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Die Klärung der politischen Klausel

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An dieser Stelle ist noch auf eine weitere Sitzung – diesmal eine Vollversammlung – der AES zurückzukommen, die am 30. Juli des Jahres tagte, das heißt also zwischen den beiden skizzierten Congregationes particulares. Sie beschäftigte sich mit dem noch klärungsbedürftigen Thema der „politischen Klausel“171, die im römischen Konkordatsentwurf dem bayerischen Staat konzediert wurde. Es wurde deutlich, dass es keineswegs eindeutig war, was unter diese Bestimmung fiel und welche Gründe dazu fähig sein sollten, vom Heiligen Stuhl als legitime Einwände der Regierung gegen einen auserkorenen Bischofsaspiranten angesehen zu werden. Weil in dieser Sitzung die Natur der Klausel und die römische Sicht auf ihre Bedeutung eingehend und endgültig besprochen wurde, lohnt ein Blick auf die vorbereitende Ponenza und die auf ihrer Basis geführte Diskussion.172

Die Relation für die an der Sitzung teilnehmenden Kardinäle konstatierte zur Einführung in das Thema, dass der Heilige Stuhl in den vergangenen zwei Jahrzehnten anders als früher keinem Staat mehr das Nominationsrecht der Bischöfe zugestanden habe. Dabei habe die Abschaffung dieses Privilegs, „das grundsätzlich nur aufgrund der Ansprüche des Regalismus173 eingeführt wurde, als dieser in voller Blüte stand“, die Kirche von „einer ihrer schwersten Fesseln“174 befreit. Doch sei die staatliche Beteiligung an der Besetzung der kirchlichen Ämter – insbesondere der Diözesanbischöfe – nicht ersatzlos gestrichen worden. Vielmehr habe sich „eine neue Art von Zugeständnis“ eingebürgert: „… der Heilige Stuhl hat sich nämlich verpflichtet, den Regierungen, vor der endgültigen Ernennung, die Person des Kandidaten, der von Ihm frei ausgewählt wurde, bekannt zu geben, um zu erfahren, ob sie irgendwelche Gründe politischer Natur einwenden“175. Weil die Staaten jeweils versuchen würden, den größtmöglichen Einfluss auf die Besetzung der Bischofsstühle zu erzielen und die politische Klausel daher „im weit möglichsten Sinne“176 interpretieren würden, sei eine authentische Erklärung des Heiligen Stuhls über ihre Reichweite vonnöten. Zu diesem Zweck stellte der Relator fünf dubia für die Diskussion in der Kongregation auf:

1) Sollten zu den gültigen Gründen politischer Natur, die eine römische Nomination verhindern konnten, Ansichten über die Regierungsform gehören? Wenn beispielsweise die ins Auge gefasste Person ein monarchisches Staatsprinzip vertrat, der Staat jedoch republikanisch strukturiert war oder vice versa.

Dieser Punkt wurde unter den Kardinälen in der Sitzung vom 30. Juli sehr kontrovers diskutiert. Wollte ihn eine Gruppe der Mitglieder, zu der die Kardinäle Antonio Vico, Gennaro Granito del Belmonte, Tommaso Pio Boggiani177 und Oreste Giorgi gehörten, im Wesentlichen als wirkkräftigen Grund gelten lassen, so waren andere wie Raffaele Merry del Val, Andreas Frühwirth, Raffaele Scapinelli di Léguigno und Gaetano Bisleti eher dagegen. Dabei stellte sich bereits die Frage, die erst in der Nummer fünf ausdrücklich thematisiert werden sollte: Genügte die persönliche Ansicht des Kandidaten oder musste sie nach außen hin vertreten werden, um von der Regierung als Argument benutzt werden zu können? Kardinal Giovanni Tacci beispielsweise machte seine Auffassung genau davon abhängig: Wenn ein Kandidat seine abweichende Meinung nach außen hin propagiere, könne die Regierung dies rechtmäßig als Einwand gegen dessen Amtserhebung vorbringen. Handle es sich aber nur um die private Auffassung des Kandidaten, ohne dass er sie der Öffentlichkeit kommuniziere, dann müsse die Zweifelsfrage negativ beantwortet werden. Dieser abgewogenen Meinung schloss sich auch Gasparri an, sodass die Diskussion schlussendlich mit sechs zu vier Stimmen für die Geltung des Arguments der Staatsform ausging.

2) Waren auch Ansichten zur nationalen Einheit unter die politischen Bedenken zu subsumieren? Zum Beispiel, wenn der Kandidat die Teilung des Staatsgebietes befürwortete oder die Hinzufügung eines Teils des Territoriums zu einem anderen Staat, während die Regierung hingegen diese Bestrebungen ablehnte.

