Читать книгу Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939 - Raphael Hülsbömer - Страница 16
Die Interessengemeinschaft von Regierung und Domherren sowie der Widerspruch des Episkopats
ОглавлениеPacelli hatte also eine ganze Reihe von Eingaben nach Rom zu senden. Bevor der Nuntius jedoch all diese Petitionen weiterleitete, wollte er zunächst die Replik der Regierung zu den verbliebenen Punkten seines Konkordatsentwurfs abwarten. Den ersten Teil hatte Kultusminister Matt am 26. August 1920 vorgelegt, den zweiten am 28. Mai 1921. Seitdem wartete Pacelli wieder auf die nächsten Ausführungen. Neben einem weiteren Regierungswechsel117 und einer Verwirrung durch die Konsistorialallokution Benedikts XV. vom 21. November 1921,118 führten auch die Rücksichtnahmen Matts auf die Reichsgesetzgebung119 zu neuen Verzögerungen, sodass die letzte von weiteren drei Teilerklärungen zur Pacelli-Punktation II erst im April 1922 in der Nuntiatur eintraf.120 Wenige Wochen vorher, am 30. März, hatte der Kultusminister Pacelli außerdem ein fünf Punkte umfassendes Skriptum vorgelegt, das – wie Faulhaber sich ausdrückte – „die [ersten] staatlichen Forderungen an ein Konkordat in fester Fassung“121 und insbesondere auch einen konkreten Antrag zum Modus der Bischofseinsetzung enthielt.122 Hatte Matt im August 1920 noch die kirchliche Freiheit der Ämterbesetzung prinzipiell bejaht und nur eine Problematik gesehen, wenn der Heilige Stuhl einen Kandidaten ernennen wollte, der das grundsätzliche Staatsinteresse und dabei vordringlich die Landeseinheit gefährden konnte, wie beispielsweise ausländische Staatsbürger, so formulierte er nun unter der Nummer drei eine weitergehende Forderung: „Die Besetzung der erzbischöflichen und bischöflichen Stühle erfolgt durch Wahl der Domkapitel vorbehaltlich der Bestätigung (Institution) durch den H[eiligen] Stuhl. Der H[eilige] Stuhl wird sich vor der Bestätigung davon überzeugen, ob bei der Bayerischen Staatsregierung gegen den Gewählten keine Bedenken bestehen.“123
Matt war sich durchaus bewusst, dass er hiermit vom Heiligen Stuhl ein Entgegenkommen verlangte, doch entsprächen die formulierten Anträge den Ansichten der bayerischen Katholiken und seien „auf ein reibungsloses, erfolg- und segensreiches Wirken der katholischen Geistlichen“124 ausgerichtet, wie er im Anschreiben an Pacelli begründete. Das erwartete Entgegenkommen rechtfertigte der Kultusminister mit den Bestimmungen des bisherigen Konkordats und den vom Land Bayern zu übernehmenden Verpflichtungen – insbesondere dachte er wohl an die finanziellen – gegenüber der Kirche. Mit anderen Worten: Trotz der Kirchenartikel der WRV musste die Kirche für ein reziprok förderndes und rücksichtnehmendes Verhältnis zum Staat auch Zugeständnisse machen, ohne die eine gute Beziehung beider Seiten nicht möglich war. Die eigentliche Grundlage, ein Bischofswahlrecht der Domkapitel zu fordern, verlegte Matt – anders als Kiefl und Scheglmann geurteilt hatten, aber in Übereinstimmung mit der Argumentation der übrigen Domherren – in den Wunsch der bayerischen Katholiken. Auch wenn das königliche Nominationsrecht weggefallen sei, sei das Interesse des bayerischen Volkes noch vorhanden, dass bei der Bischofseinsetzung „auch sein eigenes völkisches Fühlen und Denken eine Vertretung finden möge“125. Matt prophezeite dem Nuntius, dass der bayerische Landtag sich dieses Anliegens annehmen werde. Außerdem erklärte er seine Überzeugung, mit der Ziffer drei seines