Читать книгу HIERONYMUS - Reto Andrea Savoldelli - Страница 11

Das Siebte

Оглавление

Das rote Aufnahmelämpchen seiner Video-Kamera leuchtet noch, als Jens Brockmann das Studiokino der dffb betritt. Die eintrudelnde Schülerschar im Auge, steht Otto Ledermann mit Isabelle Montclaire an seiner Seite bereits am Rednerpult vor der Leinwand. Inge weist Jens als erste zurecht, später doppelt auch Niki nach. - «Jens, mach aus. Das nervt, echt!» - «Hast du sie nicht mehr alle. Du kannst nicht überall, wo du willst, herumfilmen. Nicht in der dffb. Das hier ist eine Filmschule!» - Wenn das ein Witz sein soll, versteht ihn Jens nicht. Er packt seine Kamera weg, grüsst nach links, scherzt nach rechts und quetscht sich in eine der hinteren Reihen. «Wo kommen all die neuen Gesichter her! - Wow, die Schwarze dort sieht umwerfend aus! Wie Anouk Aimé in Achteinhalb. Das muss der neue Unterkurs sein. Die Montclaire scheint inzwischen den ganzen Klub zu unterrichten!» Die Neulinge blicken erwartungsvoll in die Runde. Die Stammkunden ziehen ihre Hefte heraus oder klappen die Laptops auf. Irgendwie ist dicke Luft.

Herr Ledermann beginnt: «Guten Abend allerseits. Wir haben euch noch einmal zusammengerufen, weil die Aufgabenstellung für die Semesterabschlussarbeit, die bei einigen unter der ungenauen Bezeichnung Ferienarbeit kursiert. Niemand ist gebeten worden, damit bis zu den Ferien zu warten. Sie wurde Euch von Madame Montclaire erläutert - hier erfolgt eine minimale Drehung nach links zu Madame hin, die wie so oft ausdruckslos abwartend dasteht -, und anscheinend nicht von allen verstanden. Zudem hat sie der Oberkurs den Neuen, wie ich gehört habe, ganz falsch erklärt.» - Die Diktion von Ledermanns gewundenen Anspielungen war allgemein bekannt. - "Aha, jetzt ist mir die schlechte Stimmung klar", denkt Jens, dem das Thema noch neu ist. Vor einigen Wochen kritzelte er in Montclaires Kurs irgend etwas in sein Heft und nahm sich dabei vor, die Aufgabenstellung bei Gelegenheit so zu interpretieren, dass sie für ihn Sinn und vor allem nicht zu viel Arbeit machen würde. Aber das hier war Bockmist! - "Klärungsbedarf wahrgenommen, Aufgabe präzisiert, Problem gelöst" - von wegen! Jetzt ist der Stress vorprogrammiert. Ledermann stampft wie immer den alten Quark und wird wohl schon bald in das Hohelied der Kreativität ausbrechen, die sich "ganz primär" im schriftlichen Ausdruck niederschlagen soll.

«Madame Montclaire hat sich freundlicherweise zur Verfügung gestellt, das Ganze nochmals zu erläutern. Darf ich Sie bitten, Isabelle?» - "Dieser Schleimer!" - Montclaire bleibt, selbst als sie zu reden beginnt, wie angewachsen stehen. Das ist Jens bisher noch nie so deutlich aufgefallen. "Wenn man redet, bewegt man sich doch dazu und spielt nicht Mumie". - Er blickt sich um und entdeckt im Publikum den schweigsamen Valentin, Augen weit auf Madame und auf das gerichtet, was da noch kommen soll. Natürlich neben Ilena Halbeisen. Jens würde sich ihnen gern bemerkbar machen, doch die Entfernung ist zu gross.

