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Artemis und Kallisto

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Apollons Schwester Artemis, die Göttin der Jagd, wurde von den Römern mit Diana gleichgesetzt.35 Ursprünglich war sie sicher eine vorgriechische Muttergottheit. Sie wurde in ihrem Tempel in Ephesos, der zu den ›sieben Weltwundern‹36 gehörte, mit vielen Brüsten dargestellt. Als Jungfrau half sie den werdenden Müttern bei der Geburt.

Gemeinsam mit ihrem Bruder bestrafte sie den Riesen Tityos. Als die schwangere Leto noch nach einem Geburtsplatz suchte, kam sie nach Panopeus, wo der Unhold versuchte, die Göttin zu vergewaltigen. Die Geschwister töteten später den Frevler; und Zeus bestimmte, er müsse für alle Zeiten in der Unterwelt leiden. Hier lag Tityos an den Boden gefesselt, sein gewaltiger Körper bedeckte neun Morgen Land, zwei Geier saßen ihm links und rechts zur Seite und zerhackten seine Leber, die mit jedem Neumond nachwuchs.

Meist sah man Artemis und ihre Gefährtinnen, von denen sie ebenfalls Jungfräulichkeit verlangte, auf der Jagd, aber keine war ihr so ans Herz gewachsen wie die Nymphe Kallisto.37 Einst ruhte die während der Mittagshitze auf einer duftenden Wiese, als Zeus die Ermüdete gewahrte und zu sich sprach:

»Diesen Raub hier erfährt Hera gewiss nicht. Hört sie doch davon, lohnt er schon einen Streit.«

Sogleich nahm der Göttervater Artemis’ Gestalt an, begab sich zu dem Hain und begrüßte die Schöne:

»O Jungfrau, Teil meines Gefolges, sage mir an, wo du gejagt und was du erbeutet hast.«

»Sei gegrüßt, herrliche Gottheit«, antwortete die Keusche und erhob sich ehrfürchtig vom Rasen, »die du größer als Zeus selbst bist.«

Lächelnd sah der Kronide sich selbst vorgezogen und küsste sie – heftiger als eine Jungfrau es getan hätte. Kallisto wollte in den Wald ausweichen, doch Zeus ließ es nicht zu, sondern umschlang sie und gab sich schließlich zu erkennen. Kallisto wehrte sich verzweifelt – soviel einem Weibe nur möglich ist – doch welches Mädchen könnte schon Zeus widerstehen, ja wer überhaupt? Als er sie bezwungen hatte, stieg der Gott zum Olymp, doch der Gedemütigten blieben der Hain und die wissenden Bäume verhasst.

Da kehrte Artemis von der Jagd zurück und rief ihre Freundin zu sich. Doch Kallisto fürchtete, erneut getäuscht zu werden und flüchtete. Erst als sie andere Nymphen gewahrte, die Artemis begleiteten, fügte sie sich in die Schar ein. Es fiel ihr schwer, die Schuld nicht mit Blicken zu verraten, sie hob kaum ein Auge vom Boden und ging nicht wie bisher an der Seite der Göttin, sondern am Ende des Zuges. Die Nymphen, so sagt man, errieten alle, dass Kallisto ihre Unschuld verloren hatte, nur die keusche Artemis nicht.

Viele Monate später führte die Göttin ihr Gefolge zu einem kühlen Hain an einem Bach und rief:

»Kein Zeuge lauert hier. Kühlen wir unseren nackten Leib mit dem klaren Nass!«

Alle entledigten sich ihrer Kleidung. Nur Kallisto errötete und versuchte zu entkommen, doch man entwand ihr die Hüllen. Sie deckte ihre Hände vor den angeschwollenen Schoß, aber ihre Schande wurde offenbar.

»Verlasse uns«, entrüstete sich Artemis, »entweihe nicht den heiligen Quell!«

Von der Göttin verstoßen, irrte die Nymphe durch die Wälder und gebar schließlich Arkas. Doch jetzt traf sie Heras Rache. Sie raubte Kallisto die Gestalt, durch die sie ihrem Gatten gefallen hatte, und verwandelte sie in eine Bärin. Doch ihr früherer Charakter blieb in dem Tier erhalten. Sie hob oft flehend die Pranken zum Himmel, um mit Bitten das Gemüt des großen Zeus zu rühren, doch ihre Kehle brachte nur ein zorniges Brummen zustande.

Eines Tages traf Arkas, er mochte wohl fünfzehn Jahre zählen, während der Jagd auf seine Mutter. Der Jüngling fürchtete die Augen der Bärin, starr nur auf ihn gerichtet, ihren schreckenerregenden Ruf, mit dem Kallisto ihren lang vermissten Sohn begrüßte. Trotz seiner Jugend kannte Arkas keine Feigheit. Als das gewaltige Tier sich ihm näherte, hob er seinen Speer, um ihn in die Brust seiner Mutter zu bohren. Doch der Göttervater verhinderte das Unglück und versetzte seine ehemalige Geliebte als »Großer Bär« unter die Sterne.

Als Hera ihre Rivalin derart verherrlicht sah, begab sie sich zu Okeanos und Tethys und erwirkte das Versprechen, dass Kallisto nie, wie die anderen Gestirne, wenn sie untergehen, das bläuliche Reich der Meeresgötter betreten dürfe. Seitdem ist der »Große Bär« dazu verdammt, unablässig um den Polarstern zu kreisen. Arkas wurde König in dem nach ihm benannten Arkadien und später ebenfalls als »Wächter des Großen Bären« an den Himmel versetzt.

Griechische Götter- und Heldensagen. Nach den Quellen neu erzählt

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