Anders als die Nummer eins wurde diese Frage von den Kardinälen einmütig beantwortet: Alle stimmten für Ja. Einhellig wurde ebenfalls angenommen, dass es zur Erfüllung des Tatbestandes notwendig sei, dass der Kandidat in dieser Sache agitieren und sie vor der Öffentlichkeit vertreten müsse. Was die inhaltliche Reichweite der Separationsbestrebungen anbelangte, war es unter anderem Gasparri, der die Meinung vertrat, „dass es sich wirklich darum handeln muss, die nationale Einheit zu zerbrechen und nicht einfach nur, die Autonomie im Rahmen des bestehenden Staates zu verfechten“178. Beispielhaft dachte er dabei an eine flämische Autonomie innerhalb Belgiens.

3) Der nächste Punkt betraf Parteipräferenzen: Wenn beispielsweise die Regierung der einen politischen Partei angehörte, der Kandidat aber einer anderen.

Auf diese Überlegung folgte ein kategorischer Widerspruch aller Kardinäle. Parteipolitische Gründe könnten niemals eine legitime Basis sein, um die Nomination eines Geistlichen zu verhindern. Hinsichtlich des praktischen Vorgehens, sollte eine Regierung solche Argumente gegen einen von Rom ins Auge gefassten Kandidaten anmelden, hielt Gasparri es für möglich, dass der Heilige Stuhl nicht auf der Ernennung des Beanstandeten insistierte, sondern stattdessen eine Veränderung in der Regierungskonstellation abwartete. Im Vergleich zu den ersten beiden Nummern folgerte er:

„Wenn der Kandidat Propaganda gemacht hat entweder gegen die Regierungsform oder gegen die nationale Einheit, schließt ihn der Heilige Stuhl endgültig aus; wenn gegen ihn hingegen einzig parteipolitische Gründe bestehen, berücksichtigt ihn der Heilige Stuhl für den Augenblick nicht, aber schließt ihn nicht für immer aus.“179

4) Gab es neben den genannten noch andere Kriterien, die einen staatlichen Widerstand gegen einen Amtsanwärter legitimierten?

Die Kardinäle glaubten nicht, dass es noch weitere Gründe geben könnte, die zur Gruppe der politischen Bedenken zu rechnen waren. Einzig Kardinal Tacci konnte sich vorstellen, dass bei Ernennung eines Ausländers oder wenn der Ernannte der örtlichen Sprache nicht mächtig war, politische Einwände griffen. Dieser Auffassung wurde entgegengehalten, dass es sich hierbei nicht um politische Gründe im strengen Sinne handle und der Heilige Stuhl diese Umstände bei seiner Kandidatenauswahl ohnehin berücksichtige. Merry del Val konstruierte ein Beispiel:

„… wenn nämlich die Zahl der Kandidaten für eine Diözese sehr knapp ist und jene, welche die Ortssprache beherrschen, all die kirchlichen Qualitäten, die für das Bischofsamt gefordert sind, nicht besitzen. In diesem Fall muss die Wahl des Heiligen Stuhls zwischen jenen getroffen werden, welche die örtliche Sprache nicht kennen, ungeachtet des gegenteiligen Drängens der Regierung.“180

Anzumerken ist an dieser Stelle, dass das bayerische Konkordat – auch bereits der römische Konkordatsentwurf vom August 1922 – in Artikel 13 § 1 festsetzte, dass der zu ernennende Kandidat die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen musste. Wenn also nicht die politische Klausel, so verhinderte jedenfalls dieser Artikel, dass ein Nicht-Deutscher, der die deutsche Sprache nicht verstand, einen bayerischen Bischofsstuhl bestieg.

5) Der letzte Punkt bestand in der schon relevant gewordenen Frage, ob die einfache Meinung des Kandidaten ausreichte, damit die genannten Gründe den staatlichen Widerstand rechtfertigen konnten oder ob es nötig war, dass jener seine Meinung in Zeitungsartikeln, politischen Versammlungen etc. kundgetan, also in der Öffentlichkeit eindeutig propagiert hatte und daher publik war.

Diese grundsätzliche Zweifelsfrage war als wichtiges Kriterium mit in die Beantwortung der vorherigen eingegangen und wurde daher nicht mehr gesondert besprochen. Pius XI. stimmte noch am selben Tag den Beschlüssen der Kongregation zu, sodass sie damit zum offiziellen Standpunkt des Heiligen Stuhls wurden.

