Читать книгу Global Change - Rüdiger Glaser - Страница 7
ОглавлениеDer „Globale Wandel“ kann als der bis dato tiefgreifendste und umfassendste Transformationsprozess aufgefasst werden, der vom Menschen ausgelöst wurde und in einem noch nicht abschätzbaren Maße auf ihn und das Erdsystem rückkoppelt. Die zentrale Frage ist dabei, inwieweit und in welchen Bereichen der Mensch das System Erde derart überstrapaziert, dass seine ureigene Existenzgrundlage, sein „Lebenssicherungssystem“ – basierend auf sauberer Luft und Trinkwasser, fruchtbarem Boden, einer vielfältigen Pflanzen- und Tierwelt, gesunder und ausreichender Nahrung, nachhaltiger Energieversorgung und Rohstoffsicherung – gefährdet ist. Doch damit nicht genug. Neben diese Versorgungs- treten ebenso drängende Entsorgungsfragen: Müll, Altlasten, devastierte Landstriche, belastete Bäche und verbaute Flüsse, dead zones in Meeren und Ozeanen, Smog und Feinstaubbelastung zählen zu den virulenten Auswüchsen der unangepassten Eingriffe und Begehrlichkeiten des Menschen. Infolgedessen sind der Verlust an Biodiversität, Klimawandel, Landschaftsdegradation, Desertifikation sowie die Veränderung der Stoffkreisläufe von Ozon, Kohlenstoff und Stickstoff zu drängenden Fragen unserer Zukunftsfähigkeit geworden.
Bemerkenswert sind das Ausmaß und das rasante Tempo, in welchem diese Veränderungen seit Beginn der Industrialisierung voranschreiten und wie sie sich vor allem in den letzten 50 Jahren beschleunigt haben. Der menschliche Eingriff in das System Erde ist so grundlegend und umfassend, dass für die letzten 200 Jahre begrifflich eine neue geologische Epoche eingeführt wurde: das Anthropozän.
Unübersehbar gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Störungen und Belastungen, die sich räumlich differenziert darstellen. In vielen Regionen lässt der Globale Wandel eine Fortführung des bisherigen Lebensstils bereits nicht mehr zu. Auf lokaler und regionaler Ebene sind diese Auswirkungen schon lange bekannt, weil sie drastisch und unmittelbar zu spüren sind. Ihre kumulative Wirkung auf die globale Dimension ist jedoch erst in den letzten beiden Jahrzehnten in den Fokus gerückt. In anderen Regionen werden die negativen Folgen scheinbar „weggesteckt“. Diese verfügen über die finanziellen, technischen und handelspolitischen Möglichkeiten, um die „schmutzigen Teile“ ins Ausland zu verlagern.1 Paradoxerweise wird dieses Handeln in den entsprechenden Regionen garniert mit einem sauberen Image, sind Umweltstandards längst etabliert und schlüssige Konzepte umgesetzt.
Es geht nicht darum, eine neue Doomsday-Version zu entwickeln oder die apokalyptischen Reiter zu satteln, schließlich gibt es gute und richtige (Fort-)Schritte im Bereich der wissenschaftlichen Erkenntnis, in neuen Kooperationen zwischen Wissenschaft und Politik, der Umweltbewegung im Konnex von Menschenrechten sowie der Umsetzung der Charta der Vereinten Nationen. Es existieren gangbare Konzepte, wie das der Nachhaltigkeit, die wegweisend sind. Der Einfluss von wirtschaftlichem Handeln, von Politik und den Werthaltungen der Einzelnen auf die Umwelt wird immer besser verstanden und kann klarer denn je adressiert werden. Global Change offenbart Verursacher und Betroffene ebenso wie die Verlierer und Gewinner, die am meisten Verwundbaren und die Widerstandsfähigsten. Während in einigen Regionen der Erde ein bisher unerreichter Lebensstandard geführt wird, bricht an anderer Stelle die grundlegende Lebenssicherung wie Ernährung und Gesundheit aus eben diesem Grunde weg – Fernwirkungen, die neue Steuerungssysteme erfordern. Neben dieses räumliche Auseinanderfallen tritt oft eine zeitliche Entkopplung, d.h., zwischen dem Verursachermoment und den Auswirkungen liegt eine weite zeitliche Spanne, so etwa zwischen dem Freisetzen von Treibhausgasen seit der Industrialisierung in den westlichen Industrienationen und den aktuell spürbaren Auswirkungen wie z.B. in Bangladesch. Diese Einsichten erfordern eine neue Wahrnehmung und eine neue Verantwortung im Denken und Handeln.
Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat der Mensch Techniken, Stoffe und Verhaltensmuster entwickelt, die einen Kollaps des Erdsystems herbeiführen könnten, welcher ihm selbst die Lebensgrundlagen entziehen würde, wenn keine Abkehr vom „weiter so“ vollzogen wird. Der Mensch ist für sich selbst zum größten Daseinsrisiko geworden. Es ist eine zentrale Menschheitsaufgabe, dieses Paradox aufzulösen.
Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass Veränderung, Wandel und Dynamik schon immer ein elementarer Bestandteil des evolutionären Prozesses im Erdsystem waren – auch ohne den Menschen. Es gab schon immer kurz-, mittel- und langfristig wirksame Störungen und Veränderungen wie Klimawandel, Feuer, Rutschungen, Erdbeben, Vulkanausbrüche und Meteoriteneinschläge, Seuchen oder Schädlingskalamitäten. Sie haben zu regionalen und globalen Systemveränderungen geführt, in Dimensionen, die lange Zeit unterschätzt wurden und weit über das hinausgehen, was wir seit dem Auftreten des Menschen kennen. Dabei kam es häufig zum Aussterben von Arten. Auch die Existenz des Menschen wäre in diesen Zeiten nicht möglich gewesen. Die Erforschung dieser Zustände kann als Blaupause realitätsnaher Szenarien dienen für das, was vor uns liegt. Allerdings sucht die Dynamik, mit welcher der Mensch sich derzeit sein eigenes Lebenserhaltungssystem unterminiert, seinesgleichen. Selbstverständlich kommt darin eine zutiefst anthropozentrische Sichtweise zum Ausdruck, aber in diesem Fall ist sie verständlich und notwendig.