1922 – zusammen mit dem Gegenschreiben der Regensburger Kapitulare Kiefl und Scheglmann die Bittschreiben der Domkapitel aus dem Frühsommer 1921, die noch an Benedikt XV. gerichtet waren, dem mittlerweile Pius XI. auf den Stuhl Petri gefolgt war.
Pacelli stellte die Frage nach der Beteiligung der Domkapitel an der Bestellung der Diözesanbischöfe zunächst einmal in den Gesamtkontext der Konkordatsverhandlungen. Diesbezüglich hätten ihm gegenüber einige einflussreiche Abgeordnete der BVP auf der Bedeutung des Kapitelswahlrechts für den erfolgreichen Abschluss des Konkordats insistiert, wie insbesondere der Eichstätter Domkapitular Georg Wohlmuth, oder zumindest ein Terna-Vorschlagsrecht als minimales Zugeständnis herausgehoben, wie der Vorsitzende der Landtagsfraktion, Heinrich Held. Dagegen habe Ministerpräsident Hugo Graf von Lerchenfeld klar gemacht, dass ihm persönlich an solchen Konzessionen kein bisschen gelegen sei. Die kürzliche Besetzung des bischöflichen Stuhls in Mainz habe Lerchenfeld „die Unstimmigkeiten und inneren Kämpfe der Kapitel“139 aufgezeigt, sodass er eine direkte Ernennung der Oberhirten durch den Heiligen Stuhl vorziehe. Die opportune Lösung angesichts dieser divergenten Meinungen zu finden, verwies Pacelli einem Demutsgestus folgend in das Urteil Gasparris. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, einige Punkte zu bedenken zu geben, die letztlich schon eine Klärung aller strittigen Bereiche enthielten:
1) Zunächst sei die Annahme gerechtfertigt, dass die nähere Spezifikation des bischöflichen Einsetzungsmodus gar nicht in das Konkordat gehöre, da die WRV jede staatliche Einmischung in diesen Bereich ausschließe.140 Und da Matt sich schließlich ständig auf die Reichsverfassung berufe, anerkenne er damit – gewissermaßen performativ – auch die Autonomie der kirchlichen Ämtervergabe. Übrigens seien die staatlichen Interessen völlig ausreichend berücksichtigt, sollte der Heilige Stuhl den staatlichen Forderungen hinsichtlich der bayerischen beziehungsweise deutschen Staatsbürgerschaft und des Ausbildungswegs über ein deutsches Abitur sowie eine deutsche Hochschule als Prämissen für das Bischofsamt nachkommen.141 Seiner Ansicht nach konnte höchstens ergänzt werden, dass der Heilige Stuhl sich vor der Ernennung bei der Regierung zu informieren hatte, ob gegen den fraglichen Kandidaten Einwände „vom politischen oder bürgerlichen Standpunkt“142 bestanden. Aber ob „dieser dann vom Kapitel oder vom Heiligen Stuhl direkt gewählt wird, ist eine innere Angelegenheit, in welche der Staat an sich kein Recht noch ein Motiv hat, einzugreifen“143.
2) In Anlehnung an Faulhabers Bemerkung vom 3. April hielt Pacelli den von Matt angeführten Grund des „Volksempfindens“ zugunsten des Kapitelswahlrechts nicht für schlüssig: „Das katholische Volk nimmt mit nicht geringerer Verehrung und Anhänglichkeit einen vom Heiligen Vater ernannten Bischof auf; ihm ist wichtig, dass es ein würdiger und heiliger Hirte ist.“144 Das weitere Argument des Kultusministers, dass bis zum Konkordat von 1817 die Kapitelswahl „allgemeines Recht“ gewesen sei, zu dem man nach dem Wegfall der königlichen Nomination nun zurückkehren könne, war in den Augen des Nuntius ein „offenkundiger historischer und rechtlicher Irrtum, der nicht der Widerlegung bedarf.“145 Damit widersprach der Nuntius nicht nur dem Kultusminister, sondern auch der Argumentation der Domkapitel selbst.
