Читать книгу Global Change - Rüdiger Glaser - Страница 15

Computerwelt – Von einer hyperaktiven Welt

Оглавление

Die international renommierte Elektroband Kraftwerk, die sich mit Werken wie Autobahn, Trans Europa Express, Radioaktivität oder Die Mensch-Maschine nicht nur musikalisch, sondern auch thematisch innovativ präsentierte, lieferte den Soundtrack für die jüngste Vignette unseres Daseins: Ihr achtes Album aus dem Jahr 1981 trug den Titel Computerwelt.

Computer und insbesondere das Internet besetzen immer weitere Lebensbereiche und sind zur allgegenwärtigen Daseinsausprägung mutiert. Nachrichten, persönliche Kontakte, multimediale Auslegungen von Musik und Film, online shoppen – der Cyber Space bietet weitreichende Möglichkeiten, um in eine beliebig erscheinende Wunsch- und Gegenwelt einzutauchen. Neue Wahrnehmungen, Möglichkeiten und Strukturen bestimmen unsere brave new world. Neue Lebensentwürfe sind möglich, digitale Ersatzfamilien lassen sich in den neuen „sozialen“ Netzwerken und Kommunikationsplattformen finden.

Folgerichtig veröffentlichen innovative Bands wie Radiohead ihre Alben vorab im Internet und überlassen es den Fans, einen angemessen erscheinenden Obolus zu entrichten. Und das drogenschwangere Scheitern von Künstlern wie Amy Winehouse wurde begleitet vom schrillen Blitzlichtgewitter, die jedes Straucheln und Versagen genüsslich ins globale Rampenlicht zerrten. Um als YouTube-Headliner zu erscheinen, basteln sich die Egomanen unserer Zeit wundersame Geschichten zusammen, deren Glaubwürdigkeit in der nach unten offenen Skala der Niveaulosigkeit ins Bodenlose taumelt, während per Facebook verkündete Spontanparties zum schwer steuerbaren Event ausufern. Wir sind dazu aufgerufen, all unsere Daten bei kommerziellen Anbietern zu hinterlegen, unsere persönlichen Profile gleich dazu – die umfassende Cloud als globaler Meta-, Giga-, Tera-, Peta-, Exa-, Zetta-, Yottaspeicher. Hier scheint sich zu erfüllen, was in der Subkultur in den USA der 1960er und 1970er Jahre anklang, dem Mythos nach umrahmt vom Soundtrack der Grateful Dead, aufgestiegen in tausendfachen Marihuanawölkchen. Dabei kann schon ein Sonnenwind oder ein banaler Stromausfall dem Ganzen den Garaus machen – oder die wirtschaftliche Pleite der neuen Milliarden-schweren Unternehmen. Entgegen dem Spruch „Das Netz vergisst nicht“ sind Datenverluste bittere Realität ■ 1.18.


1.18 Satelliten sind das Rückgrat der modernen Kommunikation – und Kernstück eines globalen Umweltmonitorings. Hier einige Exponate im Deutschen Museum in München.

Andererseits hat die Wiki-Idee einiges für sich und das crowdsourcing von Daten, also das freiwillige und unentgeltliche Bereitstellen von Informationen, muss nicht in Banalitäten ersticken. Gute Beispiele aus dem geographischen Bereich, wie das Sammeln von phänologischen Daten für das Apfelblütenprojekt des SWR, oder die OpenStreetMap36 offerieren erstaunlich valide Daten und zeigen neue Perspektiven.34 Als Medium für politik- oder wissenschaftskritische Enthüllungen ist das Internet allerdings infolge der Diskussionen um WikiLeaks erheblich in die Kritik geraten. Als Sturm im Wasserglas entpuppte sich zudem das Climategate im November 2009, als kurz vor der wichtigen Klimakonferenz in Kopenhagen rund 1000 illegal gezogene E-Mails der renommierten Climate Research Unit der Universität East Anglia in Großbritannien im Internet veröffentlicht wurden. Sie sollten zeigen, dass im IPCC tätige Klimaforscher Daten gefälscht und die Veröffentlichung von nicht genehmen Untersuchungen verhindert haben. Verschiedene unabhängige, zur Untersuchung der Vorwürfe eingesetzte wissenschaftliche Gremien kamen bis zum Sommer 2010 zum einhelligen Schluss, dass beide Vorwürfe nicht stichhaltig waren.

Gleichzeitig erweist sich das Credo vom freien Informationsaustausch und der neuen basisdemokratischen Dimension ein ums andere Mal als Chimäre, wenn totalitäre Staaten wie China eine Neuinterpretation der bekannten Mauer, jetzt als Great Firewall of China, vornehmen und Internetseiten abschalten.35 Das Netz hat seine ganz dinglichen, irdischen Server, die gehostet werden, die konkret verortet sind und die abgestellt werden können – und ganz am Rande auch noch hemmungslose Energiefresser sind.

