Читать книгу Untersuchungshaft - Reinhold Schlothauer - Страница 101
c) Kontakte zur Staatsanwaltschaft
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Hat sich die Kripo zur Vorführung entschlossen, gibt sie die Akten an die Staatsanwaltschaft weiter. In diesem Falle hat der Verteidiger den zuständigen Haftstaatsanwalt zu kontaktieren. Für dieses Gespräch gilt grundsätzlich das Vorhergesagte auch hinsichtlich der Pflicht zur Unterrichtung über die Verdachtsmomente. Der Kontakt zur Staatsanwaltschaft ist deswegen besonders wichtig, weil sich die Einschätzung von Sach- und Rechtslage durch Staatsanwaltschaft und Polizei nicht zu decken braucht und der Verteidiger bei etwaigen Abweichungen einhaken kann. Gerade hier bieten sich Ansatzpunkte zur Diskussion über die rechtliche Bewertung des Vorwurfs im Hinblick auf die insoweit größere Sachkompetenz der Staatsanwaltschaft.
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Ferner hat der Verteidiger bei der Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf § 147 Abs. 2 S. 2 Akteneinsicht zu beantragen. Die Vorschrift regelt zwar nur, dass im Falle eines Antrags auf Erlass eines Haftbefehls dem Verteidiger die für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung erforderlichen „wesentlichen Informationen in geeigneter Weise zugänglich zu machen“ sind und insoweit „ in der Regel Akteneinsicht zu gewähren ist“. Diese einschränkende Formulierung darf allerdings nicht so verstanden werden, dass die Staatsanwaltschaft sich in Zweifelsfällen auf die bloß mündliche Unterrichtung beschränken könnte. In der Begründung des Regierungsentwurfs wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des EGMR eine Informationsvermittlung, die lediglich Sachverhalte nach dem Verständnis der Ermittlungsbehörden beinhalten, nicht ausreicht.[5] Da der Akteninhalt immer von den Ermittlungsbehörden interpretiert wird, er also durch ihre Brille gesehen wird und daher „gefärbt“ ist, und die Verteidigung naturgemäß auch aufgrund der Informationen des Beschuldigten zu einer anderen Bewertung kommen kann, kann die erforderliche objektive Unterrichtung nur durch die Gewährung von Akteneinsicht geschehen.[6] Auf Akteninhalte, die dem Verteidiger nicht zur Einsicht überlassen wurden, können dringender Tatverdacht und Haftgründe nicht gestützt werden.[7] Auf diese Rechtslage hat der Verteidiger hinzuweisen und hervorzuheben, dass ohne die Gewährung der Akteneinsicht eine erfolgversprechende Verteidigung sowohl zur Abwendung eines Antrags der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Haftbefehls als auch in der ggf. stattfindenden Vorführungsverhandlung nicht möglich ist. Die Pflicht zur Gewährung von Akteneinsicht bereits vor der Vorführungsverhandlung besteht schon deswegen, weil spätestens der Haftrichter mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft Akteneinsicht in die haftrelevanten Aktenteile zu gewähren hat und im Falle der Verweigerung der Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Gewährung der Akteneinsicht oder mindestens zur mündlichen Information des haftrelevanten Akteninhalts der Haftbefehlsantrag abzulehnen wäre.[8] Erfährt der Beschuldigte aber ohnehin vom Akteninhalt, macht es keinen Sinn, seinem Verteidiger die Akten vor der Vorführungsverhandlung vorzuenthalten, zumal dem Verteidiger ohnehin ausreichend Zeit zur Verfügung gestellt werden muss, sich mit dem Akteninhalt vertraut zu machen. Denn anderenfalls ist so zu verfahren, als habe er Akteneinsicht noch nicht gehabt.[9]
Verweigert die Staatsanwaltschaft die Akteneinsicht, so kann gegen diese Entscheidung nach § 147 Abs. 5 S. 2 ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt werden.[10] Diese Rechtsmittelmöglichkeit dürfte allerdings ins Leere laufen, da innerhalb der Frist des § 128 bis zur Entscheidung über den Haftbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft kaum eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts ergehen wird. Gewährt die Staatsanwaltschaft Akteneinsicht, hat der Verteidiger frühzeitig Kontakt zum Haftrichter aufzunehmen, um den Termin der Vorführungsverhandlung abzusprechen, damit genügend Zeit für Aktenlektüre und Besprechung mit dem Mandanten verbleibt. Die Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger gerade in komplexeren Verfahren darf allerdings nicht dazu führen, dass im Hinblick auf die Aktenlektüre und die Besprechung mit dem Mandanten eine Entscheidung des Haftrichters innerhalb der Höchstfrist des § 128 Abs. 1 nicht (mehr) möglich ist.[11]
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Bei dem Kontakt zur Staatsanwaltschaft wird der Verteidiger in viel größerem Maße als bei der Polizei die Möglichkeit haben, die Rechtslage zu erörtern, verbunden mit dem Versuch, den dringenden Tatverdacht oder die Haftgründe in Frage zu stellen und die rechtliche Bewertung der Tat anzugreifen und etwa den gegen den Mandanten erhobenen Vorwurf „herunterzudefinieren“, also etwa Diebstahl statt Raub, Körperverletzung statt versuchten Totschlag, Vorliegen eines minder schweren Falles etc. Dies gilt auch in den Fällen, in denen auch nach Auffassung des Verteidigers eine Inhaftierung nicht abzuwenden ist. Da oftmals der im Haftbefehl erhobene Vorwurf für das weitere Verfahren und auch für eine spätere Aufhebung der Inhaftierung präjudizierend ist, ist es wichtig, gleich zu Beginn des Verfahrens die Weichen zu stellen und nicht darauf zu vertrauen, später einmal von dem im Haftbefehl festgelegten Vorwurf wieder herunterzukommen.
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Das Gespräch mit dem Staatsanwalt dient ferner der Abklärung der Außervollzugsetzungsmöglichkeiten eines zu erlassenden Haftbefehls, etwa gegen Kaution oder sonstige Auflagen. So kann der Verteidiger im Gespräch mit dem zuständigen Staatsanwalt erreichen, dass dieser etwa einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls stellt, gleichzeitig aber eine Außervollzugsetzung beantragt oder sein Einverständnis hierzu aktenkundig macht oder mitteilt, dass er gegen eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls keine Einwendungen erhebe.