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jj) Probleme der Verteidigung in Fällen der Hauptverhandlungshaft
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Zwar kann sich der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers bedienen, § 137 Abs. 1 S. 1. Es besteht jedoch die Gefahr, dass dieses Recht leer läuft, wie folgendes Beispiel zeigt:
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Der Beschuldigte wird an einem Montag nach § 127b Abs. 1 festgenommen. Die Wochenfrist zur Durchführung der Hauptverhandlung endet damit am darauf folgenden Sonntag (vgl. oben Rn. 173 ff.). Am Dienstag wird er dem Haftrichter vorgeführt, der sodann Hauptverhandlungshaftbefehl erlässt. Weil der Beschuldigte selbst die Inhaftierung nicht abwenden konnte, entscheidet er sich jetzt, einen Verteidiger hinzuzuziehen. Frühestens nach seiner Einlieferung in die JVA, also am Dienstag oder Mittwoch, kann er einen Verteidiger um einen Besuch bitten. Falls die Bitte auf schriftlichem Weg geäußert wird, trifft sie frühestens am Mittwoch oder Donnerstag bei dem Verteidiger ein. Selbst wenn sich dieser noch am gleichen Tage eine Besuchserlaubnis beschaffen kann, wird er ihn in der Regel nicht vor Donnerstag oder Freitag besuchen können. Da an Samstagen und Sonntagen keine Verhandlungen stattfinden, muss die Hauptverhandlung jedoch spätestens bis zum Ablauf des Freitags im Hinblick auf die Höchstfrist von einer Woche durchgeführt worden sein.
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Bei dieser nicht ungewöhnlichen Fallkonstellation muss ernsthaft in Frage gestellt werden, ob die Regelung der Hauptverhandlungshaft unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung einer effektiven Verteidigung noch verfassungsgemäß ist.[83]
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Weitere Probleme entstehen, wenn der Beschuldigte sich zwar von einem Rechtsanwalt verteidigen lassen will und diesen kontaktiert hat, dieser sich jedoch bis zur Hauptverhandlung noch nicht gemeldet hat, etwa weil er, wie im Beispielsfall, gar keine Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit dem Beschuldigten hatte. Verlangt der Angeklagte im Termin den Beistand des von ihm angeschriebenen Verteidigers, könnte ihm entgegengehalten werden, dass es sich nicht um einen Fall notwendiger Verteidigung handelt (vgl. Rn. 209), mithin ohne Verteidiger verhandelt werde. Das Grundrecht des Angeklagten auf Verteidigerbeistand wäre verletzt, da die Unmöglichkeit rechtzeitigen Kontakts zwischen Beschuldigtem und Verteidiger von beiden nicht verschuldet ist. Wird gleichwohl ohne Verteidiger verhandelt, würde der Angeklagte in seinen verfassungsrechtlich geschützten Verteidigungsrechten beeinträchtigt. Um diesen Anspruch des Angeklagten nicht leer laufen zu lassen, müsste die Hauptverhandlung unterbrochen oder ausgesetzt werden. Im Hinblick auf den Abschluss der Hauptverhandlung binnen Wochenfrist dürfte dies jedoch die Ausnahme sein. Es steht eine Einflussnahme auf den Angeklagten zu erwarten, auf den Beistand des Verteidigers zu verzichten, um die Hauptverhandlung fristgemäß zu Ende zu bringen. Die Grundsätze des fairen Verfahrens und der Waffengleichheit wären verletzt, zumal die Haftsituation den psychischen Druck auf den Angeklagten immens verstärkt. Es steht zu befürchten, dass ein großer Teil der von der Hauptverhandlungshaft Betroffenen ihres Rechts auf Beistand durch einen Verteidiger beraubt wird.
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Aber auch dann, wenn der Verteidiger noch vor der Hauptverhandlung Kontakt zu dem Beschuldigten aufnehmen konnte, stellen sich weitere Probleme. Ohne Akteneinsicht wird der Verteidiger wohl kaum mit dem Beschuldigten eine effektive Verteidigung besprechen können. Dies gilt auch dann, wenn der Beschuldigte dem Verteidiger im Erstgespräch erklärt hat, er habe bereits ein Geständnis abgelegt. Anhand der Akten wird zu prüfen sein, ob das Geständnis möglicherweise im Hinblick auf die Verletzung von Belehrungspflichten überhaupt verwertbar ist oder ob sonstige Verfahrenshindernisse, etwa fehlender Strafantrag, vorliegen. Eine Akteneinsicht vor Durchführung der Hauptverhandlung ist daher unumgänglich. Nach gewährter Akteneinsicht ist ein erneutes Gespräch mit dem Beschuldigten erforderlich. Zwar besteht die Möglichkeit, dass dem Verteidiger unmittelbar vor der Hauptverhandlung oder nach einer Unterbrechung der Hauptverhandlung Gelegenheit zur Akteneinsicht und zur Besprechung mit dem Beschuldigten gegeben wird, falls eine frühere Akteneinsicht nicht möglich war. Ob diese äußerst kurzfristige Verteidigungsvorbereitung anhand der Akten und der Besprechung mit dem Beschuldigten unmittelbar vor der Hauptverhandlung in jedem Fall ausreichend ist, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Ist der Verteidiger der Auffassung, dass er nicht genügend Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung (mit dem Beschuldigten) hatte, hat er einen Antrag auf Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung zu stellen. Ist die Wochenfrist abgelaufen, wird der Hauptverhandlungshaftbefehl automatisch gegenstandslos und der Beschuldigte ist zu entlassen. Allerdings besteht die Gefahr, dass der Richter als Reaktion auf das aus seiner Sicht verfahrensverzögernde Verhalten des Verteidigers einen „normalen“ Haftbefehl erlässt. Wenn die Wochenfrist noch nicht ausgeschöpft ist kann zudem der Hauptverhandlungshaftbefehl bis zum Ablauf der Wochenfrist verlängert werden und vor deren Ablauf die Hauptverhandlung fortgesetzt oder neu begonnen werden.
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Auch wird der Verteidiger zu prüfen haben, ob sich die Sache überhaupt zur Erledigung im beschleunigten Verfahren eignet. So kann die Besprechung mit dem Beschuldigten ergeben, dass zwar ein Geständnis abgelegt, dieses jedoch teilweise unrichtig ist oder im Hinblick auf mögliche Qualifikationstatbestände oder Strafzumessungsgründe zu modifizieren oder zu ergänzen ist. In diesem Fall kann die Einvernahme von Zeugen erforderlich sein. Lehnt der zuständige Richter in diesem Fall auf entsprechendes Verteidigervorbringen die Durchführung im beschleunigten Verfahren ab, ist der Hauptverhandlungshaftbefehl aufzuheben. Allerdings besteht auch hier die Gefahr, dass dann der Haftbefehl in einen „normalen“ Untersuchungshaftbefehl umgewandelt wird. Wird gleichwohl im beschleunigten Verfahren verhandelt, ist jedoch eine Fortsetzung der Verhandlung etwa infolge von Beweisanträgen und der dadurch erforderlichen Zeugenladungen notwendig, muss auch die Fortsetzungsverhandlung innerhalb der Wochenfrist stattfinden. Ist dies nicht möglich, ist der Hauptverhandlungshaftbefehl aufzuheben.