Читать книгу Der rote Brunnen - Rita Renate Schönig - Страница 17
Montag / 14:30 Uhr
ОглавлениеViel hatte das inoffizielle Interview nicht gebracht. Andererseits standen die vier Sonderermittler, genau wie sie selbst, noch am Anfang. Zumindest rieb sich Lars zufrieden den Bauch, als sie die Gaststätte verließen und unterdrückte auch während der Fahrt immer mal wieder ein Aufstoßen.
„Wie kann man nur solch ein gigantisches Cordon bleu, Kroketten und dazu noch einen riesigen Salat verdrücken?“ Harald schüttelte den Kopf. Und dabei so schlank bleiben, fügte er gedanklich hinzu.
„Neidisch?“ Lars grinste und schaute auf den kleinen Bauchansatz, den sein Kollege seit einigen Monaten mit sich herumtrug. „Solltest mal wieder mehr Sport treiben.“
Seit er eine kleine Tochter hatte und Marion ihn jeden Abend mit gutem Essen zu Hause erwartete, kamen seine sportlichen Tätigkeiten etwas zu kurz.
„Wird sich ab dem kommenden Monat ändern“, brummte er jetzt.
„Ach, wie das?“
„Marion und ich werden wieder regelmäßig ins Fitnessstudio gehen. Wir haben endlich eine verlässliche Babysitterin gefunden.“
„Warum kommt ihr nicht in meine Muckibude?“, kam es leise vom Beifahrersitz.
„Du meinst den Anabolika-Tempel, indem du den „Schwarzenegger“ gibst? Nein danke.“
„Ich meinte es so, wie ich es gesagt habe. Letzten Monat haben Denise und ich in ein Fitnessstudio investiert. Will sagen … uns gehören 60% einer Muckibude.“
„Was?“ Glücklicherweise hatte Harald gerade den Dienstwagen eingeparkt und den Motor abgeschaltet, ansonsten wäre er vermutlich glatt gegen die Betonwand gerauscht. Er drehte sich seinem Kollegen zu.
„Wieso hast du nichts davon erzählt? Ich dachte, wir wären so was wie Freunde. Weiß es Nicole?“
Anstatt einer flapsigen Antwort, wie es früher Lars‘ Art gewesen war, sagte er jetzt: „Nee. Keiner von euch … bis jetzt. War noch keine Gelegenheit.“ Dabei hielt den Kopf gesenkt. „Sorry. Ist ja auch erst 14 Tage her, und wir hatten einen Zweifachmörder zu schnappen. Viel Zeit für Smalltalk war da nicht. Außerdem – seit Dietmar bei uns ist, macht sowieso nicht mehr viel Persönliches die Runde und private Treffen waren in letzter Zeit auch nicht möglich.“
Harald nickte versonnen. So war es fast immer. Ein neuer Mitspieler bedeutete, zuerst einmal die Lage taxieren. Man musste herausfinden, wie der tickt und ob man ihm vertrauen konnte. Über hausinterne Kollegen wusste man annähernd Bescheid, aber Dietmar kam aus einem anderen Revier. Außer seiner Personalakte und – zugegeben, Nicoles verlässlicher Menschenkenntnis – wusste man nichts über den Neuen. Das banale Geplänkel zwischen ihnen hatte keine Bedeutung. Es diente lediglich einem lockeren Arbeitsklima.
„Du hast vollkommen recht. Seit Nicole in ihrem Büro sitzt, hat sich vieles verändert. Aber, das muss ja nicht so bleiben. Erzähl, wo befindet sich das Studio? Sind dort auch „Normalos“ – Harald malte Gänsefüßchen in die Luft – „anzutreffen oder müssen wir, bevor wir uns dort blicken lassen, eine Menge Spinat essen?“
„Im Ernst jetzt? Du bist nicht sauer?“
Harald sah beinahe plastisch, wie Lars ein Stein vom Herzen fiel. „Ich frage mich nur, wie du das hinbekommen willst. Ich meine – Beruf hier und Job dort. Oder willst du dich in deiner Muckibude zur Ruhe setzen?“
„Gott bewahre! Das wäre mir dann doch zu langweilig. Außerdem würde ich den Schlagabtausch mit dir vermissen.“ Lars grinste schief. „Na ja, was soll ich lang drum rumreden … Denise studiert Jura und das Geld ist halt immer knapp. Deshalb … deshalb haben wir überlegt, ob wir nicht zusammenziehen. Eigentlich war es meine Idee. Eine Wohnung, anstatt zwei … weniger Miete … doch nur Vorteile.“
„Das hast du aber nicht so rübergebracht, oder?“, unterbrach Harald das Gestotter seines Kollegen.
Erneut verformte Lars sein Gesicht zu einem missglückten Grinsen. „He, Großer, du kennst mich doch.“
„Ja, deshalb. Und – was hat deine Angebetete geantwortet? Und, was hat das jetzt mit dem Fitnessstudio zu tun?“
„Tja, anstatt einer klaren Äußerung, hielt Denise mir die Anzeige vor die Nase … von dieser Muckibude. Sie meinte ein zweites Standbein wäre nicht schlecht. Weil … man wisse ja nie, was in unserem Beruf so alles passieren kann.“
„Heißt im Klartext – gemeinsame Wohnung eventuell“, Harald machte eine entsprechende Handbewegung, „Fitnessstudio in trockenen Tüchern.“
Lars nickte. „So in etwa.“
Harald bemerkte eine gewisse Schwermut in Lars‘ Worten, weshalb er ihm auf die Schulter schlug und sagte: „He, Kleiner … sie sagt schon noch ja. Ganz sicher.“
„Hoffentlich“, antwortete Lars leise. „So eine wie Denise, ist mir noch nicht untergekommen. Eh, sorry. So ist das nicht …“
„Hab schon verstanden, Kleiner.“ Die beiden Kommissare lachten.
