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Die Industrialisierung als großer Transformator
ОглавлениеVon unmittelbarer Relevanz für die heutige Situation ist zweifelsohne die Industrialisierung ab 1770. Sie begann zunächst mit der „leichtindustriellen Phase“ mit einem Schwerpunkt auf der Textilindustrie. Auf sie folgte 1830 bis 1890 die schwerindustrielle Phase und 1880 bis 1914 schlossen die neuen Industrien (Elektro-, Chemieindustrie und Maschinenbau) an.51 Ihre aktuelle Fortführung stützt sich auf Mikrosystemtechnik, Biotechnik, IT und Green Economy ■ 1.28.
■ 1.28 In Folge der Industrialisierung kam es zu einem tiefgreifenden sozial-ökologischen Wandel. Neben vielen anderen Facetten bedeutete sie aber v.a. die Ablösung der alten „nachhaltigen“ Energieträger Sonne, Wasser, Holz und Holzkohle sowie Muskelkraft. Links: Beispiel für historische nachhaltige Energienutzung mit Wassermühlen. ■ Rechts: Weltkulturerbe Zeche Zollverein in Essen.
Die Industrialisierung hat nicht nur zu den modernen stofflichen Veränderungen entscheidend beigetragen, sondern epochale Umwälzungen auf den Weg gebracht. In ihrem Kontext erfolgte der folgenschwere Übergang von einer auf regenerativen Energieträgern fußenden Welt zum fossilen Zeitalter, der mit seinen Kohlendioxidemissionen den heutigen anthropogenen Klimawandel auslöste. Hinzu treten eine neue Dimension von Ressourcennutzung, eine steigende, alle Bereiche umfassende Umweltbelastung, die Grundlegung der Mobilität mit Straßen-, Kanal- und Eisenbahnbauten, eine finale Transformation der Landschaft mit einschneidenden Landnutzungsänderungen (z.B. Trockenlegungen von Feuchtgebieten, Begradigung von Flüssen, Landgewinnungsmaßnahmen, Dammbauten), neue Formen der Kommunikation, zudem eine arbeitsteilige Wirtschaftsweise und neue Gesellschaftsmodelle.52 Blackbourn stellt beeindruckend dar, wie in den letzten 250 Jahren aus einer Wildnis von Wasser und Morast eine gezähmte Landschaft wurde – wir sprechen von Deutschland! – und wie Großprojekte wie etwa die Tulla‘sche Rheinkorrektur, die Trockenlegung des Oderbruchs oder die Maßnahmen am Jadebusen als „Krieg gegen die Natur“ verstanden wurden.53 Dies ging einher mit der Ausrottung von Tieren wie Luchs, Bär und Wolf und der Einführung neuer Arten54 ■ 1.29.
■ 1.29 Rhein bei Speyer 1856 und 1999. Im oberen Bild sind die ersten Ansätze des Durchstichs erkennbar, im unteren Bild sieht man, wie sich daraus die Hauptrinne entwickelt hat. Der ehemalige Mäanderbogen ist erhalten geblieben, wurde sogar erweitert und dient diversen Freizeitaktivitäten. Durch die Auskiesung hat sich die Wasserfläche in der ehemaligen Talaue ebenfalls erweitert.55
Und wieder waren es Innovationen, die aus den Kerngebieten in die Welt getragen wurden: die Wasserbaukunst der Holländer oder auch die deutsche Forstwirtschaft waren in der gesamten (kolonialen) Welt gefragt. Durch die Dampfschifffahrt, die Begradigung der Flüsse und den Bau von Kanälen, insbesondere aber durch die Ausweitung der Eisenbahn beschleunigte sich die Zeit. Man brauchte nun nicht mehr 100 Tage für die Umrundung der Welt, sondern nur noch rund 80 Tage. Die Welt wurde kleiner und in diesem Sinne auch flacher. Ein vielschichtiger, komplexer Prozess, der sich über verschiedene Phasen der Geisteshaltung – vom sonnigen Optimismus der Aufklärung im 18. Jahrhundert über den unerschütterlichen Glauben an Wissenschaft, Technik und Fortschritt des 19. Jahrhunderts bis zur positivistischen technokratischen Dominanz des 20. Jahrhunderts – hinzog. Neue technische und wissenschaftliche Entwicklungen, Einsichten und Theorien prägten diese Phase ganz entscheidend, was in innovativen Ansätzen im Vermessungswesen, der Wasserbautechnik, der Kartographie und vielen anderen Bereichen Ausdruck fand. Information und Wissen erlangten eine eigene Wertschätzung. Zu den wohl grundlegenden neuen Theorien zählt die Evolutionstheorie von Charles Darwin aus dem Jahr 1859 und die erste Definition des Begriffes „Ökologie“ im Jahr 1866 von Ernst Haeckel als „die gesammte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Aussenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle ‚Existenz-Bedingungen‘ rechnen können“.
Die neue Zeit brachte vielfältige stoffliche Belastungen und Hinterlassenschaften, die sich als spezifischer Fingerabdruck nachweisen lassen. Hinsichtlich der Biodiversität erfolgte eine Beschleunigung des Artenaustausches und aus der jeweiligen regionalen Sicht eine Zunahme invasiver Arten.