Entwurfpapiers „die eigenen Ansichten des H[eiligen] Stuhles zu treffen“126, dem es doch gelegen sein müsse, die Besonderheiten der jeweiligen Länder zu berücksichtigen, um dem neuen Oberhirten auf diese Weise die günstigste Ausgangslage für sein Amtswirken zu verschaffen. Für den Minister legte sich nahe, bei der Neuordnung des Besetzungsprozederes auf den – seiner Ansicht nach – „gemeinrechtlichen Modus der Wahl der Bischöfe durch die Domkapitel“127 in Bayern von vor 1817 zurückzugreifen, da die königliche Nomination keine Option mehr sei. Übrigens entspreche dieser Modus auch den Wünschen der Domherren und des „übrigen Klerus“128. Hier zeigte sich, dass die Kampagne der bayerischen Kanoniker für das Bischofswahlrecht zunächst einmal über die Regierung Einfluss auf die Konkordatsverhandlungen ausübte und den Kurs des Kultusministers in dieser Frage offensichtlich entscheidend mitbestimmte. Die ablehnende Haltung des Episkopats zur Bischofswahl überging Matt stillschweigend, obschon dieser doch auch zu dem von ihm herangezogenen „übrigen Klerus“ gehörte. Die römischen Interessen indes seien – so Matt – schon dadurch ausreichend gesichert, dass dem Papst das Bestätigungsrecht vorbehalten bleibe.
Bevor Pacelli seinem kurialen Vorgesetzten über das staatliche Papier berichtete, besprach er sich am 3. April mit dem Münchener Erzbischof darüber und erbat sich eine Prüfung der einzelnen Punkte. Faulhaber legte es daraufhin streng vertraulich seinen bayerischen Mitbischöfen vor, um ihre Ansichten einzuholen, wobei er selbst bereits die Marschroute vorgab.129 Wie er ihnen erläuterte, sollte Maßgabe sein, dass „wir einerseits die kirchlichen Grundsätze für das neue Konkordat wahren und andererseits einige Konzessionen machen müssen, damit das Konkordat als Ganzes zustandekommen kann“130. Zu den Artikeln, bei denen Zugeständnisse möglich sein könnten, zählte für den Münchener Erzbischof die Nummer drei mit der Forderung nach dem Kapitelswahlrecht jedoch nicht: „Wenn die höchste kirchliche Stelle nicht einmal für Preußen, wo doch bisher dieses Wahlrecht bestand, es weiter gelten lässt, dann kann man in Bayern wahrhaftig nicht eine solche Dispens von can. 329 verlangen.“131 Diese Behauptung zur römischen Politik in Preußen war vor dem Hintergrund von Gasparris „definitivem“ Besetzungsmodus vom 20. Mai 1921 korrekt,132 traf jedoch nicht die Sicht Pacellis, die spätestens im Frühjahr 1922 davon ausging, ein zumindest beschränktes Kapitelswahlrecht in Preußen beizubehalten.133 Den Vorstoß der Domkapitel hielt Faulhaber angesichts der Konkordatsverhandlungen für unglücklich. Die Begründung Matts für das Wahlverfahren, nämlich die Rücksichtnahme auf „das völkische Empfinden“, machte nach Faulhaber „ihrem Erfinder – gleichviel ob er ein weltliches oder geistliches Kleid trägt – keine Ehre“134. Daher stand für ihn eine Revision der bisherigen Haltung des Episkopats in dieser Sache nicht zur Debatte.
Was schließlich die politische Klausel anbelangte, so habe Pacelli ihm gegenüber bemerkt, dass er sie als „äußerste Konzession“135 akzeptieren könne. Diese Klausel, welche die Freisinger Bischofskonferenz ehedem für jene Fälle als optional eingestuft hatte, in denen ein Ausländer auf den bischöflichen Stuhl berufen werden sollte, wurde damit zu einer grundsätzlichen Komponente im Besetzungsverfahren ausgeweitet.136 Wie Faulhaber dem Nuntius am 9. April mitteilte, hätten die bayerischen Bischöfe ihm in diesen beiden Punkten zugestimmt.137