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g) Verfahren nach vorläufiger Festnahme, Vorführungsfrist
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Hält die Polizei die Voraussetzungen für einen „normalen“ oder einen Hauptverhandlungs-Haftbefehl für gegeben, hat sie den Beschuldigten nach § 128 unverzüglich, spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter bei dem Amtsgericht vorzuführen, in dessen Bezirk der Beschuldigte festgenommen worden ist. Kann der Beschuldigte innerhalb der Frist des § 128 Abs. 1 nicht vorgeführt werden, ist er freizulassen.[101]
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Die Frist zur Vorführung vor den Richter endet mit dem Ablauf des dem der Festnahme folgenden Kalendertages, wobei es keinen Unterschied macht, ob der Ablauf der Frist auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fällt. Unverzüglich bedeutet, dass die Vorführung ohne jede durch die Lage der Sache nicht gerechtfertigte Verzögerung erfolgen muss. Das Fristende darf nicht abgewartet werden. Die Durchführung weiterer Ermittlungen soll allerdings ein Ausschöpfen der Frist rechtfertigen.[102] Eine polizeiliche Vernehmung des Festgenommen darf allerdings nicht durchgeführt werden, wenn dadurch die Frist zur Vorführung nicht eingehalten werden kann.[103]
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Zwar wird immer wieder betont, dass die Frist des § 128 Abs. 1 nicht voll ausgeschöpft werden darf bzw. es nicht zur Regel werden darf, dass der Beschuldigte erst am Tage nach der vorläufigen Festnahme dem Richter vorgeführt wird.[104] Da das Gesetz jedoch an die Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Vorführung keine Sanktionen knüpft, wird die Unverzüglichkeit der Vorführung in der Praxis auch entsprechend lasch gehandhabt. Die Gründe dafür sind mannigfaltiger Art. Sie können in Arbeitsüberlastung, kurzfristiger Befassung mit anderen Angelegenheiten ebenso liegen wie darin, einen vorläufig Festgenommenen zunächst einmal eine Nacht in den Vorführzellen „schmoren“ zu lassen, um ihn gegebenenfalls auf diese Weise zu einer Aussage oder zu einem Geständnis zu bringen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass gerade mit der Dauer der vorläufigen Festnahme die Versuchung bei den Beschuldigten groß ist, durch eine Aussage oder auch ein Geständnis die Aufhebung der Freiheitsentziehung zu erreichen, insbes. dann, wenn zusätzlich noch Andeutungen seitens des ermittelnden Beamten gemacht werden, eine Aussage bzw. ein Geständnis könne sich möglicherweise positiv auf den Fortbestand der Inhaftierung auswirken. Ein vom Beschuldigten bereits zu Beginn der vorläufigen Festnahme eingeschalteter Verteidiger wird hier auf eine schnelle Vorführung drängen müssen, ggf. muss er beim Haftrichter intervenieren und auf der unverzüglichen Vorführung bestehen.
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Ferner wird darauf hingewiesen, dass die Höchstfrist des § 128 Abs. 1 grundsätzlich keine Verlängerung zulässt. Die Vorführung ist auch dann verspätet und die Inhaftierung für den Zeitraum rechtswidrig, während dessen deshalb keine Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls getroffen werden kann, weil ein richterlicher Bereitschaftsdienst an Samstagen nur zwischen 9.00 und 13.00 Uhr zur Verfügung steht.[105] Auch kann der Beschuldigte auf die Einhaltung der Frist nicht verzichten.[106] Die Folge der Fristüberschreitung ist daher die Rechtswidrigkeit der weiteren Inhaftierung. Inkonsequenterweise wird aber aus einer solchen unzulässigen Fristüberschreitung nicht der Schluss gezogen, dass etwa ein Antrag auf Erlass eines Haftbefehls nach Fristüberschreitung als unzulässig anzusehen und der Beschuldigte unverzüglich freizulassen wäre. Insoweit bleibt die eindeutige Rechtswidrigkeit der Fristüberschreitung ohne Folgen.[107] Dies ist schon deswegen nicht einzusehen, weil nach dem Willen des Gesetzgebers der Beschuldigte freizulassen ist, wenn die Polizei ihn nicht bis zum Ende des Tages nach der Festnahme dem Richter hat vorführen können (Art. 104 Abs. 2 S. 3 GG)[108]. Bleibt aber die Fristüberschreitung insoweit sanktionslos, als gleichwohl Haftbefehl erlassen werden kann, eröffnet dies die Gefahr der Umgehung der Frist des § 128 Abs. 1.
