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3.3. Historische und ganz individuelle Lehren
ОглавлениеJemand, der in der Nähe einer nationalen Grenze groß geworden ist und bisweilen mal zum Einkaufen, zum Grillen oder zum Feiern auf die „andere Seite“ gefahren ist, kennt das Gefühl, gar nicht so weit weg von Zuhause, aber doch in einer anderen Welt zu sein. Damit können durchaus interessante, spannende und auch erfreuliche Erlebnisse verbunden sein, aber genau so freut man sich auch, danach wieder in seine vertrauten Umgebung zu kommen.
Was aber, wenn diese „andere Welt“ eines Tages plötzlich direkt zu jemandem nach Hause käme und in der „eigenen Welt“ beim Gang auf die Straße plötzlich die „andere Sprache“ dominieren würde? Was aber, wenn die „eigene Welt“ plötzlich geteilt wäre und der andere Teil, zu dem man gerne auch mal in den Wintersport oder ans Meer gefahren ist, auf einmal unerreichbar fern wäre?
Sind wir offen für Unterschiede und neue Erfahrungen oder wünschen wir Vertrautheit und das immer gleiche immer wieder? Wie gehen wir damit um, wenn wir im „anderen“ plötzlich Dinge als ganz normal vorfinden, die wir in unserer „eigenen Welt“ gemeinhin als Barbarei empfinden würden? Ziehen wir uns zurück, diskutieren wir das aus, belehren wir den anderen, versuchen wir, Verbote durchzusetzen oder was werden wir tun?
Bedauerlicherweise hatten in der Vergangenheit die Betroffenen in den aller seltensten Fällen die Möglichkeit, an diesem Prozess aktiv zu partizipieren, geschweige denn, ihn zu steuern. Feudalherren, Monarchen und ihre Diplomaten haben mit Landkarten und Lineal vom sprichwörtlichen Grünen Tisch her Grenzen gezogen und Länder gestaltet, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wer dort überhaupt lebt. Nachbarvölker mit unterschiedlicher Sprache, Religion, sozialer Schichtung, Gesellschaftsverständnis oder Mentalität, die bislang weitgehend konfliktfrei nebeneinander gelebt haben, werden durch eine Zwangsvereinigung eher zu erbitterten Feinden als zu guten Freunden. Den gleichen Effekt hat es, eine Grenze mitten durch den Siedlungsraum einer Ethnie, die sich bisher als ein Volk verstanden hat, zu ziehen, und dieses Volk bis teilweise herunter auf die Familienebene zu teilen.