3) Pacelli gestand den Domkapiteln zu, unfraglich immer „würdige und geeignete Geistliche nach den Vorgaben der heiligen Canones“146 zu wählen. In diesem Geist seien zweifellos alle Bischöfe in Deutschland gewählt worden. Doch auf der anderen Seite gebe es auch nicht selten äußere Einflussnahmen auf die Kanoniker, außerdem Gegensätze, Eifersucht und Gruppeninteressen innerhalb des Domkollegiums.147 Diese destruktiven Erscheinungen könnten wiederum – so Pacelli – „leicht die Wahl des Würdigsten verhindern, wie ich schon in kürzlichen Fällen feststellen konnte.“148 Welche er damit konkret meinte, sagte er nicht, doch darf davon ausgegangen werden, dass er insbesondere die Besetzung des Bistums Trier im Auge hatte: Erst sechs Wochen zuvor hatten die dortigen Domherren Bornewasser zum Bischof gewählt, während hingegen Pacelli den Seminarregens Bares präferiert hatte.149 Was verstand er unter dem „Würdigsten“? Das deutlich zu machen, bezeichnete Pacelli als seine „Gewissenspflicht“150:
„Es ist unzweifelhaft, dass die Ausbildung des Klerus in Deutschland … Verbesserungen und Reformen bedarf, und zu diesem Ziel hat die Heilige Kongregation für die Seminare und die Studieneinrichtungen an den Episkopat am 9. Oktober 1921 eine nützliche Instruktion gesandt. Nun sind aber (wie die Erfahrung lehrt) alle Instruktionen des Heiligen Stuhls diesbezüglich mehr oder weniger toter Buchstabe, wenn es keine Bischöfe gibt, die vollkommen ihre Notwendigkeit und Bedeutung erfasst haben und daher mit aller Energie ihre treue und vollständige Umsetzung fördern.“151
Der zentrale Kristallisationspunkt, wo sich gute von sehr guten Bischöfen nach Pacelli unterschieden, war deren Vorstellung zur Priesterausbildung. Mit diesem Thema hatte sich Pacelli seit Anbeginn seiner Amtszeit in Deutschland beschäftigt. Seine Kritik wurzelte in dem Faktum, dass die Alumnen an theologischen Fakultäten innerhalb staatlicher Universitäten oder an philosophisch-theologischen Lyzeen studierten und seiner Auffassung nach dort nicht oder viel zu wenig eine römisch-scholastisch-spekulative Theologie lernten. Daher arbeitete Pacelli für eine Anpassung der deutschen Priesterausbildung an die römische Praxis. Dieses Ziel verfolgte auch das Rundschreiben der Studienkongregation vom 9. Oktober 1921, auf das Pacelli hier verwies.152 Allerdings bedurfte dieser Erlass der Umsetzung, wofür willige Bischöfe gefordert waren. Der Nuntius analysierte, dass es ziemlich schwierig sei, derart willige Kandidaten auf die bischöflichen Stühle zu bringen, wenn die Wahl der Oberhirten in der Kompetenz der Domkapitel liege und dem Heiligen Stuhl nichts anderes als das Bestätigungsrecht bleibe. Die päpstliche Zustimmung zu einem auf diese Weise Gewählten könne schließlich nicht verweigert werden, wenn dieser die von den Canones geforderten Qualitäten besitze.153
4) Aus den vorgebrachten Argumenten zog Pacelli abschließend seine Konklusion: Falls es nicht möglich sein sollte, diesen Punkt gänzlich zu beseitigen ohne den Konkordatsabschluss zu gefährden, könne man – in Anlehnung an die oben bereits erwähnte Weisung Gasparris vom 20. Mai 1921 – den Domkapiteln erlauben, eine Vorschlagsliste von wenigstens drei Namen aufzustellen. Diese sei dann an den Metropoliten des vakanten Bistums respektive an den ältesten Suffraganbischof zu übersenden, der wiederum die Meinungen der übrigen Provinzordinarien einholen sollte. Auf dieser Basis habe der Metropolit oder der älteste Suffragan die Vorschlagsliste zu akzeptieren oder zu modifizieren und dann über die Nuntiatur an den Heiligen Stuhl zu senden. Dieser behalte sich die Freiheit vor, gegebenenfalls einen anderen Geistlichen zu nominieren, der nicht auf der Liste stehe, „sooft er es aus besonderen Gründen für angemessen hält“154. Wichtig war für Pacelli bei diesem Prozess besonders die Verschwiegenheit aller Beteiligten, ein Umstand auf den er immer wieder insistierte, weil er wusste, dass die geforderte römische Entscheidungsfreiheit ohne Diskretion kaum umgesetzt werden konnte.
Schlussendlich kam Pacelli noch auf die Frage der politischen Klausel zu sprechen. Die Bischöfe hatten diesen Punkt als äußerstes Zugeständnis eingestuft und zum Teil eine Verbesserung der staatlichen Formulierung, die unpräzise von „Bedenken“ sprach und Anlass zu Missbräuchen geben konnte, gefordert. Der Nuntius teilte diese kritische Sicht durchaus, doch zeigte er Sinn für die Realität:
„So sehr auch die absolute Freiheit der Kirche in der Wahl der Bischöfe wünschenswert sein kann, scheint es gleichwohl schwierig – unbeschadet der angemessenen Verbesserungen in der Redaktion –, diesen Antrag der Regierung zurückweisen zu können, währenddessen eine gleiche Genehmigung vom Heiligen Stuhl bereits im Konkordat mit Serbien (Art. 4) und im Konkordatsprojekt mit Lettland (Art. 4) gewährt wurde.“155
Damit bekräftigte Pacelli seine Position, die er bereits am 11. September 1920 vertreten hatte und zog als Präzedenzfälle für die politische Klausel die Verträge mit Serbien (1914) und Lettland (1922) heran, in denen dem Staat jeweils ein politisches Bedenkenrecht vor der Einsetzung der Bischöfe zugestanden worden war.156 Außerdem war eine solche Klausel auch bereits in der zentralen römischen Weisung zur kurialen Position der Besetzung der deutschen Bistümer – jene vom 20. Mai 1921 – vorgesehen und deckte sich ebenfalls mit dem vom Kölner Erzbischof Schulte im Februar des laufenden Jahres für die Besetzung des Bistums Trier entworfenen modus procedendi.157 Damit schien die Frage der Regierungsbeteiligung für Pacelli zumindest grundsätzlich entschieden zu sein, während sich jene nach der Rolle der Domkapitel für ihn erheblich offener gestaltete.