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Die Bedrohung der Meere
ОглавлениеMeere und Ozeane sind tief in unserer Gefühlswelt verankert. Wer ist nicht angerührt von der schier endlosen Weite, von lichtgefluteten Sonnenuntergängen und dem Tosen der Brandung? Doch derlei Szenerien werden immer häufiger getrübt: grünlicher Schleim statt azurblauer Tiefe, schmutzig-gelbe Schaumkronen statt weißer Gischt, Armeen von Quallen und Müll als Treibgut ■ 1.50.
■ 1.50 Einsame Strände, Tropenfeeling. Die Fernreise zählt für viele zu den Wünschen ersten Ranges. Links im Bild auf den Seychellen.
Durch erhöhten Nährstoffeintrag aus der Landwirtschaft werden nicht nur Seen, sondern auch die Meere überdüngt. Folge sind „Todeszonen“ (dead zones), sauerstofffreie Regionen, die infolge von Eutrophierung und Algenblüten entstehen. Nach wie vor werden Abfälle ins Meer entsorgt, spülen Öltanker ihre Tanks durch oder verklappen Schiffe giftige Substanzen im Meer. Einem Mahlstrom gleich durchziehen Plastikteile die Ozeane.121 Deren Reste sind mittlerweile in der Nahrungskette, aber auch als Beimengung am Strand nachweisbar. Hinzu treten als Folge des Klimawandels Erwärmung und Versauerung. Daneben sind die Rohstoffextraktion wie der Run auf Methanhydrat und Manganknollen und die Schifffahrt selbst zur Belastung geworden. Die Ölkatastrophe infolge der Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko am 20. April 2010 war die schwerste Umweltkatastrophe dieser Art in der Geschichte – und zeigt die enge Verwobenheit bzw. Kritikalität von Rohstoffnutzung und Umweltgefährdung überdeutlich. Lediglich 4 % der Meere – so schätzt man – sind heute frei von anthropogenen Beeinflussungen.122 Das Verhältnis von uns Menschen zum Ursprung des Lebens ist überkritisch ■ 1.51, 1.52.
■ 1.51 Algenpest in der Ostsee 2006.123
■ 1.52 Korallenriffe sind in ihrer Verbreitung meist an die 20°-C-Isotherme der mittleren jährlichen Meeresoberflächentemperatur gebunden, wohingegen Tang außerhalb dieser Zone anzutreffen ist.124
Ganz massiv beeinträchtigt der Mensch eine seiner wichtigsten Nahrungsquellen: die marinen Fischbestände, die für rund zweieinhalb Milliarden Menschen die Grundlage ihrer Proteinversorgung bilden. Um 1850 lag der Fischfang bei rund 2 Millionen t; nur 100 Jahre später stieg er auf 17 Millionen t, mit zusätzlichen 2 Millionen t aus Aquakulturen – und 1995 waren die Fänge bereits auf 91 Millionen t und die Erträge aus Aquakulturen auf 21 Millionen t gestiegen. In den letzten Jahren stagniert die gesamte Fischproduktion der Welt bei rund 130 Millionen t pro Jahr, wobei der Anteil des gefangenen Fisches zugunsten von Aquakulturen leicht zurückgeht. Viele Fischarten sind inzwischen aus ihren angestammten Gründen verschwunden. Um etwa die Population des Nordseeherings konstant zu halten, wird heute eine Fangempfehlung von 300.000 t pro Jahr angegeben, was in etwa der Fangquote von 1870 entspricht – und in der praktischen Umsetzung illusorisch ist. Dabei ist die Fangmenge des Nordseeherings bereits zweimal, nämlich 1980 und Ende der 1990er Jahre, eingebrochen. Dass auch der Dorsch, eine typische kaltwasserliebende Fischart, in den letzten Jahren verschwunden ist, hängt hingegen mit der Erwärmung der Nordsee zusammen; er wird nach und nach durch Arten ersetzt, die an wärmere Temperaturen angepasst sind ■ 1.53.
