Читать книгу Global Change - Rüdiger Glaser - Страница 26

Was uns reich macht – Biologische Vielfalt

Оглавление

Eine weitere Facette des Globalen Wandels ist der Verlust der biologischen Vielfalt. Heute ist diese durch das Verschwinden und die Degradation von Ökosystemen, ihre zunehmende Fragmentierung und ein immer noch voranschreitendes Artensterben gekennzeichnet – und damit auch einer Reduktion des natürlichen Genpotenzials.104 Hinsichtlich der Reduktion des Artenreichtums kommt es seit dem Auftreten des Menschen zu einer Art „Gegenbewegung“: der massiven Verbreitung fremder, invasiver Arten, mit unterschiedlichen Effekten105 ■ 1.45.


1.45 „Finde die Invasoren. Du musst sie entdecken, bevor sie entkommen und unser Land erobern.“ Martialische Hinweistafel zur Achtsamkeit gegenüber invasiven Arten wie sie durch „Global Shipping“ nach Neuseeland verbracht werden.

Insgesamt geht die Degradation der Biosphäre mit einem Verlust von Ökosystemfunktionen und Ökosystemdienstleistungen einher. Der Druck ist dort am größten, wo der Mensch besonders intensiv auf die Umwelt einwirkt, also in den wirtschaftlich erfolgreichen, aber auch den sehr dicht besiedelten Regionen, wobei wiederum v.a. diejenigen mit einer bereits lang andauernden Nutzungsgeschichte betroffen sind. Zudem wirkt sich der Klimawandel vielfältig auf die Biosphäre aus. Er führt zu bereits wahrnehmbaren räumlichen Veränderungen; er beeinflusst die Vegetationsperiode und hat Auswirkungen auf Wuchsleistung und Artenzusammensetzung.106

Bei der Einschätzung der Artenvielfalt trifft man auf überraschende Unwägbarkeiten: Schätzungen der Artenzahl gehen davon aus, dass die rund 300.000 bekannten Pflanzenarten nur einen Bruchteil repräsentieren: Bis zu 14 Millionen Arten werden angenommen.107 Vor allem die Rodung von Primärwäldern bedeutet so gesehen oftmals einen Verlust von Arten, die man noch gar nicht kannte. Damit einher gehen auch der Verlust von Genpotenzial und von Widerstandsfähigkeit, denn hoch diverse Systeme haben sich als resilienter erwiesen. Mit den Arten gehen auch die entsprechenden natürlichen Inhaltsstoffe und damit auch deren medizinisch-pharmazeutische Nutzbarkeit verloren Tab.1.2.

1.2 Geschätzte Anzahl der beschriebenen Arten107


Von den bekannten Pflanzenarten werden mehr als 30.000 als essbar eingestuft.108 Lediglich 7000 werden tatsächlich als Nahrungsmittel genutzt und nur 120 haben eine größere Bedeutung im Anbau. Letztlich zeichnen von diesen 120 Kulturpflanzen 90 Pflanzen für 5 %, 21 Pflanzen für 20 % und nur 9 Pflanzen für 75 % der menschlichen Versorgung verantwortlich! Der Verlust an Artenvielfalt beinhaltet gleich mehrere Paradoxien: Wir vernichten nicht nur eine immer größere Zahl von Arten, die wir überwiegend noch gar nicht kennen, wir vereinfachen und uniformieren auch noch den globalen Speisezettel in bedrückender Art und Weise.

Ein zentrales Thema der biologischen Vielfalt ist die Entwaldung: Waldflächen bedecken heute nur noch rund 30 % der Landoberfläche.109 Aus dem All kann man die bizarren, fischgrätenartigen Muster und skurrilen Karos und Streifen besonders gut erkennen, über die sich die Rodungen in den Wald fräsen. Global betrachtet ist von der ursprünglichen Waldfläche nur noch etwas mehr als die Hälfte vorhanden. Die größten Waldverluste weisen in historischer Perspektive Europa und der Nahe Osten auf. Weitere Schwerpunkte liegen in Indien und China, aber auch in den östlichen Regionen Nordamerikas sowie an den Randbereichen der tropischen Regenwälder in Afrika. Hinzu kommen massive Verluste in Südamerika, auf Madagaskar und den Philippinen sowie in Teilen von Australien und Neuseeland.