Ein propagiertes Ziel der brave new world ist es, individualisierte Profile durch Erkennungssoftware zu generieren und ein umfassendes Informationsnetz aufzubauen, in dem alles überall und immer greifbar ist. Weitere Facetten sind die Überwachung im öffentlichen Raum, die Entprivatisierung durch Google Earth und Street Slide, der Datenklau privater Kundenprofile bei Sony und Playstation – aber auch die Erstellung von Bewegungsmustern ausgerechnet in der hippen Apple-Community, dazu die Frage nach der Postleitzahl an der Kasse, die Erstellung von Konsumprofilen durch unsere digitalen Fingerabdrücke, das Mitschneiden von Telefongesprächen zur „Qualitätskontrolle“, biometrische Personalausweise oder die unverblümte Erfassung individueller Merkmale per Augenscanner oder Fingerabdruck. Die Sensitivität und Empfindlichkeiten von derlei Informationen und deren Missbrauch durch machtvolle Einrichtungen stehen außer Frage, der vielfach vorherrschende unbekümmerte Umgang mit Persönlichkeitsdaten spielt dem allerdings in die Hände ■ 1.19.


1.19 Die „Weltkarte der Überwachung“ ist eine vielprämierte Installation des Künstlers Raul Mandru, die auf den statistischen Daten zum globalen Überwachungsranking von der Organisation Privacy International basiert. Sie führt das Ausmaß der globalen Überwachung vor Augen und macht es unmittelbar erlebbar. Der Handy-Benutzer navigiert dabei intuitiv auf der projizierten Weltkarte, auf der Tausende Symbole für bestimmte Maßnahmen wie Computerüberwachung, Arbeitsplatzobservierungen, Kontrolle beim Einkaufen usw. sowie für die jeweilige Dichte der Überwachungsstufe stehen.36

Gleichzeitig rüsten die Machtapparate und Falken zum totalen Cyber War, werden Trojaner, Viren und Würmer in feindliche Atom- und Industrieanlagen geschleust, um Steuerungssysteme lahmzulegen, wird darüber spekuliert, was Stuxnet, der die iranischen Atomanlagen außer Kraft setzte, noch alles leisten kann – und prompt droht Uncle Sam, virtuelle Attacken konventionellen Angriffen gleichzusetzen und entsprechend zu vergelten. Wieder eine andere Facette eröffnet die von J. P. Barlow verfasste „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“.

Die Globalisierung wäre in ihrer heutigen Form ohne die digitale Kommunikation nicht möglich. Eine wesentliche Voraussetzung dabei ist u.a., dass an den Börsen rund um die Uhr gehandelt werden kann: Wenn die eine schließt, öffnet bereits die nächste.

Es steht außer Frage, dass der Computer seit den 1980er und das Internet seit den 2000er Jahren eine entscheidende, prägende Rolle spielen und die Innovationen mit den weitreichendsten Folgen für uns alle darstellen. Die Geographie des Internets, seine Verfügbarkeit und der freie Zugang stehen aber im Schattenwurf politischer und ökonomischer Interessen sowie technischer Möglichkeiten. Deshalb ist auch das globale IT-Nervennetz nur eine weitere Abbildung der bekannten wirtschaftlichen Knoten, der hinlänglich bekannten Hot Spots. Diesen stehen die Black Holes gegenüber, Staaten, in denen das Internet gegängelt, zensiert oder erst gar nicht zugänglich ist. Dazu zählen Syrien, Saudi-Arabien, Turkmenistan, Weißrussland, Vietnam, Libyen, Kuba, China, Burma, Nepal, Nordkorea, Tunesien, die Malediven und Usbekistan.

In welcher Weltregion das Internet wie genutzt wird, zeigt die obige Abbildung. Der zugrunde gelegte Zeithorizont zwischen 2000 und 2012 entspricht der großen Welle der breit aufgestellten Nutzung des Internets. Interessant sind neben den Anteilen der „Weltregionen“, die im Grunde den Erwartungswerten entsprechen, der Durchdringungsgrad und die markanten Wachstumsraten in dem dargestellten Zeitraum.

Es dominieren die ökonomischen und technischen Optionen, überlagert von der Frage der politisch gesteuerten Zugänglichkeit38 ■ 1.20.


1.20 Einwohnerzahl und weltweite Internetnutzung nach Regionen 2000 und 2012.37

Global Change

Подняться наверх