«Alors, c'est banal. Es ist nur so, im Leben können Sie nicht immer machen, wozu Sie Lust haben. Ohne ein wenig von die Disziplin auch sehr grosse Kreativität hilft nicht! Also nochmal: Die Übungen am Krimi-Set mit Herrn Hoffendranger sind nach die Sommerferien an die Reihe. In Industrieanlage, in Büros von die Extraklasse, Tankstellen, Nachtlokale, que vous connaissez sûrement. Auch Technik: Rot-Blau Scheinwerfer, sowie Autoaction habe ich gehört von Herrn Ledermann. Mit die Kamera am Hinter montiert ...» - Das schallende Gelächter versteht Montclaire sofort. - «... An die Hinterteil von die Vorderauto naturellement. Dafür gibt es in Berlin ja sehr viele Knowhow. - Bei mir war im letzten Trimester der europäische Autorfilm der Thema, was ist in meinen Augen das Schwierigste und Interessanteste in die Kinokunst. Jetzt Ihre Aufgabe ist eine schriftliche Arbeit über die philosophische, weltanschauliche Hintergrund von der Filmautor oder die Autorin, der gewählt worden ist von Sie. Sie sollen erklären mit die Filmszenen, die Sie auswählen, der Stil, der Temperament, der Vorliebe, die Psychologie von die Filmautor. In allem steckt Weltanschauung drinnen, auch in banalen Filmgeschichten. In seine Thema, in die Überzeugungen von seinen Personen, ihre Erfahrungen, Hoffnungen, ihre Pessimismus. - strukturell im Hintergrund ist überall W e l t a n s c h a u u n g (”ja, ja, wir haben's schon gehört“) - un beau mot! Leider es gibt kein Äquivalent in französische Sprache für so, wie ich die Welt schaue. (”Die Franzosen sind wirklich zu bedauern!“) - In seine Esssay über das Kino der Poesie sagt Pasolini, dass der Blick eines Bauern etwas anderes fasst als der von eine italienische Minister. Nicht, weil er anderes sieht. Auch das gleiche Objekt ist für beide eine andere Erfahrung. Ihr denkt vielleicht, Film ist real, objektiver als andere Künste, hat nichts zu tun mit Weltanschauungspsychologie. Das ist nur etwas für die Literatur, der Film ist doch materielle Realismus. Ihr kennt André Bazin und die "Cahiers du cinéma", hoffe ich. Das ist dort die Dogma. Ich war einige Jahre Redakteurin von Cahiers du Cinéma (“auch das noch!“) und will sagen: Tout ça, c'est - Blödsinn. Die Visionen von die Filmkünstler sind naturalistischer als von des hommes litéraires, c'est tout. Doch hinter der ganze instrumentale Inszenierung in die Kino Sie müssen empfinden und können finden die Gedanken von die Autoren. Individuell oder mehr generell wie von einer Branche, einer Lobby, einem Genre. Aber immer ist es Weltanschauung - primitiv, dumm, offen, fragend, geistreich, wie auch immer - gebracht mehr oder weniger deutlich in die Cadrage, Dialog, in die Montage. Die Schauspieler geben dann der Fleisch an die Knochen. Ihre Aufgabe ist es, zu finden den weltanschauliche Knochen von Eure ausgewählte Filme (”wie unappetitlich! - geht's nicht poetischer !“). Vous avez compris? (”Ja, ja, keine Sorge Madame, wir haben compris und wir werden suchen compromis!“)

Also untersuchen Sie par exemple, ob die Personen in ihre Gefühlskonflikte neuartig oder reaktionär erleben und handeln. Nicht nur beschreiben, das reicht nicht! Ich erwarte Stellungnahme, Begründung. Auch emotionale. Nur keine Enthusiasmus für, comment vous dites en allemand, geile Filme. Auch keine negative Enthusiasmus à la Supercriticiens, wenn möglich. Was nicht gefällt, nicht beachten! Wichtig ist die Verstehen von Filme.

Zum Beispiel der Regisseur Guido in Otto e mezzo von Fellini oder Pastor Ericsson in Abendmahlgäste von Bergman oder Stalker von Tarkowsky ou bien Pierrot le fou de Godard, le condamné à mort bei Bresson, der Schriftsteller Giovanni in La Notte von Antonioni et cetera et cetera. Haben die Personnages Bewusstsein von die konkrete geistige Grundlage von der Konflikte, wo sie drinnen sind, oder wird alles nur gezeigt passiv, mit eingedrücktem Horizont? Sie verstehen: Ist es nur emo-tional, subjective, réactionnaire!? Oder kulturell, intellektuell, expressif !?

Und genau so wichtig ist, was der Autor nicht zeigt, worum er eine stilistische Knoten macht. Genau hinschauen, hinhören und dann: réfléchir! Da werden Sie finden auch immer Fragezeichen oder auch peut-être Schwächen zwischen den Einstellungen. Encore des questions?»

Aus der ersten Reihe nuschelt einer aus dem Unterkurs, was Jens nicht genau versteht, aber was wohl in die Richtung geht, dass er bezweifeln würde, ob man zwischen einem emotionalen und einem gedanklichen Konflikt unterscheiden könne. Und warum das der Montclaire überhaupt wichtig sei. - «Haben Sie mir zugehört, Monsieur? Was ist emotionale Konflikt? Gar nichts! Cela veut dire rien du tout! Jede Konflikt ist emotional, auch der gedankliche. Je disais "geistig". Das ist doch eine deutsche Wort. Die Fähigkeit zu differenzier gehört zu die wichtigen Fähigkeit von die Intellektuellen. Und die europäisch Autorenfilmer waren oder sind alle Intellektuelle. Ich werde keine blossen Entertainer akzeptieren. Ich will Ihre Regisseur zuerst kennen, bevor Sie beginnen.»