Aktuell bilden die borealen Waldländer Nordamerikas, Skandinaviens und Russlands (einschließlich Sibiriens) mit etwa 13,7 Millionen km2 das flächenmäßig größte globale Waldökosystem.110 Die Ausdehnung der tropischen Regenwälder wurde im Jahr 1950 auf 16 bis 17 Millionen km2 geschätzt, also etwa 11 % der Landfläche der Erde, doch waren schon 1982 davon nur noch 9,5 Millionen km2 übrig. Drei Jahre später musste die Vernichtung einer weiteren Million Quadratkilometer bilanziert werden. Der gesamte Waldflächenverlust der Erde beläuft sich laut Studien der Food and Agricultural Organization (FAO) der Vereinten Nationen jährlich auf etwa 13 Millionen ha, was etwas mehr als einem Drittel der Fläche Deutschlands entspricht. Davon sind 6 Millionen ha Primärwald, also vom Menschen weitgehend unberührte Urwälder ■ 1.46.


1.46 Die typischen, auf Satellitenaufnahmen gut zu erkennenden „Fischgrätenmuster“ sind das Ergebnis der Rodungsaktivitäten, wie sie entlang von Haupt- und Nebenstraßen in den primäreren Regenwald gefräst werden. Quelle: Dech, S., R. Glaser & R. Meissner (2008): Globaler Wandel. Die Erde aus dem All.

Solche Primärwälder gibt es nur noch wenige: Teile der borealen Nadelwälder in Nordamerika, Skandinavien und Sibirien, Reste der tropischen Regenwälder im Amazonas- und im Kongobecken sowie in der indonesisch-ozeanischen Inselwelt. Hinzu kommen kleinere Flächen in schwer zugänglichen Gebirgsbereichen. Der Primärwaldanteil an der verbleibenden Waldfläche ist in Südamerika mit 65 % noch recht hoch, in Nordamerika mit 44 % und Russland mit 43 % schon deutlich geringer; in Afrika liegt er bei 23 % und in Asien bei 20 %. In Zentralamerika sind es gerade noch 18 %; verschwindend gering ist der Anteil mit 1 % in Europa. Dort wurden die ursprünglichen Wälder zum Teil schon von den mediterranen Hochkulturen der Antike unwiederbringlich verändert und zerstört, später auch von den imperialen Seemächten wie Großbritannien, Spanien, Portugal und den Niederlanden. Mit Beginn der großen Rodungen im Mittelalter setzte der umfassende Waldverbrauch auch in Mitteleuropa ein und verstärkte sich mit der Industrialisierung noch einmal; der Holzverbrauch für den Bergbau, den Schiffs- und Häuserbau sowie die Glasindustrie führten vielerorts zu riesigen Kahlschlägen.

Auch die Gebirgswälder, die ursprünglich mehr als ein Viertel der gesamten Waldfläche der Erde ausmachten, erleiden derzeit erhebliche Verluste. Es werden pro Jahr rund 2 Millionen ha Gebirgswälder in den Tropen und Subtropen zerstört, vor allem in Afrika. Diese Entwicklung ist umso dramatischer, als die Tropenwälder die mit Abstand größte Artenvielfalt der Erde aufweisen und allein als Genpool von unschätzbarem Wert sind. Auf einem Hektar Regenwald gedeihen mehr als 500 verschiedene Baumarten, das sind zehnmal mehr als in allen europäischen Wäldern zusammen. Nach einer neuen Analyse sind weltweit seit dem Jahr 2000 2,3 Millionen km2 Wald verloren gegangen. Dem stehen lediglich 800.000 km2 Aufforstungsfläche gegenüber. 111

Analysiert man die Gründe, lassen sich ganze Faktorenbündel bestimmen: zunächst traditioneller Wanderfeldbau, darauf folgend die intensivierte Binnenkolonisation mit der Ausweitung von Agrarland, Infrastruktur und Siedlungen sowie im besonderen Maße die kommerzielle Holzwirtschaft, oft angetrieben von Armut, Profitstreben und steigendem Energieverbrauch. An die Stelle der Subsistenzbauern treten heute große, postkoloniale Plantagen internationaler Konzerne, die sich zunehmend an allen Waldregionen der Erde bedienen und dabei ein perfides Spiel von Nachhaltigkeit in der einen Region mit destruktivem Gebaren an anderer Stelle kombinieren. Weitere Faktoren sind gigantische Staudammprojekte und Erschließungsmaßnahmen ■ 1.47.


