Читать книгу Jalta 2.0 - Robert Hanke - Страница 42
4.2.4. Ausklammern, was niemanden weiter bringt
ОглавлениеDiskussionen zwischen zwei Menschen, aber auch zwischen zwei Gruppen und zwischen zwei Staaten können auf einer Zeitachse wie folgt einsortiert werden:
- Angelegenheiten der Vergangenheit
- Angelegenheit der Gegenwart
- Angelegenheiten der Zukunft
Der Dialog zwischen Deutschland und Polen litt und leidet darunter, dass von beiden Seiten immer wieder Dinge der Vergangenheit auf den Tisch gepackt werden, die es verhindern, dass gemeinsame Aufgaben, die sich in der Gegenwart und in der Zukunft stellen, diskutiert und geregelt werden. Der Dialog zwischen Deutschland und Frankreich lehrt uns, ohne die Lehren der Geschichte zu missachten, unter die Angelegenheiten der Vergangenheit einen Strich zu ziehen und sich auf die vor beiden liegenden gemeinsamen Aufgaben zu konzentrieren. Alleine durch deren Bewältigung erwächst neuer gegenseitiger Respekt, gegenseitige Wertschätzung und gegenseitiges Vertrauen.
Die Beziehungen Russlands zum Westen leiden durch den Zweiten Weltkrieg und den Kalten Krieg unter der gleichen Hypothek. Und doch gelang es bereits mitten im Kalten Krieg, gigantische gemeinsame Projekte zum Bau von Pipelines und nicht minder große Gaslieferverträge zu vereinbaren und durchzuführen. Dies wäre nie gelungen, hätte man die ganze Zeit immer wieder von Ostpreußen angefangen. Der Beweis, dass es möglich ist, mit Russland auf wirtschaftlichem und politischem Feld langfristig tragfähige Vereinbarungen zu erzielen wurde in der Vergangenheit mehrfach erbracht. Für die Machbarkeit ähnlich umfassender Übereinkünfte in der Zukunft ist also große Zuversicht angemessen. Trotzdem wird es auch bei Angelegenheiten der Gegenwart oder der Zukunft immer wieder Einzelfragen geben, bei denen die Sichtweisen beider derart weit auseinander liegen, dass hier keine Übereinstimmung zu erzielen ist. Die Frage die hier zu stellen ist, lautet:
Welche Konsequenzen für die Erreichbarkeit des gemeinsamen Gesamtziels hat die Nichtübereinstimmung in oder das Ausklammern von dieser Einzelfrage? Oft reicht es aus, das Gesamtziel minimal zu modifizieren, um die Einzelfrage, in der keine Übereinstimmung erzielt wird, unmaßgeblich werden zu lassen. In dieser Praxis sind die Europäer, alleine schon durch ihre nächtlichen Diskussionsrunden im Ministerrat, sehr geübt. Das reale Ergebnis in der Vergangenheit war oft nicht das bestmögliche, aber stets das am besten erreichbare. Die künftige Diskussionspraxis mit Russland wird ähnlich verlaufen. Selbst wenn die Ergebnisse dem, was hier in Kapitel 7-9 diskutiert werden wird, nur zu 85% entsprechen werden, wird die künftige Nachbarschaft wesentlich konfliktfreier sein.