Читать книгу Global Change - Rüdiger Glaser - Страница 25
Klimawandel
ОглавлениеOmnipräsent in den Medien sowie in den öffentlichen und politischen Diskursen, zählt der Klimawandel ohne Zweifel zu den besonders prononcierten Themen.86 Trotz der von Klimaskeptikern hartnäckig aufrechterhaltenen Kontroversen lassen Beobachtungen und Messungen keinen Zweifel. Nach dem jüngsten, 2013 publizierten Bericht des IPCC ist es „extremeley likely that human influence has been the dominant cause for the observed warming since the mid-20th century“. Danach ist die Erwärmung des Klimasystems eindeutig und seit den 1950er Jahren sind viele Beobachtungen beispiellos: Atmosphäre und Ozeane haben sich erwärmt, Schnee- und Eisflächen sind zurückgegangen, der Meeresspiegel ist angestiegen und die Konzentration der Treibhausgase nahm zu. Jedes der letzten drei Jahrzehnte wurde zunehmend wärmer als jede vorherige Dekade seit 1850. Auf der Nordhemisphäre war der Zeitraum 1983 – 2012 die wärmste 30-Jahre-Periode seit 1400 Jahren. Die Erwärmung der Ozeane nimmt den größten Anteil der Energie im Klimasystem auf, insgesamt mehr als 90 % der Energiezufuhr zwischen 1971 und 2010. Die obersten 700 Meter der Ozeane haben sich 1971 bis 2012 erwärmt, vermutlich ebenso zwischen 1870 und 1971. Der Meeresspiegelanstieg seit Mitte des 19. Jahrhunderts war stärker als die durchschnittliche Rate in den letzten beiden Jahrtausenden. Im Zeitraum 1901 bis 2010 stieg er um 0,19 m. Die Konzentration der Treibhausgase liegt über den Konzentrationen der letzten 800.000 Jahre! Die Ozeane haben rund 30 % des Anstieges absorbiert, was zur Versauerung der Meere führte. CO2 macht den größten Anteil am Treibhauseffekt aus.
Auch in Mitteleuropa ist die globale Fieberkurve manifeste Realität, mit einem exponentiell verlaufenden Temperaturtrend seit den 1970er-Jahren. Hier ist der Temperaturwandel greifbar. Dabei hat sich auch der Takt der Winter merklich verschoben. Kamen in den 1960er-Jahren noch rund vier bis sechs kalte und strenge Winter auf ein oder zwei milde, hat sich das Verhältnis heute ins Gegenteil gewandelt und pro Jahrzehnt treten gerade noch zwei strenge Winter auf. Zu den neueren „Irritationen“ zählt, dass der Verlauf in den letzten Jahren ein Plateau aufweist, d.h., der Temperaturanstieg verharrt auf einem mehr oder weniger flachen Niveau. Er scheint eine Pause eingelegt zu haben. Klimaskeptiker frohlocken und sehen sich bestätigt. Allerdings kennt man derartige „Verschnaufpausen“ des Erdklimas auch aus der jüngeren und älteren Vergangenheit. Erklärt werden können sie durch Klimaschwankungen, die sich aus Variationen des solaren Antriebes, aus Vulkaneruptionen (z.B. des Krakatau 1883 oder des Pinatubo auf den Philippinen 1991) oder auch aus Änderungen in der Ozean-Atmosphäre-Kopplung ergeben, wobei Phänomene wie das ENSO87 eine besondere Rolle spielen.88 Gesichert scheint, dass die Ozeane eine große Wärmemenge aufnehmen und sich sogar die tiefer liegenden Schichten erwärmen.89
Augenfällig und eindrucksvoll nachzuvollziehen ist der globale Temperaturanstieg durch den Zerfall und Rückgang der Gletscher und Eisflächen – ein globaler Trend, der wiederum auf das Klimasystem rückkoppelt, weil sich dadurch die Reflexionseigenschaften der Oberflächen, aber auch der Salzgehalt der Meere unmittelbar verändern. Betroffen sind davon v.a. die höheren Breiten, insbesondere die Arktis und Teile der Antarktis.90