■ 1.53 Oben: Marine „Todeszonen“: Hot Spots der Meeresverschmutzung.124 ■ Unten: Reichhaltiges Angebot von Krustentieren im Pike Place Market in Seattle, USA.
So wird heute vermehrt auch die Tiefsee befischt – und Arten, die früher unbekannt waren, wie der Patagonische Zahnfisch, gelten als Delikatesse. Doch Tiefseefische wachsen grundsätzlich sehr langsam und erreichen die Geschlechtsreife erst sehr spät, oft mit über 20 Jahren. Und sie sind an spezifische Lokalitäten der Tiefsee gebunden: unterseeische Plateauberge, die sogenannten Seamounts. Auch die Art der Befischung hat Auswirkungen auf die Nahrungskette. Grundsätzlich wurden die großen Fische zuerst gejagt, dann folgten die kleineren. So haben sich im Laufe der Jahre Gewicht und Größe des angelandeten Fisches erheblich verringert.
Auch die Fangtechnik hat sich gravierend gewandelt. Um 1640 verfügte die holländische Heringsflotte über 700 bis 800 Fangboote, die von bis zu 12.000 Seeleuten betrieben wurden. Der jährliche Fang betrug rund 50.000 t. Dies entspricht ziemlich genau der Menge, die ein einziger moderner Trawler heute mit einer achtköpfigen Besatzung anlanden kann. Allerdings ist der Profit in den letzten Jahren trotz effizienter Technik gesunken. Dies hat zu erheblichen Veränderungen in der Struktur der Fischerei geführt: Fangflotten aus südlichen Ländern versorgen die Absatzmärkte im Norden. Nationen wie Bangladesch, aber auch Hongkong oder Japan verfügen mit ihren großen industriellen Trawlern über die notwendige Fangkapazität, um weltweit zu agieren.
Besonders stark lastet der Druck der menschlichen Einwirkung auf den Kontinentalschelfen mit einer Wassertiefe von weniger als 200 m. Zwar machen diese nicht einmal 7 % der Ozeanfläche aus, stehen jedoch aufgrund der ungleichen Verteilung der Fischbestände im Meer für mehr als 90 % des globalen Fischfangs. Die direkte Überfischung, die Degradation und Zerstörung der maritimen und der Küstenhabitate, die Ausbreitung nichtheimischer Arten, die Verschmutzung, die Exploration von Öl und Gas sowie die Entsorgung von Müll und toxischen Stoffen sind wesentliche Faktoren, durch die diese bedeutsamen Areale immer stärker belastet werden. Für uns selbst gilt deshalb: Auch beim Fischkonsum ist Maßhalten angesagt und wenn möglich, sollte man sich auf die Fänge von zertifizierten Anbietern beschränken ■ 1.54.
■ 1.54 Haifischgebisse und Muscheln als Deko für zuhause sind für Einheimische eine mitunter lukrative Einnahmequelle, befördern aber auch den Raubbau. Marktstand in Dar es Salaam, Tansania.
Um vor der eigenen Haustür zu kehren: Riesige Gebiete des Nordseebodens sind heute nichts mehr als öde Unterwasserwüsten. Mit Schleppnetzen regelmäßig abrasiert, geben sie ein Beispiel von mehrdimensionaler politischer Unfähigkeit. Dies umso mehr, als dass die Nordsee ein vergleichsweise überschaubares Nebenmeer ist und von den reichsten und technologisch wie auch politisch fortschrittlichsten Ländern der Erde gesäumt wird. Wenn diese schon nicht in der Lage sind, bei allem Wissen und allen monetären und technischen Möglichkeiten eine derartig ökologisch destruktive Verunstaltung zu verhindern, dann haben es die riesigen und von vielen politisch instabilen und technologisch wie auch wissenschaftlich weniger potenten Anrainern gesäumten Weltmeere umso schwerer.