Читать книгу Der rote Brunnen - Rita Renate Schönig - Страница 26

Dienstag / 09:00 Uhr

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Seit Nicole zur Ersten Kriminalhauptkommissarin ernannt worden war, brachte Sybille Kleinschmidt, Vorzimmerdame und gleichermaßen persönlicher Abschirmdienst von Staatsanwalt Falk von Lindenstein, ihr einen gewissen Respekt entgegen. Das bedeutete aber noch lange nicht, dass sie es guthieß, wenn die Kriminalhauptkommissarin – die einzige, die sich das traute – durch ihr Büro rauschte und nach der kurzen Frage: Ist der Herr Staatsanwalt alleine? – nach Frau Kleinschmidts Bejahung, an dessen Tür klopfte und hineinging.

Selbstverständlich betrat Nicole niemals ohne Voranmeldung von Lindensteins Räumlichkeiten. Entweder hatten sie vorab telefoniert, oder bei einem zufälligen Treffen im Präsidium den Termin abgeklärt.

Das wusste auch Sybille Kleinschmidt, und es fuchste sie umso mehr. Der Drachen spukte innerlich Feuer. Aber eben nur innerlich. Nach außen hin setzte sie ein süffisantes Lächeln auf.

Nach dem „Ja, bitte“, des Staatsanwalts und dem überfreundlichen „Frau Wegener. Schön, Sie zu sehen“, sobald Nicole von Lindensteins Büro betreten und die Tür hinter sich geschlossen hatte, verschwand die äußere Abgeklärtheit der Sekretärin schlagartig. Dagegen bemächtigten sich einige, nicht nette – es waren schon kriminell anmutende Empfindungen – ihrer Gedanken.

Bereits an ihrem ersten Arbeitstag empfand die 40-jährige Bewunderung für ihren Chef. Im Laufe der Jahre wurde daraus Zuneigung, die zuweilen exzessive Ausmaße annahm. Die Art, wie sie ihren Staatsanwalt abschirmte, glich annähernd der Verteidigung einer Ehefrau gegenüber der Geliebten.

Ja, Sybille Kleinschmidt hatte sich – in den weder liierten noch verheirateten Staatsanwalt – verliebt.

Richtig bewusst wurde ihr das aber erst, als der stets vornehm zurückhaltende Falk von Lindenstein, eine ihm unnatürliche Verhaltensweise an den Tag legte, und das ausgerechnet gegenüber Hauptkommissarin Nicole Wegener. Waren die beiden noch vor zwei Jahren spinnefeind, lächelte ER plötzlich, wenn er von der, jetzt „Ersten Kriminalhauptkommissarin“ sprach.

Dass diese arrogante, selbstgefällige Frau zur Leiterin des K11 ernannt worden war, konnte die Vorzimmerdame bis heute nicht verstehen. Obwohl sie sich eingestehen musste, dass die Aufklärungsrate der Kriminalhauptkommissarin und ihrem Team enorm hoch lag.

Dennoch gab es zwei weitere – nach Dafürhalten von Sybille Kleinschmidt – für den Posten besser geeignete Kandidaten. Die Bewerbungen hatte sie selber gesehen.

Nur um zu erfahren, was sich hinter der schallgedämpften Tür tat, hätte sie jetzt gerne Mäuschen gespielt. Sie überlegte schon über die Gegensprechanlage zu lauschen, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Wenn Falk das herausbekommen würde … nicht auszudenken.

Nach etwa 20 Minuten – Sybille Kleinschmidt kam es wie eine Ewigkeit vor – verließ Nicole Wegener gut gelaunt das Büro des Staatsanwalts.

Sie lief an ihr vorbei, lächelte und wünschte „Einen schönen Tag.“

Die Vorzimmerdame nuschelte etwas in der Art zurück und klopfte auf die Tastatur ihres PCs ein … und wartete.

Für gewöhnlich, wenn ein Besucher das Büro verlassen hatte, kam Falk von Lindenstein eine Minute später heraus und erteilte irgendwelche Anweisungen. Auf diese Weise wusste Sybille Kleinschmidt immer, um was es gegangen war, auch wenn sie das Gespräch nicht mit eigenen Ohren hatte hören können. Nicht so, wenn Hauptkommissarin Nicole Wegener bei ihm gewesen war – auch heute nicht.

