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Die bayerischen Domkapitel und der Modus der Bischofseinsetzung

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Während die Konkordatsverhandlungen nur schleppend vorangingen, wuchs auf Seiten der bayerischen Domkapitel der Wunsch, künftig an der Besetzung der bischöflichen Stühle beteiligt zu werden, wie es in Preußen und der Oberrheinischen Kirchenprovinz bislang Brauch gewesen war.99 Ohne Wissen des bayerischen Episkopats, der die Bischofswahl durch die Kanoniker strikt ablehnte, wartete Anfang Juni 1921 als erstes das Metropolitankapitel von München mit einer dahingehenden Supplik auf, die Pacelli auf Bitten des Dekans, Martin Hartl, an Benedikt XV. weiterleiten sollte.100 Die Münchener Kanoniker erinnerten in ihrer Bittschrift daran, dass das Wahlrecht ein uraltes Recht sei, das sie vor langer Zeit verloren hätten. Sie führten es als Privileg des Freisinger Domkapitels auf die Zeit des heiligen Korbinian, des ersten Freisinger Bischofs, also in das beginnende 8. Jahrhundert zurück. Unter König Ludwig III. von Alemannien und Bischof Waldo von Freising an der Wende zum 10. Jahrhundert sei das Recht dann erneuert und bestätigt worden. Nach 900-jährigem Besitz sei es schließlich durch die Säkularisation verlorengegangen, da die Befugnis zur Bischofsernennung durch das Konkordat von 1817 auf den bayerischen König transferiert worden sei. Auf Basis dieser langen Tradition bat das Münchener Kapitel, „dass in einer neuen Vereinbarung dem Metropolitankapitel von München wenigstens das Recht zugestanden werde, für den vakanten Bischofsstuhl drei Kandidaten zur Verleihung vorschlagen zu dürfen“101.

Warum die Münchener Domherren nicht um ein eigentliches Bischofswahlrecht baten, wird deutlich, wenn man sich folgenden Zusammenhang vergegenwärtigt: Ein Propositionsrecht des Domkapitels von drei Kandidaten war genau der Modus, den Gasparri am 20. Mai 1921 – also erst wenige Tage zuvor – als großes Zugeständnis Roms an die deutschen (außerbayerischen) Domherren dem Nuntius als Verhandlungsdirektive mit auf den Weg gegeben hatte.102 Offenbar hatten die Münchener Kanoniker davon erfahren und versuchten nun auf den Zug insbesondere der preußischen Domkapitel aufzuspringen. Dabei dachte das Metropolitankapitel erst einmal nur an sich, wohlwissentlich, dass eine etwaige Genehmigung des Heiligen Stuhls leichter nur für eins als für alle bayerischen Kapitel erreicht werden konnte. Doch logischerweise wollten auch die anderen Bischofskirchen diese sich scheinbar bietende Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Noch im Juni trafen in der Münchener Nuntiatur die Eingaben der Domkapitel von Speyer und Eichstätt ein. Während der Speyerer Dompropst, August Brehm, die gleiche Besetzungsvariante vorschlug wie das Metropolitankapitel der bayerischen Hauptstadt,103 plädierte der Eichstätter Domdekan, Georg Triller, für eine einheitliche Besetzungspraxis in ganz Deutschland und damit für ein Wahl- beziehungsweise Ternavorschlagsrecht auch für Bayern, sofern dieses den Domkapiteln in Preußen oder der Oberrheinischen Kirchenprovinz zuerkannt werden sollte.104

Wie bereits deutlich wurde, war die Mitwirkung der Domkapitel bei den Bischofseinsetzungen in Bayern für Pacelli keine optimale Lösung. Allerdings verlief die Frontlinie im Streit um diese Frage nicht geradlinig zwischen Pacelli beziehungsweise der Kurie sowie den bayerischen Bischöfen einerseits und den bayerischen Domkapiteln andererseits. Zum Beispiel hatte sich Bischof Mergel für ein Vorschlagsrecht der Domherren ausgesprochen und plädierte damit zumindest für eine herabgestufte Kapitelsbeteiligung. Auf Kapitelsseite gab es wiederum Stimmen, die sich gänzlich gegen eine Beteiligung der Kanoniker aussprachen und so auf die römisch-episkopale Sicht einschwenkten. Konkret galt das für den Regensburger Domdekan, Franz Kiefl, und den dortigen Generalvikar, Alphons Scheglmann, der ebenfalls Mitglied des Kapitels war. Am 27. Juni reichten sie bei Pacelli eine Denkschrift für den Papst ein, in der sie die getreue Umsetzung des Can. 329 § 2 des CIC in Bayern wünschten und mehrere Punkte auflisteten, warum sie den diversen Bitten der Domkapitel nicht zustimmen könnten, ihnen „vielmehr widersprechen“ wollten, „weil wir davon Schlechtes befürchten“105. Zunächst einmal hielten sie die Domkapitel schlichtweg nicht für fähig, eine Bischofswahl aus rechter Motivation vorzunehmen:

„Gewiss finden sich 1. unter den Kapiteln Parteiungen, Rivalitäten, Feindschaften, dreiste und Unruhe stiftende Personen, die mit jeder Anstrengung die einfachen und schüchternen Kapitulare hinter ihren Willen ziehen, woraus die Gefahr entsteht, dass oftmals etwas in leidenschaftlichem Geist entschieden wird, was eine heilige Pflicht wäre, in der Eingebung des Heiligen Geistes fromm und friedlich zu tun.“106