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In Fällen, in denen die Fristüberschreitung droht, bleibt dem Verteidiger ungeachtet sonstiger Aktivitäten zur Vermeidung des Haftbefehls nur die Möglichkeit, auf die drohende Fristüberschreitung und die daraus resultierende Pflicht zur Aufhebung der vorläufigen Festnahme hinzuweisen. Zwar muss man sich darüber im Klaren sein, dass nach der noch geltenden Rechtsprechung dieses Vorgehen wenig Erfolg haben wird. Andererseits darf man klare Gesetzesverletzungen nicht ungerügt hinnehmen. Es bleibt die Hoffnung, dass durch die vermehrten Hinweise auf die Ungesetzlichkeit der Fristüberschreitung die Rechtsprechung einmal geändert wird.
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Allerdings wird unter bestimmten Voraussetzungen ein Verwertungsverbot für die Angaben des vorläufig Festgenommenen angenommen, die dieser in einer Vernehmung nach Ablauf der Vorführungsfrist gemacht hat.[109] Diese Aussagen unterliegen gem. § 136a einem Verwertungsverbot. Voraussetzung dafür ist, dass ein staatliches Strafverfolgungsorgan durch den Einsatz verbotener Mittel oder Methoden die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung des Beschuldigten beeinträchtigt hat und die Aussage zumindest nicht ausschließbar darauf beruht. Diese Voraussetzungen liegen bei einer Vernehmung nach Fristüberschreitung vor. Die weitere Inhaftierung des Beschuldigten nach Fristüberschreitung ist nach allgemeiner Auffassung nicht zulässig und damit rechtswidrig, da der Beschuldigte mit Ablauf der Frist hätte freigelassen werden müssen. Die Beeinträchtigung der Willensentschließung und der Willensbetätigung durch die andauernde und nach Fristüberschreitung rechtswidrige Inhaftierung besteht hier darin, dass mit zunehmender Dauer der Freiheitsentziehung der psychologische Druck auf den Festgenommenen verstärkt wird, durch Aktivitäten, auch in Form einer Aussage, der Freiheitsentziehung entgegenzuwirken. Ganz allgemein hat die Tatsache der Freiheitsentziehung immer erheblichen Einfluss auf die Aussagebereitschaft des Beschuldigten. Es bedarf eigentlich keiner Erörterung, dass ein vorläufig Festgenommener in seinen Handlungsmöglichkeiten durch die Inhaftierung beschränkt ist, er also seine Situation nur unter dem Druck der Haft überdenken kann und keine Möglichkeit hat, – abgesehen von der Verteidigerkonsultation – die Situation und seine weiteren Schritte mit dritten Personen zu erörtern. Die Tatsache der Inhaftierung hat mithin immer Einfluss auf die Willensentschließung und die Willensbetätigung eines Beschuldigten.[110] Damit wird deutlich, dass eine Aussage des Beschuldigten jedenfalls nicht ausschließbar auf der Inhaftierung beruht. Die Konsequenz kann daher nur ein Beweisverwertungsverbot für alle Angaben während der Zeit der rechtswidrigen Inhaftierung sein. Der BGH[111] hat das Verwertungsverbot bisher nur im Zusammenhang mit Aussagen im Rahmen einer förmlichen Vernehmung i.S.d. § 136a, nicht dagegen hinsichtlich sonstiger Äußerungen des vorläufig Festgenommenen erörtert.