1.47 Der Bedarf an Brennstoff. Links: Auf Fidschi sind Brandrodung für die Subsistenzwirtschaft sowie der Einschlag von Tropenholz für den Export einige der Gründe für den Rückgang der Wälder. ■ Rechts: Holzkohle auf dem Markt in Dar es Salaam, Tansania.

Wälder sind die Hauptproduzenten von Biomasse und die wichtigste CO2-Senke auf der Landoberfläche. Sie spielen eine wichtige Rolle im Wasserhaushalt, wirken thermisch ausgleichend, sind bedeutsam für den Bodenschutz und erfüllen vielfache Funktionen als Wirtschafts- und Erholungsraum. Der Rückgang der großen globalen grünen Lungen des Boreals und der tropischen Regenwälder ist eng mit der Frage der globalen Kohlenstoffbilanz verknüpft. Werden sich die borealen Senken des Kohlenstoffs in Form von Streuauflagen, Mooren und dem Holzbestand selbst in Quellen wandeln? Dies hätte ungeahnte Folgewirkungen auf den Kohlenstoffgehalt der Atmosphäre. Das Amazon Dieback Scenario ist zwar nicht unumstritten, doch besteht durchaus die Möglichkeit, dass wärmere Temperaturen und Wasserstress ein so flächenhaftes Waldsterben im Amazonasgebiet zur Folge hätten, dass von dort keine Absorption, sondern im Gegenteil Emissionen zu erwarten wären.112

Den voranschreitenden globalen Waldverlusten stehen jedoch auch Regionen gegenüber, die einen leichten Zuwachs aufweisen, beispielsweise in Deutschland und den USA. In Nordamerika betrug die Waldfläche vor der europäischen Besiedlung 405 Millionen ha, von denen 1982 nur noch 301 Millionen ha übrig waren. Inzwischen sind es immerhin wieder 303 Millionen ha. Dramatisch sind hingegen die Verluste an Feuchtgebieten. Ihr Anteil hat sich seit der europäischen Besiedlung mehr als halbiert. Doch Flächenbilanzen allein genügen nicht für eine Bewertung, sagen sie doch nichts über deren Qualität aus. Artenarme Sekundärwälder mit hohen Anteilen von fremden Baumarten oder gar Plantagen sind kein Ersatz für natürlichen Primärwald. Auffällig ist dabei, dass inzwischen in den gemäßigten Breiten zunehmend Formen nachhaltiger Waldbewirtschaftung zur Anwendung kommen, in den Regenwäldern der großen tropischen Becken hingegen noch immer ausbeutende oder gar destruktive Nutzungsformen dominieren ■ 1.48.


1.48 Landdegradation in Trockengebieten und Entwicklung der Waldflächen. Neben den Hot Spots der Entwaldung sind auch Regionen ausgewiesen, in denen in den letzten Jahren wieder eine Zunahme von Waldflächen zu erkennen ist.113

Neuerdings rücken die Wälder im globalen Spiel um Ressourcen als renditeträchtiges Anlageobjekt wieder in den Fokus. Sie zählen zu den Schlüsselressourcen der Weltwirtschaft. Kein Wunder, denn weltweit steigt der Holz- und Papierverbrauch. Die Nachfrage v.a. nach billigen Produkten wächst und treibt die Zerstörung der verbliebenen Urwälder mit an. Dabei hat sich China als globale Drehscheibe etabliert. Zwischen 1995 und 2004 hat sich der Holzimport nahezu verfünffacht, 2004 gingen fünf von zehn gehandelten tropischen Bäumen ins Reich der Mitte. Ein Großteil des importierten Holzes wird zu Sperrholz, Möbeln und Papier verarbeitet und in die Abnehmerländer nach Europa, USA und Japan exportiert. Die EU-Importe sind zwischen 1995 und 2004 auf das Fünffache angestiegen, die Sperrholz-Importe auf das über 100-Fache. Weltweit wichtigster Konsument, vor allem von Tropenholz, bleibt jedoch Japan.114

Global Change

Подняться наверх