Das war das Stichwort für Niki, eine Freundin von Jens aus der Produktionsklasse. - «Wir sind bislang davon ausgegangen, dass wir mit Filmen den Zuschauer nicht unbedingt langweilen müssen. Worin erblicken Sie eigentlich den Unterschied zwischen einem Entertainer und einem Intellektuellen? Es gibt ja gerade unter den Entertainern viele Intellektuelle. Nur damit wir uns auf Ihr Verständnis einstellen können, Madame.» - "Das war ganz schön provokativ, Niki! Aber Montclaire entgehen wie ich hoffe die Finessen von die Sprak allemande", ging es Jens durch den Kopf.

«Wenn Sie keine Unterscheidungen machen wollen, können Sie das betrachten als Ihre persönliche Stil, Mademoiselle. Ich meine bis Sie stos-sen auf etwas Neues. Lassen Sie mich so sagen: Der Entertainer spricht die Passivität, der Intellektuelle die Aktivität von die Zuschauer an. Assez simple. Der Entertainer ist versteckt hinter seine Film. Der Zuschauer kann ihn nicht wahrnehmen. Er bedient nur die Vorstellungen, die die Zuschauer schon kennt. Seine Personen müssen deshalb sein stereotype, so wie die Konsumfaulheit von die Zuschauer eine stereotype Vorstellung ist. Die Filme können gut gemacht sein. Nehmen sie, wenn sie an Berlin denken, One, two, three von Billy Wilder. Very funny, sagt der Amerikaner. Nur, es hat nichts zu tun mit Berlin damals und mit keine lebende Mensch heute. Nur mit die Medienvorstellung von die kalte Krieg. Der Genre-Film ist immer der Tod von der wahre Filmkunst. Der Horrorfilm, der Sciencefiction, der Phantasy, le Krimi, le Film du Sex, ... was noch?» - «Der Politthriller!» - «Oui, ja sehr wichtig für Hollywood, alle die geheime Wicklungen avec la CIA und FBI und die Präsidentenhaus. - Dann le Ouester, die Kriegsfilme mit Glory und Happy End und die Hochzeit von der sexy Sergeant in Indochina.» - «Der Klamaukfilm.» - «C‘est quoi, Klamauk?» - «So eine Art deutscher Nonsense. Screwball.» - «Aha, je vois!»

«Jeder Film lässt sich doch in ein Genre stecken. So gesehen gibt es nur Genre-Filme. Und soll jetzt der Autorenfilm ein Gegensatz dazu darstellen oder ist er nicht bloss ein weiteres Genre? Wir könnten uns doch jetzt alle auf Rocky eins bis vier stürzen? Sylvester Stallone hat das Buch geschrieben, Regie geführt und war Hauptdarsteller. Die reinsten Autorenfilme. Ich verstehe Ihre Aufregung wirklich nicht.» - Jens fühlte ein unangenehmes Herzklopfen, während er sprach. Das passte gar nicht zu ihm, dass er sich im Plenum zu Wort meldete. Doch die elitäre Tusse regte seinen Widerspruchsgeist mächtig auf.

«Ah oui? C'est charmant, "meine Aufregung!", wo Sie doch sind gar nicht nervös. Ich freue mich, mit Ihnen noch mehr zu diskutieren, bei die nächste Mal im Kurs. Sie sagen mir dann, was ist ein Autor und was nicht? Oui? Ich bin gespannt, denn Sie werden mir nicht sagen, jeder der ein Film macht, ist ein Autor. Und ich werde Ihnen dann nochmals erklären die Unterschied zwischen Stereotypie, die sein muss, um die Geld von die Masse herausholen und die Kunst, wo die Denken und die tiefere Gefühl, comment dire, kommt in Vibration. Zum Beispiel: Ist Edipo Re von Pasolini ein Historienfilm? Ist Pierrot le fou ein Film de Gangster? Sie müssen herausfühlen die konkrete Motiv, die Idee, welche macht die Schnitte zwischen die Bilder. - Ist es die Stereotypie von dem Genre, die Logik von die Platitude oder die Unlogik von die Kunst, die Sie macht mehr sehen und mehr fühlen? Die gedankliche Recherche ist die Hauptsache. Mindestens fünfzehn Blatt auf A4, normal geschrieben. Wenn es ist genial, kann auch sein die Hälfte. Nur wenn nicht, besser zwanzig. Hat noch jemand ein Frage?»

Herr Ledermann, der sich einen Stuhl genommen hatte, blickte auf die Uhr und lächelt anerkennend zu Montclaire. Niemand wagt es, diese Idylle zu stören. Im übrigen wurde es auch langsam Zeit, nach draussen zu kommen. Hier liess sich ohnehin nichts mehr umbiegen. Man greift sich seine Sachen, grinst leicht verkrampft über die Sitzreihen hinweg in die Runde und schiebt mit hungrigem Magen in Richtung Ausgang.

HIERONYMUS

Подняться наверх