Fernerkundungsdaten machen sichtbar, dass die Meereisbedeckung des Nordpolarmeeres seit den 1980er Jahren um rund 11 % pro Dekade abnahm. Das bisherige Rekordminimum von 2007 wurde 2012 erneut unterboten. Die besondere Sensitivität bezüglich der Strahlung beruht auf dem Albedo-Effekt. Helle Oberflächen wie Schnee und Eis reflektieren mit bis zu 90 % den größten Teil der kurzwelligen Einstrahlung. Schmilzt das Meereis, wird die Strahlung durch das dunkle Meerwasser größtenteils absorbiert und dort gespeichert. Die größere Wärmespeicherkapazität des Wassers hat zur Folge, dass sich im Herbst das Meereis später bildet und die Eissaison daher verkürzt ist. Zudem erwärmt die langwellige Ausstrahlung die Atmosphäre. Der Anteil an jährlichem dünnen Meereis steigt, das wiederum schneller schmilzt. Dadurch wird erneut mehr Sonnenenergie in den Prozess mit eingebunden. Dieser als Arctic amplification bezeichnete negative Rückkopplungsvorgang wiederholt sich ständig.91
Hinsichtlich des Volumens übersteigt die bis zu 3000 Meter mächtige Eisbedeckung Grönlands die zwar sehr ausgedehnte, aber verhältnismäßig dünne Meereisbedeckung des Nordpolarmeeres bei weitem. Ein Abschmelzen dieses mächtigen Eispanzers hätte dramatische Folgen an den dicht besiedelten Küstengebieten. Denn je mehr Eis in den kommenden Jahrzehnten schmilzt, desto stärker wird der Meeresspiegel ansteigen. Während im Zentrum keine Erwärmung nachweisbar ist, hat sich die für die Eisdynamik entscheidende Küstentemperatur im Süden Grönlands im 20. Jahrhundert bis zu 2,5 °C erwärmt. Im Sommer 2012 war ein Großteil Grönlands oberflächlich aufgetaut, was sich in immensen Schmelzwasserabflüssen und einem beschleunigten Eisabfluss bemerkbar machte ■ 1.40.
■ 1.40 Der Franz-Josef-Gletscher auf Neuseeland. Der Gletscher ging nach dem Ende der Kleinen Eiszeit Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1982 um über drei Kilometer stark zurück. Ab 1982 wuchs er wieder – entgegen dem weltweit vorherrschenden Trend – um etwa 1 km, um seit 1999 erneut zu schrumpfen. Erklärt wird dies mit spezifischen regionalklimatischen Effekten. In naher Zukunft erwartet man ein weiteres Rückschmelzen.
Der Rückgang des Meereises hat Konsequenzen für die Meeressäugetiere, die einen Habitatverlust hinnehmen müssen. Eisbären und Robben benötigen Eisschollen als Aufzuchtort für Jungtiere, zugleich aber auch die Nähe zum Festland. Nicht nur das Ende der Nahrungskette ist gefährdet, sondern auch der Anfang. Krilllarven sind auf Schutzräume im Eis angewiesen, um den ersten Winter zu überstehen.
Eine ganze Reihe von Sekundärfolgen sind schon heute Realität geworden92: Der Abfluss der zahlreichen Gletscher- und schneegespeisten Flüsse akzentuiert sich, Hochwasserwellen treten früher ein. Gleichzeitig verändert die Erwärmung von Flüssen und Seen deren thermische Schichtung und die Wasserqualität. Zudem führt die globale Eisschmelze zur Vergrößerung und zu einer steigenden Zahl von Gletscherseen, weshalb das Risiko für Gletscherwasserausbrüche zunimmt.93 Die Böden und Substrate werden durch das Auftauen von Permafrost instabiler; das Risiko von Massenbewegungen in Gebirgen steigt.94 Das Auftauen des Permafrosts hat weitere Konsequenzen: Das im Permafrostboden gebundene organische Material kann zersetzt werden – was wiederum die Freisetzung von CO2, Methan und Lachgas bedeutet, wodurch die Treibhausgaskonzentration erhöht wird. Aktuell trägt Methan aufgrund seiner hohen Wirkung (25-mal so wirksam wie CO2) mit rund 20 % zum anthropogenen Treibhauseffekt bei. Es wird vermutet, dass im tiefen Permafrost in einigen hundert Metern Tiefe sogar Methanhydrat lagert, das beim verstärkten Aufzehren des Permafrostes ebenfalls ausgasen könnte. Dies gilt auch für das in den arktischen Schelfgebieten vorhandene Methanhydrat. Während es global im Schnitt ab einer Tiefe von 500 Metern nachgewiesen ist, liegt es im arktischen und subarktischen Bereich bei 250 – 300 Metern. Durch die starke Erwärmung in diesen Landschaftszonen könnte es in die Atmosphäre ausgasen, was aber für das 21. Jahrhundert als relativ unwahrscheinlich angesehen wird.
