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4.2.5. Von der Nuklearen Teilhabe zur Atomaren Vetomacht
ОглавлениеSo sehr gemäß Abschnitt 2.4. gegenseitiges Vertrauen die Voraussetzung für ein dauerhaftes friedliches Nebeneinander ist, so sicher ist es auch, dass es, genau wie in der Vergangenheit, auch in Zukunft immer wieder Phasen des gegenseitigen Misstrauens geben wird. In solchen Phasen ist es notwendig, dass die beiden Kontrahenten, zumindest in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung, gleichstark gegenüber treten, damit nicht eine Seite der Versuchung erliegt, die andere Seite militärisch zu überrennen. Das Gleichgewicht des Schreckens war also kennzeichnend und wesentliche Voraussetzung dafür, dass zwischen 1946 und 1990 kein konventioneller Krieg in Europa statt fand.
Kaum war die Sowjetunion zerfallen, begannen die fast zehn Jahre währenden Jugoslawienkriege. Genau so lang und blutig war der sich daran anschließende Zweite Tschetschenienkrieg. Auch der Krieg in der Ukraine seit 2014 gehört in diese zeitliche Linie. Alle drei Konflikte hätten nie statt gefunden, wenn beide Kontrahenten über eine glaubhafte atomare Abschreckung verfügt hätten. Die Situation der gegenseitigen atomaren Abschreckung in Europa Anfang 2016, also noch vor dem zu Lasten der EU ausgegangenen EU-Mitgliedschaftsreferendum im Vereinigten Königreich 2016, stellte sich wie folgt dar:
Auf östlicher Seite:
- 7500 russische Atomsprengköpfe
Die EU war durch folgende Atomwaffen geschützt:
- 2688 US-Atomsprengköpfe seegestützt
- 1347 US-Atomsprengköpfe auf Interkontinentalraketen
- 300 französische Atomsprengköpfe
- 215 britische Atomsprengköpfe
- 110 US-Atomsprengköpfe auf dem Gebiet der EU
- 4660 Atomsprengköpfe insgesamt
- 625 Atomsprengköpfe auf dem Gebiet der EU
Selbst wenn man „nur“ die letzteren 625 Atomsprengköpfe anrechnet, war die EU eine Atommacht, mit der man sich besser nicht anlegt. Leider ist die Glaubwürdigkeit der atomaren Abschreckung auf Seiten der Europäischen Union gerade einer massiven politischen Erosion zum Opfer gefallen:
- Der EU-Austritt des Vereinigten Königreichs bedeutet faktisch das Ende der Verfügbarkeit britischer Atomwaffen zur Verteidigung der Europäischen Union.
- Die Infragestellung der Artikel 4 und 5 des Nordatlantikvertrages durch Donald Trump im Jahre 2017 bedeutet faktisch das Ende der Verfügbarkeit amerikanischer Atomwaffen zur Verteidigung der Europäischen Union.
- Die Verfügbarkeit französischer Atomwaffen zur Verteidigung der Europäischen Union steht unter nationalem Vorbehalt.
In der Folge stünde also die Europäische Union militärisch nackt und frierend im eisigen Wind. Was also tun? In der Tat hat die EU ein altes, kleines, aber effizientes politisches Beiboot namens EURATOM, welches durch Ergänzung das Vertrages von Lissabon mit geringem Aufwand um eine militärische Komponente ergänzt werden kann. Die Waffentechnik, die Kerntechnik und die Fachkunde, beides zusammen zu führen, sind in den (verbleibenden) Mitgliedsländern der EU in Hülle und Fülle vorhanden. Alternativ kann die EU die 110 im Rahmen der Nuklearen Teilhabe auf dem Boden der EU lagernden Atomsprengköpfe den USA abkaufen, um erst einmal einen Grundstock an Atomwaffen zu haben.
Im Gegensatz zu den USA (Ein Atomkoffer beim Präsidenten) oder Russland (drei Atomkoffer, die autonom voneinander funktionieren), sollten die drei Atomkoffer der EU (Ratspräsident, Kommissionspräsident, Außenbeauftragter) so funktionieren, dass die Atomwaffen erst nach dreifacher Freigabe gestartet werden. Wenn man die oben genannten 625 Atomsprengköpfe als Anhaltspunkt für eine künftige quantitative Vorgabe sieht, befindet man sich in einem maßvollen, aber sicheren Bereich. Die EU braucht keine 4660 oder 7500 Atomsprengköpfe, um als Atommacht ernst genommen zu werden. Es reicht, ein kleiner Igel zu sein, der seine Stacheln ausfährt, wenn man versucht, ihn zu treten.
Von diesen 624 Atomsprengköpfen wären zweckmäßigerweise jeweils 208 in landgestützter, seegestützter und luftgestützter Form vorzuhalten. Seegestützt wären es vier U-Boote mit jeweils 26 Raketen und Atomsprengköpfen an Bord, zwei stationiert in Kiel, zwei stationiert in Neapel. Zusätzlich jeweils 52 Atomsprengköpfe und Raketen in Hafendepots in Kiel und Neapel zur Zweitbeladung. Luftgestützt wären es entsprechend dimensionierte Jagdbomberstaffeln in Karup und Decimomannu (also gegenüber der seegestützten Stationierung ein wenig zurückgenommen), mit denen jeweils 52 Atomsprengköpfe sofort geflogen werden können und die andere Hälfte zur Zweitbeladung vor Ort eingelagert ist. Landgestützt wären es 104 Marschflugkörper und 104 Mittelstreckenraketen, von denen jeweils die eine Hälfte (zur Abwehr der künftigen Bedrohung aus Südosten) auf Kreta, die andere Hälfte zur Selbstverteidigung in alle Richtungen in der Mitte, mithin also in Tschechien, stationiert wäre.
Selbstverständlich stünde es künftig auch Großbritannien und Frankreich frei, an einem EU-geführten System kollektiver nuklearer militärischer Sicherheit teilzunehmen, sofern sie bereit sind, das Kommando über ihre Atomwaffen zu teilen.
Bereits Nicolas Sarkozy hatte den Deutschen eine Nukleare Teilhabe an der Force de frappe angeboten, die bisher daran scheitert, dass Deutschland den Atomwaffenverbotsvertrag unterzeichnet hat. Die Europäische Union allerdings hat dieses Problem nicht. Daher wäre diese Alternative für alle beteiligten in Europa die ideale Lösung, zumal die den für einige Nachbarländer bedrohliche Vision deutscher Atomwaffen vom Tisch wischt.