Wenn sich aber solche Übel einschlichen, würden die Parteiungen und die Zwietracht keine Interna der Kapitel bleiben, sondern auch nach außen hervorbrechen und dort Flächenbrände nach sich ziehen. Ein weiteres Argument war der Gedanke, dass sich vom Domkapitel gewählte Oberhirten häufig dem Wahlgremium verpflichtet fühlten. Das Kapitel tendiere dann sogar dazu, „im Bischof eher sein Geschöpf als seinen Herrn zu sehen“107. Die daraus resultierende Konsequenz einer lascheren Handhabung der kirchlichen Disziplin sei leicht vorhersehbar. Wenn hingegen der Heilige Stuhl exklusiv die Bischofseinsetzung vornehme, gebe es keinerlei Einmischung von menschlichen Leidenschaften, „sondern das Heilige wird heilig behandelt“108. Außerdem glaubten die beiden Domherren einschätzen zu können, dass viele sehr fromme Menschen sich eher den Bischöfen unterwerfen würden, die ihnen von der höchsten kirchlichen Autorität gegeben, als solchen, die durch das jeweilige Domkapitel mit offenen Streitereien gewählt worden seien. Damit sahen Kiefl und Scheglmann keinen zwingenden Grund, den Can. 329 § 2 für Bayern zu lockern. Nichts dränge dazu, „nicht das Präjudiz der Kapitel in Preußen, weil dort besondere geschichtliche Gründe gelten; noch irgendein Verlangen der bayerischen Herde, denn im ganzen Volk findet sich gerade keine Spur eines solchen Willens“109. Schließlich seien die Drohungen zu vernachlässigen, dass das Konkordat bei der Abstimmung abgelehnt werde, wenn das Kapitelswahlrecht darin nicht verankert sei, da sich kaum ein Politiker darum schere. Es ist klar, dass dieses Votum aus den Reihen der Domkapitulare Pacelli entgegenkam, was man auch daraus ersehen kann, dass er auf die Eingaben des Münchener, Speyerer und Eichstätter Kapitels kein Antwortschreiben verfasste, sich aber bei Kiefl und Scheglmann ausdrücklich bedankte.110

Bei ihrem Widerspruch gegen eine Beteiligung der Domkapitel am Prozess der Bischofseinsetzung bezogen sich die beiden Regensburger Kanoniker offensichtlich auf die – nach den anfänglichen partikularen Bestrebungen – nun von allen Kapiteln Bayerns gemeinsam vorgetragene Supplik, die der Münchener Domdekan Mitte Oktober an die Nuntiatur zum Weitertransfer an den Papst übermittelte.111 Die Kanoniker suchten dabei dezidiert Anschluss an die Bittschrift der preußischen Domherren vom 1. Februar des gleichen Jahres, in der diese neben einer Beteiligung an der Besetzung der Domkapitelstellen das freie Wahlrecht für die bischöflichen Stühle forderten:112 „Was die Domkapitel Preußens glauben, für sich von Eurer Heiligkeit begehren zu dürfen, das halten auch die Domkapitel Bayerns als ihr Recht und ihre Pflicht, für sich zu begehren …“113, ungeachtet der unterschiedlichen Besetzungspraxis der Bistümer in Preußen und Bayern in der jüngeren Vergangenheit. Wie schon Hartl in der Münchener Denkschrift vom 6. Juni pointiert herausgestellt hatte, vergaß das gemeinsame Bittschreiben nicht darauf hinzuweisen, dass vor dem Konkordat von 1817 das Bischofswahlrecht auch in Bayern bewährte und immer wieder bestätigte Praxis gewesen sei. Das im Konkordat gewährte königliche Nominationsrecht sei letztlich nicht mehr als eine wohlwollende Privilegierung seitens der Kirche für die Wittelsbacher Krone gewesen. Man habe aber in Bayern insbesondere in den letzten 50 Jahren die Erfahrung gemacht, dass die Kirche wegen dieses Privilegs dem mehr oder weniger wohlwollenden Geist derer ausgeliefert sei, die im Staat über die kirchlichen Angelegenheiten entschieden. Wenn nun durch die neuen rechtlichen Entwicklungen das Nominationsrecht und andere königliche Rechte abgeschafft worden seien, „glauben die bayerischen Domkapitel mit vollem Recht, sich die Stimmen und Bitten der preußischen Domkapitel aneignen zu können“114. Es wäre doch auch – so die Kanoniker weiter – ein schwieriger Gedanke, wenn in einem Gebiet Deutschlands, in dem die Katholiken in der Minorität seien, die Domkapitel das freie Bischofswahlrecht erhielten, während ebendieses in Bayern, wo die Katholiken den größeren Teil der Bevölkerung ausmachen würden, „weggenommen“115 werde. Daher baten die Kapitel den Papst – unanimiter, wie sie sagten –, ihnen das freie Bischofswahlrecht zu gewähren.

Es bleibt an dieser Stelle festzuhalten, dass die anfänglichen zaghaften Bitten einzelner Kapitel um ein Vorschlagsrecht nun in doppelter Hinsicht verschärft wurden: formal, weil die bayerischen Domkapitulare jetzt mit einer Stimme sprachen – die inoffiziell durch die Eingabe Kiefls und Scheglmanns unterlaufen wurde – und materiell, weil sie jetzt mit dem freien Wahlrecht die Maximalforderung formulierten. Wie schon deutlich wurde, fand diese Auffassung keineswegs den Segen der bayerischen Oberhirten. Auf ihrer jährlichen Konferenz am 6. und 7. September 1921 erneuerten sie den Wunsch, dass der Can. 329 § 2 mit dem Zusatz auditis provinciae Ordinariis in der künftigen Regelung umgesetzt werden möge.116 Im Vergleich zum Vorjahr ergänzten sie ihren Entschluss um eine mögliche Beteiligung der Staatsregierung, die vor der Nomination gehört werden sollte, falls der für den vakanten Bischofsstuhl in Aussicht genommene Kandidat ein Ausländer sei.

Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939

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