Die Auswirkungen für bewohnte und wirtschaftlich genutzte Gebiete liegen in der Veränderung der Stabilität des Untergrundes durch Thermokarstprozesse im Tiefland und abnehmende Stabilität der Hänge in stärker reliefiertem Gelände. Daraus ergeben sich Gefahren für technische Einrichtungen wie Gebäude, Transportwege, Bergwerke, Förderanlagen oder Versorgungsleitungen und letztlich die Destabilisierung besiedelter und ökonomisch genutzter Gebiete.
Laut IPCC ist der Meeresspiegel im 20. Jahrhundert um 17 cm gestiegen. Gegenwärtig wird ein rechnerischer Wert von 3 mm pro Jahr angenommen. Der Großteil des Anstiegs mit rund 60 % ist der thermischen Ausdehnung zuzuschreiben. Der Rest wird durch den Schmelzwassereintrag vom Festland erklärt. Mit dem Meeresspiegelanstieg kommt es an vielen Küsten zu einer stärkeren Erosion und v.a. niedrig gelegene Inselstaaten sind in ihrer Existenz bedroht.95
Auch im Bereich der Zerstörung der Ozonschicht und der Anreicherung von Luftschadstoffen in der unteren Atmosphäre sind die Befunde eindeutig. In der Stratosphäre bildet sich in einer dünnen, die gesamte Erde umhüllenden Schicht durch die Reaktion von Sauerstoff mit kurzwelliger Strahlung Ozon. In besonders kalten Polargebieten können stratosphärische Wolken entstehen, sogenannte PSC (polar stratospheric cloud), die als ein Grund für den Ozonabbau gelten. Zusammen mit den vom Menschen eingebrachten FCKW, die sich in den PSC zu den Katalysatorgasen Chlor und Brom aufspalten, verstärkt sich dieser Abbau v.a. über der Antarktis, aber auch in der Arktis und wie sich mittlerweile herausstellt auch in anderen Breitenzonen. Dabei stellt die Ozonschicht eine wichtige Schutzhülle für Organismen dar, da sie schädliche kurzwellige Strahlung abhält.
Die Veränderungen in der Arktis werden auch Auswirkungen auf unsere Klimaküche in den Mittelbreiten haben. Generell kommt es durch den Druck- und Temperaturgegensatz zwischen den Mittelbreiten und der Arktis zu großräumigen Austauschvorgängen und zur Etablierung quasi-stationärer Druckgebilde, die wie das Island-Tief unmittelbar Auswirkungen auf Mitteleuropa haben. Der Druckgradient lässt warme Luftmassen in die Arktis fließen, die fühlbare und latente Wärme transportieren und zusammen mit den ozeanischen Umwälzpumpen die Temperatur wesentlich stärker erhöhen, als es der solaren Einstrahlung entspräche. Die arktischen Gebiete gelten als Wärmesenken in der globalen Zirkulation. Auf ihrem Weg in den hohen Norden werden die europäischen Mittelbreiten ebenfalls mit einem „Wärmeüberschuss“ versorgt.
Es gilt als gesicherte Erkenntnis, dass im weltweiten Durchschnitt menschliches Handeln seit 1750 das Klima erwärmt hat – vorrangig durch den fossilen Brennstoffverbrauch, die Landwirtschaft und eine geänderte Landnutzung. Das heutige Niveau der Treibhausgase (THG) liegt deutlich höher als das natürliche Niveau in den letzten 800.000 Jahren.96 Extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen, Dürren oder heftige Niederschläge sind häufiger geworden und die Intensität tropischer Stürme hat sich erhöht ■ 1.41.
■ 1.41 Veränderung der jährlichen Oberflächendurchschnittstemperatur in °C, 1960–2012 (für die weißen Flächen liegen keine Daten vor).97
Nachweisbar sind mittlerweile zudem Auswirkungen auf Flora und Fauna, die Veränderung der phänologischen Phasen – wie Blattentfaltung, Vogelzug und Eiablage.98 Dadurch beispielsweise muss sich die Landwirtschaft in den hohen und mittleren Breiten der Nordhemisphäre auf frühere Aussaat- und Erntetermine einstellen. Ebenso sind die natürlichen Störsysteme von Wäldern vom Temperaturanstieg betroffen. Feuer und Schädlinge treten häufiger auf und erfordern ein anderes Management. Gleichzeitig verschieben sich die Verbreitungsgebiete von Pflanzen- und Tierarten global polwärts und lokal in größere Höhen. Besonders betroffen sind die arktische und antarktische Flora und Fauna, was weitreichende Störungen in der Nahrungskette verursacht. Grundsätzlich wird vor allem vom Aussterben kleiner und isolierter Populationen bzw. ökologisch hochspezialisierter Arten ausgegangen. Dem steht eine verstärkte Zuwanderung und Ausbreitung gebietsfremder – v.a. wärmeliebender – Arten gegenüber. Der genaue Umfang dieser Entwicklung ist bislang noch nicht abschätzbar.
