Читать книгу Der rote Brunnen - Rita Renate Schönig - Страница 25

Dienstag / 08:20 Uhr

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Philipp Keilmann war bester Laune. Kein Albtraum hatte ihn gequält und in den frühen Morgenstunden hochschrecken lassen. Habe ich überhaupt geträumt, sinnierte er und betrat die Agentur.

Vielleicht lag es aber auch ganz einfach am Gespräch mit Stella. Es hatte ihm so gutgetan. Obwohl er das Thema schon unzählige Male mit Claudia durchgekaut hatte.

Egal, Hauptsache es ist vorbei.

Er fuhr seinen Rechner hoch und blätterte in den Unterlagen, die sein Chef, Bernd Maurer, ihm wohl noch gestern Abend auf den Tisch gelegt hatte, als das Telefon klingelte.

Kaum, dass Philipp den Hörer in der Hand hielt, sagte eine ihm wohlbekannte Stimme: „Guten Morgen, Philipp. Gut geschlafen?“

„Danke, sehr gut“, antwortete Philipp verwirrt.

„Das freut mich.“ Die Anruferin legte auf.

„Guten Morgen, Herr Keilmann. Haben Sie gerade mit einem Geist telefoniert, oder war es ein lukrativer Auftrag?“

Mit federnden Schritten durchquerte der 54-jährige Immobilienmakler den Raum – heute mit einer roten Hose, schwarzem Hemd und schwarzem Sakko. Wie immer hatte er seine kurzen dunkelblonden Haare mit reichlich Gel versorgt, weshalb er ein klein wenig dem Altrocker Rod Stewart in dessen besten Zeiten glich, was – so vermutete Philipp – Absicht war.

„Hatten Sie schon Gelegenheit die Unterlagen durchzusehen?“

„Noch nicht so richtig“, antwortete Philipp. „Werde mich aber sofort an die Arbeit machen.“

„Ist ein sehr interessanter, aber auch delikater Auftrag dabei. Der Eigentümer legt Wert auf Diskretion, weil er seine Ehefrau, der die Hälfte des Hauses gehört, noch davon überzeugen muss. Ich habe bereits einige Fotos von der äußeren Fassade gemacht. Sie könnten einen Termin zur inneren Besichtigung vereinbaren. Die Telefonnummer liegt bei.“

Philipp schlug die Mappe auf. Die genannte Immobilie zeigte ein Fachwerkhaus, wie es einige in Seligenstadts Kernstadt gab. Auch die rückseitig zur Terrasse überbaute Garage, war nichts Verwunderliches. Was Philipp erblassen ließ, war die nächste Aufnahme, welche das zu verkaufende Objekt aus einem anderen Blickwinkel zeigte.

Hinter seiner Stirn blitzten Bilder auf, die er nicht zuordnen konnte und plötzlich drehte sich alles um ihn. Von Weitem und wie durch einen Nebel, hörte er die Stimme von Bernd Maurer „… Ihnen nicht gut? Ich rufe einen Arzt.“

Philipp kam wieder zu sich, als er einen leichten Klapps auf seiner Wange fühlte. Ein Mann in einer roten Jacke beugte sich über ihn. „Herr Keilmann? Ah, da sind Sie ja wieder. Wie fühlen Sie sich?“

„Geht so“, brachte Philipp mühsam über seine Lippen.

Eine Frau, ebenfalls bekleidet mit einer roten Jacke, wickelte die Manschette zur Blutdruckmessung um seinen Arm und sagte, nach ein paar Sekunden: „Blutdruck 120 zu 70. Das wird wieder.“ Die Frau lächelte ihn an.

„Nehmen Sie irgendwelche Medikamente, Herr Keilmann?“, fragte nun der Mann.

„Nein.“ Dann fiel Philipp die Arznei ein, die er von Claudia bekommen hatte.

„Ja … eh, ja doch.“

„Welches Medikament und für was?“

Philipp schaute kurz um sich. Sein Chef stand etwas abseits und wischte sich gerade über seine Stirn.

„Taxilan“, flüsterte er.

„Haben Sie das Medikament heute schon eingenommen?“, fragte die Frau und warf ihrem Kollegen einen Blick zu.

„Nein“, antwortete Philipp. „Ich habe mich heute Morgen so gut gefühlt, dass ich es glatt vergessen hatte.“

„Sie fühlen sich auch jetzt wieder ganz wohl?“, wollte der Sanitäter wissen und Philipp nickte.

„Geht schon wieder. War vielleicht nur ein kleiner Schwächeanfall.“

Was ihm wirklich die Beine weggezogen hatte, darüber wollte und würde er mit den Erste-Hilfe-Leuten ganz bestimmt nicht sprechen.

„Trinken Sie reichlich Wasser; das hilft immer“, gab die Frau ihm den Rat. „Und reden Sie mit Ihrem Arzt, wegen des Medikaments. Möglicherweise ist eine Umstellung vonnöten.“

„Möchten Sie nach Hause gehen?“, fragte Bernd Maurer, als die Sanitäter gegangen waren. Er machte einen wirklich besorgten Eindruck.

„Nein, danke. Ich denke, ein starker Kaffee und …“, Philipp lächelte, „reichlich Wasser und ich bin wieder einsatzfähig.“

„Nun gut. Kaffee kommt gleich.“

Philipp hörte, wie sein Chef im Nebenraum den Automaten bediente und fragte sich, ob er ihm nicht reinen Wein einschenken sollte. Wie er noch so überlegte, stellte Maurer zwei Tassen des dunklen und dampfenden Getränkes auf Philipps Tisch, ging zur Eingangstür und schloss ab. Anschließend setzte er sich auf einen der Besucherstühle.

„Ich denke, wir sollten reden.“

Jetzt bin ich den Job los, dachte Philipp. Doch es kam ganz anders. Anstatt, dass er eine „Beichte“ ablegte, begann sein Chef zu erzählen, und Philipp begriff nun, weshalb er hier arbeiten durfte und warum Bernd Maurer ihn nie nach seiner Vergangenheit gefragt hatte.

„Ich hatte schon immer einen starken Charakter. Auch mein Zusammenbruch hat daran nichts geändert. Ich war nur … sagen wir mal … etwas lädiert. Verstehen Sie, worauf ich hinauswill?“

Philipp nickte. Dennoch fiel es ihm schwer, das zu glauben, was er gerade gehört hatte.

„Weshalb haben Sie der Polizei nicht die Wahrheit gesagt?“, wollte er wissen. „Sie haben die Frau doch nur niedergeschlagen. Sicher – schlimm genug. Aber, Sie haben sie nicht ermordet.“

„Meinen Sie, die Polizei hätte mir geglaubt; oder sonst irgendwer? Ich wusste ja selbst nicht, was genau da passiert war. Sie lag plötzlich vor mir auf den Stufen der Kirche. Ich habe den Notarzt gerufen und anschließend die Beine in die Hand genommen.“

Der Makler sah seinen Angestellten direkt an. „Versprechen Sie mir, dass Sie mit niemandem darüber reden.“

„Natürlich.“ Philipp nickte. „Sie können sich auf mich verlassen, Herr Maurer.“

Noch mehr als vor einer halben Stunde, war Philipp sich nun sicher, dass sein Chef ein Recht darauf hatte, auch seine Geschichte zu erfahren.

Der rote Brunnen

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