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Aufgrund der inzwischen zum Verwertungsverbot bei unterbliebener Beschuldigtenbelehrung ergangenen Rechtsprechung muss ein Verwertungsverbot auch für sonstige Äußerungen des Beschuldigten gegenüber Ermittlungsbeamten nach Fristüberschreitung angenommen werden. Bei der Frage des Verwertungsverbots wegen fehlender Belehrung war insoweit allein zu klären, ob der Beamte dem Betroffenen als Beschuldigten gegenübergetreten ist, was im Falle der vorläufigen Festnahme keinem Zweifel unterliegen kann.[112] Führt daher ein Ermittlungsbeamter nach Fristüberschreitung mit dem jetzt rechtswidrig Inhaftierten über die Sache außerhalb einer Vernehmung Gespräche, unterliegt auch deren Inhalt einem Verwertungsverbot.[113]
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Die Praxis zeigt, dass es außerhalb offizieller Vernehmungen immer wieder zu mannigfaltigen Gesprächskontakten zwischen dem Festgenommenen und Polizeibeamten und/oder Dritten kommt. Es wurde bereits erwähnt, dass der psychologische Druck auf den Festgenommenen, seine Situation mit anderen zu erörtern, durch die Festnahme gesteigert wird. Mit zunehmender Dauer der Inhaftierung erhöht sich dieser Druck. Gerade die rechtswidrige Inhaftierung nach Überschreitung der Höchstfrist ist daher Ursache für Äußerungen des Beschuldigten. Dann kann es aber keinen Unterschied machen, ob Äußerungen im Rahmen einer offiziellen Vernehmung oder aber in sog. informatorischen Gesprächen oder anlässlich sonstiger Gesprächskontakte gemacht werden. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass bei Beschuldigten häufig der Irrtum besteht, Äußerungen außerhalb einer offiziellen Vernehmung könnten ohnehin nicht verwertet werden.[114] Gerade in diesen Fällen besteht also ein doppelter Grund für die Annahme eines Verwertungsverbots.
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Probleme mit der Einhaltung der Frist können dann entstehen, wenn der Beschuldigte relativ kurze Zeit vor Ablauf der Frist vorgeführt wird. Die Fristüberschreitung kann immer dann drohen, wenn sich der Beschuldigte etwa in Fällen komplexer Vorwürfe umfangreich zur Sache einlassen will oder muss, um etwa den Tatverdacht zu entkräften, die bis zum Fristablauf verbleibende Zeit jedoch für eine vollständige Aussage nicht ausreicht. Probleme gibt es auch dann, wenn aufgrund einer großen Zahl von Festgenommenen, die jeweils bei dem Haftrichter Angaben machen wollen, die Zeit für jeweils umfassende Vernehmungen nicht ausreicht. In diesen Fallkonstellationen stellt sich die Frage, ob der Beschuldigte in die Fristüberschreitung zum Zwecke weiterer Angaben einwilligen kann mit der Folge der Verwertbarkeit der Angaben oder aber der Haftrichter bis zum Fristablauf eine Entscheidung nach dem Stand der Ermittlungen treffen muss, auch wenn noch weitere Angaben des Beschuldigten bevorstehen. Auch wenn der Beschuldigte nach h.M.[115] nicht rechtswirksam auf die Einhaltung der Fristen verzichten kann, so erscheint es doch sachgerecht, eine Fristüberschreitung für die Fälle zuzulassen, in denen eine begonnene richterliche Vernehmung ohne Unterbrechung mit Zustimmung des Beschuldigten bis zu deren Ende fortgesetzt wird. Es ist nicht gerechtfertigt, die Vernehmung des Beschuldigten, der mit seinen Angaben seine Freilassung erstrebt, nur deswegen an einem bestimmten Punkt gegen den Willen des Beschuldigten abzubrechen, weil die Frist überschritten wird. Der Richter wäre gezwungen, aufgrund einer offensichtlich unvollständigen Tatsachengrundlage Haftbefehl zu erlassen, obwohl die Frage des dringenden Tatverdachts oder der Haftgründe bei vollständigen Angaben des Beschuldigten möglicherweise anders zu beurteilen wäre. Die Rechtsposition des Beschuldigten ist nicht beeinträchtigt, da eine Fristüberschreitung zur Fortführung der Vernehmung von seiner Zustimmung abhängt. Der Klarstellung halber muss hervorgehoben werden, dass dies nur für die richterliche Vernehmung, nicht jedoch für polizeiliche oder staatsanwaltliche Vernehmungen gilt. Diese müssen so rechtzeitig abgeschlossen sein, dass die Vorführungsfrist eingehalten werden kann, Vernehmungen sind ggf. rechtzeitig zu unterbrechen und von dem Richter fortzusetzen.