Und wie die Hitzewelle aus dem Jahr 2003 gezeigt hat, setzen Hitze und Schwüle unserer Gesundheit erheblich zu. Die Vulnerabilität der Bevölkerung in Baden-Württemberg durch Wärmebelastungen wird weiterhin zunehmen. Nach Szenarienanalysen werden hier jährlich zusätzlich 180 bis 400 hitzebedingte Todesfälle befürchtet. Der parallel zu erwartende Rückgang des winterlichen Kältestresses wird die steigenden Gefährdungen durch Wärmebelastungen nicht kompensieren können.100 Hinzu tritt das geänderte Vorkommen und ein sich änderndes Infektionspotential von Krankheitsüberträgern wie Stechmücken und Zecken in einigen Regionen.101 ■ 1.4299. Pollenallergiker erfahren am eigenen Leib, dass die allergene Pollenbelastung in den hohen und mittleren Breiten der Nordhemisphäre bereits tendenziell zugenommen hat.
■ 1.42 Wärmebelastung am 8. August 2003 in Europa.99
Der Klimawandel reduziert sich aber nicht nur auf den Temperaturanstieg. Ebenso evident sind die Veränderungen des Niederschlags. Nur sind diese nicht so eindeutig greifbar und viel stärker durch Unsicherheiten geprägt. Höhere Niederschläge traten u.a. in weiten Bereichen der Mittelbreiten, aber auch in der Sahara auf. Andere Regionen, wie die Mittelmeergebiete sowie weite Teile Südafrikas und Südamerikas haben mit markanten Rückgängen zu kämpfen ■ 1.43.
■ 1.43 Beobachtete Niederschlagsentwicklung für die Landflächen 1901–2010 und 1951–2010.102
In Mitteleuropa weisen alle Modelle darauf hin, dass die Winterniederschläge zunehmen, die sommerlichen jedoch in etwa gleicher Menge abnehmen werden. Dadurch ergibt sich eine stärkere saisonale Akzentuierung.
Die räumliche Analyse des anthropogen induzierten Klimawandels offenbart Gewinner- und Verliererregionen: Besonders betroffen sind die höheren Breiten, die Arktis mit ihrem fragilen Ökosystem und die daran angepasst lebenden Menschen, sowie Bereiche der Antarktis. Für Mitteleuropa und für weite Bereiche der Mittelbreiten ergeben sich aus dem Temperaturanstieg hingegen auch Vorteile: Verlängerte Vegetationsperioden lassen eine breitere Sortenwahl in der Landwirtschaft zu und bedeuten für viele Anbauprodukte eine größere Ertragssicherheit. Andererseits wird die zunehmende sommerliche Trockenheit anderen Anbaufrüchten wie dem Weizen zusetzen. Auch die prognostizierte Zunahme der Extreme kann zu vermehrten Ernteausfällen führen. Trotzdem dürften die positiven Effekte überwiegen. Mildere Winter helfen, Heizkostenrechnungen zu reduzieren, und verlängern ggf. die sommerliche Tourismussaison. Demgegenüber werden die Gebiete, die auf Wintersport setzen, zumindest in den tieferen Lagen mit Einbußen rechnen müssen. Branchen wie die Bauindustrie profitieren von Ausbauprogrammen zum Wärme- und Klimaschutz. Energiekonzerne können profitieren, wenn sie ihren Mix rechtzeitig justieren – innovative Industriebereiche der green technology positionieren sich ganz oben auf der Gewinnerseite. Die negativen Folgen des Klimawandels, etwa die Zunahme sommerlicher Starkregen in Mitteleuropa, lassen sich durch technische Maßnahmen wie Rückhaltebecken kompensieren. Massiv betroffen sind dagegen ganz andere Erdregionen: Bangladesch, zahlreiche Inselstaaten mit geringer Erhöhung und Megastädte in Küstennähe, v.a. in der „Dritten Welt“. Auf der Verliererseite stehen also diejenigen, die zum Klimawandel bisher kaum beigetragen haben und gleichzeitig die geringsten Anpassungskapazitäten aufweisen. Die alten und neuen Hauptverursacher sind dagegen unter den westlichen Industrienationen und den Aufsteigern wie China und Indien zu suchen, die überwiegend zu den Profiteuren zählen. Und selbst die angedachten Austauschmechanismen wie der Emissionshandel bestärken in vielen Bereichen die Ungleichheit ■ 1.44.
■ 1.44 Beitrag zur globalen Erwärmung 1900 – 1999. Die Flächen sind proportional zur CO2-Emission abgebildet.103