Читать книгу Der rote Brunnen - Rita Renate Schönig - Страница 13
Montag / 09:45 Uhr
Оглавление„Danke, dass Sie so kurzfristig Zeit für mich haben.“
Philipp wischte über seine feuchte Stirn.
„Sie klangen sehr aufgewühlt. Was ist passiert, Philipp?“, fragte Dr. Claudia Scherer mit sanfter Stimme. In ihren grünblauen Augen lag ein Ausdruck zwischen Faszination, Sorge und … Vergnügen.
„Es ist … sie sind …“, stotterte Philipp. „Die schrecklichen Bilder, verstehen Sie. Alles war in Ordnung – und nun. Dr. Mehlhorn. Er ist … genau an derselben Stelle und genau auf den Tag. Heute ist der 1. Juni. Verstehen Sie?“ Hilfesuchend sah er die Ärztin an.
„Beruhigen Sie sich. Ich habe es Ihnen schon so oft gesagt. Es hat nichts mit Ihnen zu tun. Dr. Mehlhorn konnte mit der Schuld nicht mehr leben. Mit dem was er Ihnen und den Leuten angetan hatte, die ihm vertrauten. Darüber haben wir doch schon so oft gesprochen.“
„Ich weiß“, entgegnete Philipp, schärfer als beabsichtigt. „Dennoch habe ich das alles heute Nacht – nein, es war heute Morgen, kurz bevor ich aufwachte, wieder gesehen und – es war so realistisch. So, als hätte ich einen Augenblick zuvor noch auf dem Dach gestanden. Weshalb komme ich davon nicht los?“
Philipp senkte seinen Kopf. „Außerdem … kann ich mich nicht erinnern, was ich gestern Nacht zwischen 11 Uhr und halb eins gemacht habe. Mir fehlen eineinhalb Stunden!“, murmelte er. „Und, ich hatte noch einen anderen … einen ganz schrecklichen Traum.“
Stockend erzählte Philipp von der toten Frau in der schmalen Gasse. „Das alles macht mir Angst. Was passiert mit mir?“
Dr. Claudia Scherer stand auf, nahm zwei Gläser vom Beistelltisch und schenkte sich und Philipp Wasser aus einer Glaskaraffe ein.
Philipp konnte nicht umhin ihre grazilen Bewegungen, selbst bei dieser profanen Tätigkeit, zu bewundern. Einen Moment lang dachte er an Stella, die Inhaberin des italienischen Restaurants und hatte sofort ein schlechtes Gewissen. Es fühlte sich an, als hätte er Claudia betrogen.
Mit zitternden Händen führte er das Glas an seine Lippen, trank einen Schluck und stellte es auf dem Glastisch ab.
„Bitte, helfen Sie mir.“
Die Ärztin lächelte. Sie setzte sich neben ihn auf die Couch. Er spürte ihre Hand auf seinem Arm und roch diesen herrlichen Duft, der von ihr ausging. Er hob den Kopf. Ihr Gesicht war seinem so nahe, dass er sah, wie ihre Lippen leicht bebten.
„Schauen Sie mir in die Augen.“
Nichts lieber als das, dachte Philipp und verlor sich augenblicklich in diese strahlenden Augen, deren Iris von einem fast tiefen blau umrandet waren, während die Pupille selbst grünlich erschien.
„Jetzt atmen Sie tief ein und aus. Tief ein- und ausatmen“, hörte er ihre Stimme und tat, was sie verlangte.
„Philipp! Philipp! Wachen Sie auf.“
Philipp schlug die Augen auf. „Bin ich etwa ...?“
„Nur für ein paar Minuten.“ Die Ärztin reichte ihm die Hand und half ihm aufzustehen.
„Wie geht es Ihnen?“
„Gut“, antwortete Philipp. Tatsächlich fühlte er sich ruhig und ausgeruht. Alle Nervosität war verschwunden.
„Was ein Minutenschlaf doch ausmachen kann.“ Claudia Scherer lächelte. „Jetzt muss ich mich aber um meine anderen Patienten kümmern.“
Philipp nickte. Die Ärztin reichte ihm die Hand und begleitete ihn zur Tür.