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Da die Frist um 0.00 Uhr am auf die vorläufige Festnahme folgenden Tage abläuft, kann es zu der Situation kommen, dass absehbar ist, dass die Vernehmung auch unter Fristüberschreitung wegen Ermüdung der Beteiligten nicht abgeschlossen werden kann. In diesen Fällen müsste die Vernehmung bis zum nächsten Tage unterbrochen werden. Wie in solchen Situationen zu verfahren ist, ist – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden. Folgt man der h.M., dass auf die Einhaltung der Frist vom Beschuldigten nicht rechtswirksam verzichtet werden kann, müsste der Richter in Kenntnis der Tatsache, dass weitere Angaben zu erwarten sind, nach dem derzeitigen Stand der Dinge eine Entscheidung treffen und ggf. Haftbefehl erlassen. Da jedoch offensichtlich ist, dass noch weitere Angaben des Beschuldigten zu erwarten sind, die für die Beurteilung des dringenden Tatverdachts oder der Haftgründe von Bedeutung sind, wäre der Richter verpflichtet, von Amts wegen am nächsten Tag eine mündliche Haftprüfung durchzuführen, in der die Vernehmung fortgesetzt und erneut über die Haftfrage entschieden wird. In derartigen Fällen bedürfte es keines Haftprüfungsantrags des Beschuldigten, die Frist des § 118 Abs. 5 gälte nicht. Auf der anderen Seite kann die Auffassung vertreten werden, es sei wenig einsichtig, aufgrund unvollständiger Sachangaben des Beschuldigten eine ggf. für diesen negative Haftentscheidung zu treffen, um diese nach erfolgter Inhaftierung am nächsten Tage nach weiteren Angaben des Beschuldigten erneut zu überprüfen. Auch in diesen Fällen wäre es daher denkbar, die richterliche Vernehmung mit Zustimmung des Beschuldigten bis zum nächsten Tage zu unterbrechen und nach Ende der Vernehmung die Entscheidung über die Haftfrage aufgrund einer besseren Sachverhaltsgrundlage zu treffen. Diese Möglichkeit scheint insbes. dann angemessen, wenn der Beschuldigte verteidigt ist.
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Liegen diese Ausnahmefälle nicht vor, bedeutet dies für den Verteidiger, dass er zum einen die ein Verwertungsverbot der Äußerungen des Festgenommenen nach Fristüberschreitung begründenden Tatsachen ermitteln und festhalten muss, auf der anderen Seite versuchen muss, die Fristüberschreitung zu verhindern. Auf jeden Fall muss er seinem Mandanten dringend anraten, jeglichen Gesprächskontakt auch außerhalb offizieller Vernehmungen mit Beamten oder sonstigen Personen zu unterlassen.[116]
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Hält die Polizei die Vorführung des vorläufig Festgenommenen vor den Haftrichter für erforderlich, übergibt sie die Akten mit einem Vorführungsbericht der Staatsanwaltschaft. Diese überprüft die Voraussetzungen eines Haftbefehls noch einmal und lässt den Beschuldigten entweder frei, wenn die Voraussetzungen für den Erlass eines Haftbefehls nach ihrer Auffassung nicht vorliegen oder stellt bei dem zuständigen Amtsrichter einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls. Gleichzeitig legt sie in diesem Fall die Akten dem Richter zur Entscheidung vor.