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Archäo-mining – Ein Gedankenspiel
ОглавлениеWas werden Archäologen in tausend Jahren von unserer Zeitepoche wahrnehmen? Was werden sie als spezifisch und prägend erachten? – Gehen wir diesem Gedanken einmal nach.
Sicherlich werden sich die Archäologen durch ein Gewirr von Datenschichten und kryptischen Datenformaten der gigaschwangeren Clouds arbeiten, die sich im Cyber Space etabliert haben. Standorte, Signale, relationale Merkmale – sie lassen sich einfangen, müssen entwirrt und gedeutet werden. Datamining – welch eigenartige Geschichten werden dabei zutage kommen? Virtual History, Persönlichkeitsprofile, Zahlenkolonnen, Digits, Adds und Apps, IO-kodierte Kolonnen, Datenbanken, Datenhighways – gibt es eine Ethik für Datenfriedhöfe, dürfen diese reanimiert werden? Undeutbare zeitliche, inhaltliche und räumliche Muster werden sich offenbaren. Afrika abgehängt, während sich dichte Verbindungen und Knoten zwischen den globalen Zentren offenbaren. Backups im Byte und Bit Stream, gespiegelte Welten. Was bleibt von den Banalitäten der sozialen Netzwerke, welche Rückschlüsse lassen sie auf uns zu? Die Überhöhung des Alltäglichen, Selbstinszenierung als gesellschaftlicher Fingerabdruck.
Unterstellen wir, dass Archäologen neben einem virtuellen Spaten auch weiterhin analog mit Schaufel, Spachtel und Besen Grabungen durchführen, Stratigraphien ableiten und Leithorizonte definieren. Dann gäbe es eine untere Schicht mit ersten metallischen Rückständen in den Sedimenten, etwa Kupfer und Zinn. Ersteres, weil es flächenhaft im Weinbau verwendet wurde und dann für Dachbedeckungen, Dachrinnen und Abflussrohre eine weite Verbreitung fand. Darüber eine bunte Mischung aus neuen Legierungen und undefinierbaren Beimengungen. Getoppt von einem dichten Punktmuster ehemaliger Müllplätze – Archäologen lieben Latrinen, Müll-, Opfer- und ähnlich unschöne Schauplätze. Falls diese nicht schon wieder als lukrative Rohstoffquelle 2.0 ausgebeutet sind. Ein sonderbar geradliniges, von wallartigen Aufschüttungen begleitetes Gerinnenetz, ergänzt durch Röhrensysteme – offensichtlich eine globale Wasserkultur58 ■ 1.31.
■ 1.31 Jährliche weltweite Produktion ausgewählter Metalle von 1700 bis 1983.58
Als nächste Schicht ein massiver Plastikhorizont und einige fast ubiquitär vorhandene Beimengungen an magischen Schriftzügen, v.a. Coca-Cola – auf Flaschen, Dosen, Hauswänden, selbst in Toreinfahrten, auf Kalendern, analog und digital, gesprüht, gemalt, modelliert. Das muss eine zentrale Gottheit gewesen sein, der man in der Mensa in Freiburg ebenso huldigte wie in Agadez in der zentralen Sahara, in Chennai wie in China. Besondere Aufmerksamkeit verdienen ihre zeitliche Staffelung und die etwas eigenartigen Muster. In Mitteleuropa gab es für einige Jahrzehnte eine klar gezogene Linie mit einem kleineren vorgelagerten Heiligtum, quasi als Vorposten und nur eine kleine Gruppe im Nahen Osten mit konkurrierendem Pepsi-Kult erwies sich als immun. Zwei Kulte, Religionen gar – Clash of Cultures? Was wäre geeigneter, als Leitfossil unserer Epoche angesehen zu werden? ■ 1.32.
■ 1.32 Coca-Cola – das „Leitfossil“ unserer Epoche – als Garagenbemalung in Chennai, Indien (links), ■ Truck im Ursprungsland USA (rechts). Der Konzern bzw. die Marke zählt zu den wertvollsten der Welt.
Und dann eine kleine Sensation: klick, klick, klickklickklick. Zwischengelagert ein eigenartiges strahlendes Signal. Offensichtlich war man einige Jahrzehnte einem besonderen Strahlenkult verfallen. Einige tief vergrabene Fässer gelten als direkte Hinterlassenschaften, manche sind in eisernen Zigarren auf dem Meeresgrund verortet, andere in Silos und Erdbunkern, einige um pazifische Atolle herum nachweisbar. Dann der Übergang in eine bleiangereicherte Schicht, die abrupt aussetzt, ein Hiatus.59 Nach intensiven Recherchen wird sich herausstellen, dass die Verwendung von verbleitem Benzin verboten wurde. Was sagt uns das? Eine Epochenwende, Auseinandersetzungen, ein kultureller Bruch, Zuwanderer? Woher? Diffusion oder Ablösung? Ab einer noch genauer zu definierenden Zeit erscheinen die Hinterlassenschaften eigenartig sortiert mit neuen Mustern von organischen Resten, Kunststoffen und Plastikresten, Glas, Papier und Eisen – es müssen eindeutig die wichtigsten Rohstoffe gewesen sein. Kleine farbenfrohe Geräte haben dann in einem einzigartigen Siegeszug die ganze Welt erobert. Kein Winkel ist ausgelassen, ohne Ausnahme. Was die möglicherweise als Bildschirme zu deutenden Fenster zu verheißen mögen, wird demnächst auf einer Konferenz diskutiert werden, die eigens zu diesem Thema einberufen wurde. Es gibt neue, interessante Hypothesen. Von Bildsprachen, einer eigenen Kommunikationskultur wird gemunkelt, dominiert vom Protagonisten werden sie als die eigentlichen Quellen der neuen Informationsära gesehen. Andere sprechen von einem eigenartigen Lichtkult. Bei Massenkundgebungen trafen sich offensichtlich Tausende, um in Richtung seltsam aufragender Podeste Lichtsignale zu funken. Da muss noch mehr dahinterstecken.