Читать книгу Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939 - Raphael Hülsbömer - Страница 12

Pacelli bei Hoffmann

Оглавление

Die Aussicht, die völlige Freiheit in der kirchlichen Ämterbesetzung zu erhalten, wie sie der Artikel 137 WRV zu ermöglichen schien, ließ Pacelli keine Ruhe. Wie er Gasparri am 6. Oktober berichtete, habe er mehrfach versucht, über Mitglieder der Bayerischen Volkspartei (BVP) den Ministerpräsidenten in diese Richtung zu beeinflussen, wobei es auch darum gegangen sei, die fortwährende Zahlung der staatlichen finanziellen Leistungen an die Kirche nicht zu gefährden.55 Von diesen Mittelsmännern habe er auch erfahren, dass sich der bayerische Gesandte beim Heiligen Stuhl, Otto Freiherr Ritter zu Groenesteyn, kürzlich in Rom bemüht habe, von der Kurie die Zusage oder zumindest die Aussicht auf irgendeine staatliche Partizipation – beispielsweise in Form einer vertraulichen Anfrage vor der Ernennung – bei der Ämterbesetzung zu erzielen.56 In seinen Berichten an die bayerische Regierung habe dieser darüber hinaus erklärt, dass es dazu durchaus die Möglichkeit und Gelegenheit gebe, indem man im Gegenzug die freiwilligen Staatsleistungen weiterhin an die Kirche zahle.57 Pacelli monierte einen fehlenden Rückhalt aus Rom, als er Gasparri warnte: Wenn „der feindliche und antiklerikale“58 Hoffmann so etwas zu lesen bekäme, werde es praktisch unmöglich, bei ihm den Verzicht auf eine staatliche Einflussnahme zu erreichen.59

Dieses Ziel konnte Pacelli endlich persönlich verfolgen, als Hoffmann ihn für den Morgen des 30. Oktober zu einer Besprechung einlud, die nicht nur einen Kompromiss in der Pfarrbesetzung einbrachte – die Regierung nahm die Pfarrpräsentationen provisorisch und ohne Präjudiz bis zu einer neuen Regelung weiterhin wahr60 –, sondern vor allem über die künftigen Beziehungen von Staat und Kirche in Bayern handelte.61 Wie der Nuntius noch am selben Tag seinem kurialen Vorgesetzten berichtete, habe ihm Hoffmann umgehend seine Auffassung über die Geltung der WRV eröffnet, die er in der vorangegangenen Woche noch mit den übrigen Kultusministern Deutschlands bei einer Zusammenkunft im Berliner Reichsinnenministerium abgestimmt hatte.62 Dabei sei herausgekommen, dass die internationalen Verträge mit den deutschen Teilstaaten, unter welche die Kultusminister auch die Konkordate zählten, noch in Geltung seien, insoweit ihre Bestimmungen nicht im Widerspruch zur neuen Verfassung stünden. Mit dieser Einschränkung bestand also nach staatlicher Ansicht auch das bayerische Konkordat noch. Außerdem hätten sie festgestellt, dass der wichtige Absatz 3 des Artikels 137, der die Verwaltungs- und Ämterbesetzungsautonomie der Kirche festschrieb, noch der Umsetzung durch die Ländergesetzgebungen bedürfe und bis dahin keine legislative Kraft besitze.63 Die staatliche Einmischung in diesem Bereich war ihrer Ansicht nach also noch immer legitim.

Hoffmann habe daraufhin – so Pacelli weiter – die Haltung des Heiligen Stuhls zu dieser Frage wissen wollen: Betrachtete dieser das Konkordat für gültig oder für aufgehoben oder wollte er vielleicht neue Verhandlungen? Natürlich erinnerte sich der päpstliche Gesandte bei dieser Frage an das Gutachten des Jesuitenkonsultors, das ihm Gasparri als Vorbereitung auf das Treffen mit Hoffmann vorgelegt und das sich eindeutig für den Fall des Kirchenvertrags ausgesprochen hatte. Doch fiel es dem geschulten Diplomaten nicht ein, dies als offiziellen Standpunkt des Heiligen Stuhls auszugeben, im Gegenteil:

„Ich habe geantwortet, dass ich noch keine Gelegenheit gehabt habe, diesbezüglich Instruktionen zu bekommen und dass ich daher ausschließlich in meinem Namen sprach und mir – pflichtgemäß – vorbehielt, den Heiligen Stuhl zu unterrichten. Ich habe es nicht für opportun gehalten, den Fall des genannten Konkordats aus folgenden Gründen zu bestätigen: 1) weil Eure Eminenz, als Sie mir mit der Weisung [sc. vom 23. August, R.H.] die Kopie des Gutachtens eines Konsultors der Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten übersandten, nicht auftrugen, dessen Schlussfolgerungen zu übernehmen. 2) weil eine ähnlich ausdrückliche Behauptung praktisch den schwersten Schaden für die Kirche in Bayern bewirken könnte. Mir steht es zwar gewiss nicht zu, eine theoretisch-kritische Prüfung der vom ehrwürdigen Kanonisten angeführten Argumente vorzunehmen; es ist nichtsdestoweniger meine Pflicht, Eure Eminenz darauf hinzuweisen, dass man vielleicht die einzige, sicher die festeste und sicherste Basis verlieren könnte, um das zu retten, was man noch von den Rechten der Kirche in Bayern retten kann, wenn man das Konkordat für gefallen erklären würde. Tatsächlich liegt es in der Kraft des Konkordats, dass es möglich ist, die verschiedenen Staatsleistungen zu bewahren, das Recht der Kirche zu bestätigen, eigene Philosophen- und Theologenschulen in den Seminaren zu haben, und so weiter. Auf der anderen Seite, um die Kirche von dem größtmöglichen Übel des staatlichen Rechts auf Ernennung oder Präsentation der kirchlichen Ämter zu befreien, hat man schon ein sehr wirksames Argument in der Reichsverfassung. 3) weil ich mir bewusst bin, dass faktisch die genannte Behauptung (obwohl zweifellos zu Unrecht) von der Regierung wie ein feindliches Verhalten des Heiligen Stuhls gegen die neue republikanische Form der Regierung interpretiert würde.“64

Um also eine direkte Antwort auf die Frage Hoffmanns zu vermeiden, erklärte er, dass seiner Ansicht nach eine neue Vereinbarung zwischen dem Heiligen Stuhl und dem bayerischen Staat angemessen war und kam sofort auf die möglichen Inhalte einer solchen zu sprechen. Dafür hatte Pacelli extra einen 10 Punkte umfassenden Katalog – in der Forschung „Pacelli-Punktation I“ genannt65 – vorbereitet, für den er auf die Zusammenstellung zurückgriff, die Erzbischof Hauck ihm im September im Namen des bayerischen Episkopats vorgelegt hatte.66 Bevor er konkret wurde, versuchte er nach eigener Darstellung, dem bayerischen Staatsvertreter seine Schuldnerposition gegenüber der Kirche bewusst zu machen, indem er darauf hinwies, dass durch Reichs- und bayerische Verfassung die Kirche ihre privilegierte Stellung, die ihr nach Artikel I des alten Konkordats zustehe,67 verloren habe. Daher habe sie grundsätzlich das Recht, nun eine größere Freiheit in ihrem ureigensten Feld zu fordern. Diese Grundprämisse fungierte für Pacelli gewissermaßen als Basis der neuen Verhandlungen. Im ersten konkret inhaltlich-materialen Punkt versuchte er diese dann sofort gegenüber Hoffmann in Anschlag zu bringen: „I. – Die Kirche ernennt alle kirchlichen Ämter frei ohne Mitwirkung des Staates und der bürgerlichen Gemeinden“68, während der Staat weiterhin für den finanziellen Unterhalt sorge. In der ersten Aussprache der kirchlichen Position zur staatskirchlichen Materie in Bayern formulierte Pacelli also die Maximalforderung in der Besetzung der Ämter und insbesondere der bischöflichen Stühle.

Wie reagierte Hoffmann darauf? „Hinsichtlich der freien Besetzung der bischöflichen Stühle von Seiten des Heiligen Stuhls machte er irgendeinen vagen und dunklen Vorbehalt, ohne aber klar seine Ansicht diesbezüglich auszudrücken.“69 Nicht nur aufgrund dieser Reaktion konnte der Nuntius am Ende der Besprechung sicher sein, dass der Staat nicht bereit war, auf seine bisherige tragende Rolle bei diesem Thema einfach zu verzichten. Gasparri hingegen war mit dem von Pacelli ausgearbeiteten 10-Punkte-Programm und natürlich auch mit dem Ziel der freien päpstlichen Ernennung der Bischöfe vollauf zufrieden.70

Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939

Подняться наверх