Sybille Kleinschmidt seufzte. Doch kaum hatte sie sich wieder ihrer Arbeit gewidmet, ging die Tür auf.

„Frau Kleinschmidt. Ich brauche die Akten über den Zweifachmörder, der vergangene Woche abermals in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Wie hieß er doch gleich?“

„Michael Lambrecht“, kam es, wie aus der Pistole geschossen, aus dem Mund der Vorzimmerdame. Und sogleich hinterher: „Stimmt irgendetwas nicht?“

Sybille Kleinschmidts Hoffnung, dass die „Erste Kriminalhauptkommissarin“ als Leiterin ihrer ersten Soko etwas vermasselt haben könnte, schwand dahin, als der Staatsanwalt antwortete: „Nein, natürlich nicht. Es hat alles seine Richtigkeit. Ich möchte nur nochmals in die Akten sehen.“

Die Sekretärin griff zum Telefon.

„Nein. Bitte, Frau Kleinschmidt, gehen Sie selbst ins Archiv. Ich hätte die Unterlagen gerne sofort.“

„Natürlich.“

Selbstverständlich kannte sie den Meister der Katakomben, wie Andreas Dillinger scherzhaft genannt wurde und wusste auch, dass er mit der Kriminalhauptkommissarin Wegener zusammenlebte.

„Frau Kleinschmidt?“ Andreas Dillinger schaute verwirrt. Der Vorzimmerdrachen vom Staatsanwalt ließ sich nur sehr, sehr selten bei ihm blicken. Wenn er es sich überlegte – seit er die Vorherrschaft des Archivs übernommen hatte – war es heute das zweite Mal.

„Was kann ich für Sie …?“

„Staatsanwalt von Lindenstein möchte die Akten über den Zweifachmörder Michael Lambrecht“, fiel Sybille Kleinschmidt ihm ins Wort. „Sie können sich erinnern? Es scheint da einige Unstimmigkeiten zu geben.“

Obwohl das ganz und gar nicht stimmte, konnte sie nicht widerstehen. „Also, wenn ich bitten darf.“

„Unstimmigkeiten?“, wiederholte Andy. „Was für Unstimmigkeiten?“

„Das möchte und darf ich nicht mit Ihnen diskutieren. Das wissen Sie.“

Der Ton, den die Dame ihm gegenüber anschlug, gefiel ihm ganz und gar nicht. Auch fragte er sich, ob Nicole davon wusste.

„Darf ich dann bitte die Anweisung für die Aushändigung sehen?“

„Eh was?“ Augenblicklich wurde Sybille Kleinschmidt klar, dass sie den Antrag vergessen hatte. „Ach so … eh, ja“, stotterte sie herum. „Das Formular reiche ich Ihnen nach. Der Herr Staatsanwalt hat es … im Eifer des Gefechts ...“ Sie lachte schrill auf.

Andreas Dillinger legte die Stirn in Falten.

„Bevor ich keinen, von Herrn von Lindenstein, unterschriebenen Antrag vorliegen habe, kann ich Ihnen die Unterlagen nicht aushändigen. Sie kennen die Vorschriften, Frau Kleinschmidt. Ich habe hier im Archiv“, Andy machte eine ausladende Armbewegung, „eine große Verantwortung. Auch, wenn manche Leute das vielleicht nicht recht beurteilen können.“

Er schaute der Sekretärin direkt in die Augen und bemerkte ein Zucken, aber auch aufsteigende Wut.

„Also gut. Suchen Sie schon mal die Unterlagen heraus. Ich bin gleich wieder hier“, fauchte der Vorzimmerdrachen der Staatsanwaltschaft und rauschte davon.

Kaum war Sybille Kleinschmidt zurück in ihrem Büro, streckte auch schon Falk von Lindenstein den Kopf durch seine Tür. „Oh, Sie sind schon zurück. Das ging aber schnell.“

„Eh, ja. Ich habe das Formular zur Aktenaushändigung vergessen. Wenn Sie bitte so freundlich wären?“

„Ach, wie schusselig von mir“, antwortete von Lindenstein. Tatsächlich musste er sich ein Grinsen verbieten, als er seiner Sekretärin das Blatt überreichte, das er bereits in der Hand hielt.

Der rote Brunnen

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