***
Auf Haralds Schreibtisch lagen die längst abgeschlossenen Fallakten der beiden getöteten Frauen sowie eine neue Mappe mit der Aufschrift:
Mordfall Marina Leistner – 14. Mai 2018
Darauf klebte ein Zettel.
Bin auf eine Vermisstenanzeige gestoßen. Marina Bender (heute Leistner) im Alter von 16 Jahren von ihren Eltern als vermisst gemeldet. Sie war insgesamt fünf Tage verschwunden. Angeblich auf Urlaubsreise mit ihrer Freundin (Katrin Jäger) in Holland. Schaut es euch einfach mal an.
Sind unterwegs in die Rechtsmedizin. Bis später.
Dietmar.
Harald entfernte das diagonal über die rechte obere Seite verlaufende Gummiband. Sofort stachen ihm die, mit einem gelben Marker, gekennzeichneten Stellen ins Auge.
Marina Bender, vermisst gemeldet am 10. August 1990. Am 15. August 1990 wieder zuhause aufgetaucht.
„Was soll das denn?“, murmelte er vor sich hin und bewegte sich in das Büro nebenan, das Lars jetzt mit Dietmar teilte.
„Schau mal“, sprach er seinen Kollegen an, die Augen noch immer auf die Unterlagen geheftet. „Von Dietmar.“
Harald legte die Mappe neben die Tastatur von Lars‘ Computer. Jedoch nicht, ohne zuvor seinen Blick über die Tischplatte schweifen zu lassen, weil ... oftmals klebten dort die Reste eines Schinkenbrötchens oder einer Pizza.
„Schön, unser Opfer wurde im Alter von 16 als vermisst gemeldet, tauchte aber nach 5 Tagen wieder auf. Und, wie es aussieht … unverletzt“, kommentierte Lars, nachdem er den Text überflogen hatte. „Was sollen wir jetzt damit anfangen? Wahrscheinlich haben die Mädels sich ein paar Joints reingezogen und waren high. Ist das in dem Alter nicht normal?“
„Eher nicht die Regel, aber du kennst dich wohl aus?“
„Hast du das etwa nicht gemacht? Mal kurz nach Holland – so übers Wochenende und in diversen Koffie Shop abhängen?“
„Nein, habe ich nicht“, erwiderte Harald. „Hätten meine Eltern auch nicht zugelassen.“
„Haben die von den Mädels bestimmt auch nicht. Und, wie du siehst war das irrelevant“, konterte Lars. „Steht da auch der Name der Freundin, mit der sie in Holland gewesen war?“, fragte er im gleichen Atemzug.
„Ja. Aber, meinst du nicht, dass die Polizei die junge Dame damals bereits befragt hat …, wenn du darauf hinauswillst?“
„Wollte ich“, nickte Lars. „Aber ja, du hast recht.“
Lars gab Harald die Akte zurück. „Nochmal die Frage, was will uns Kollege Schönherr damit sagen?“
„Dass wir graben sollen?“, antwortete Harald. „Du buddelst im Leben von Marina Leistner und ich überprüfe das Alibi ihres Gatten.“
Die Universität Leipzig bestätigte die Teilnahme von Markus Leistner für die Zeit von Donnerstag, den 10. Mai bis 12. Mai 2018. Danach setzte Harald sich mit dem Hotel in Verbindung, in dem Leistner übernachtet hatte. Dort weigerte man sich, ihm Auskunft zu geben. Bezüglich des Datenschutzes entsprach das natürlich den gesetzlichen Vorgaben, behinderte aber die Ermittlungen. Weshalb der Kriminalhauptkommissar mal wieder in seine Trickkiste greifen musste.
Erst nach intensiver Belehrung die Aufklärung eines Mordfalls zu behindern und zusätzlich die Bekanntgabe der Telefonnummer des Polizeipräsidiums Offenbach, erfolgte einige Minuten später der Rückruf aus dem Hotel sowie ein Fax.
Markus Leistner / 10. Mai 2018 / Ankunft 15:22 Uhr / 12. Mai 2018 / 10:17 / Abreise.
Harald rechnete nach. Seines Wissens nach, brauchte man mit dem Auto etwa viereinhalb bis fünf Stunden von Leipzig bis Offenbach. Nach Seligenstadt vielleicht 15 Minuten weniger. Demnach hätte Markus Leistner allerspätestens um 16 Uhr zu Hause angekommen sein müssen. Laut seiner Angabe – und sollte man der Aussage seiner Nachbarin Glauben schenken – traf er aber erst kurz nach Mitternacht ein. Wo warst du in den fehlenden Stunden?
Harald griff erneut zum Telefon. Nach mehrmaligem Läuten sprang der Anrufbeantworter an.
Hier ist der Anschluss von Marina und Markus Leistner. Bitte sprechen Sie Ihre Nachricht nach dem Signalton.
Selbst für den routinierten Kriminalbeamten war es seltsam, die fröhliche Stimme einer Toten zu hören.