Über die Ergebnisse der Sitzung unterrichtete der Kardinalstaatssekretär den Münchener Nuntius am 26. August.181 Die Darstellung zur politischen Klausel, wie sie Pacelli schließlich vorlag, fasst die Entscheidung der Kongregation übersichtlich zusammen und wird daher knapp skizziert. Gasparri begann mit dem Hinweis aus der Sitzungsrelation, dass der Heilige Stuhl in den Konkordaten der letzten Jahre den jeweiligen Regierungen das Ernennungs- oder Präsentationsrecht für kirchliche Ämter nicht mehr gewährt und sich stattdessen lediglich verpflichtet habe, vor der Publikation des erwählten Kandidaten bei der Regierung nachzufragen, ob sie auf Basis von „Gründen politischer Natur“ Einwände habe. Auch mit Regierungen, gegenüber denen er diese Pflicht rechtlich nicht habe, wende der Heilige Stuhl dieses Prinzip an, „einfach als Frage der Höflichkeit“182. Aber weil die genannte Formel unbestimmt sei und Anlass zu Verwirrungen gebe, sei es notwendig, eine Richtschnur für ihre Interpretation zu entwerfen. Damit kam Gasparri zu den fünf Zweifelsfragen, die in der Kongregationssitzung disputiert worden waren:

1) Regierungsform: Entsprechend der abgewogenen Haltung Kardinal Taccis erklärte Gasparri dem Nuntius, dass solch eine abweichende Auffassung des Kandidaten in dieser Frage die Regierung zu einem gültigen Einwand berechtige – daher die grundsätzliche Antwort affermativamente –, insofern jener seine Auffassung in der Öffentlichkeit vertrete (gemäß der Nummer fünf).

2) Separatistische Ansichten im Gegensatz zur nationalen Einheit: Hier laute die Antwort wiederum affermativamente (freilich erneut unter Berücksichtigung des fünften Punktes). Dazu ergänzte Gasparri, dass eine solche Ansicht des Kandidaten nur dann als wirkungsvolles Argument der Regierung gelte, wenn die entsprechende Person definitiv darauf hinwirke, die nationale Einheit zu zerstören, und es nicht genüge, wenn er nur die Autonomie im Rahmen des bestehenden Staates verfechte. Diese Auslegung, die Gasparri selbst in die römische Diskussion eingebracht hatte, deklarierte er gegenüber Pacelli als allgemeinen Wunsch der Kardinäle.

3) Parteipräferenzen: Zu diesem Punkt vermeldete Gasparri die rigorose Ablehnung durch die Kardinäle – negativamente –, nie könnten parteipolitische Erwägungen bei der Kandidatenwahl berücksichtigt werden.

4) Weitere legitime Kriterien: Auch in dieser Zweifelsfrage hätten – so Gasparri – die Kardinäle negativ geantwortet. Aspekte wie Sprache, Nationalität oder Ähnliches könnten nicht als gültige Gründe für einen Kandidatenausschluss anerkannt werden.

5) Genügte die einfache Meinung des Kandidaten, damit diese Gründe den staatlichen Widerstand rechtfertigen konnten oder musste er seine Meinung in der Öffentlichkeit eindeutig propagieren? Gasparri resümierte den Beschluss der Sessio dahingehend, dass der erste Teil negativ, der zweite positiv zu beantworten sei.

Es lässt sich also festhalten, dass das „politische Bedenkenrecht“ einer Regierung im Sinne Roms nur dann griff, wenn ein auserkorener Kandidat entweder eine andere Staatsform als die herrschende befürwortete oder separatistischem Gedankengut anhing. Dazu musste der Kandidat beides nach außen, in die Öffentlichkeit hinein, vertreten. Alle anderen Gründe, die eine Regierung anführen mochte, waren nach dieser Interpretation unberechtigt. Diese authentische Position des Heiligen Stuhls galt logischerweise nicht nur für Bayern – trotz der unmittelbaren Einbettung in die bayerischen Konkordatsverhandlungen –, sondern ebenfalls für Preußen, die Oberrheinische Kirchenprovinz, überhaupt für alle Fälle, in denen der Heilige Stuhl irgendeiner Staatsregierung diese Klausel konkordatär zugestand.183 Es war schließlich eine rein innerkuriale Klärung, wie man vermeintliche staatliche Einwände gegen nominierte Bischöfe gewichten wollte. In der Praxis musste sich erst bewähren, inwieweit sich dieser eigene Katalog durchsetzen ließ.184 Der Charakter eines internen Dokuments bedeutete auch, dass Pacelli vermutlich weder die Regierung noch – zumindest zunächst – den Episkopat darüber informierte.185 So erklärt sich auch, dass die bayerischen Bischöfe im weiteren Verhandlungsverlauf nicht wussten, was unter der Formel „Bedenken politischer Art“ zu verstehen war.

Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939

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